Wissen Sie, was ein Dilemma ist? Es bezeichnet eine Situation, die zwei Möglichkeiten der Entscheidung bietet, die beide zu einem unerwünschten Resultat führen. Es wird durch seine Ausweglosigkeit als paradox empfunden (Wikipedia). In so einer Zwangslage befinden sich große Teile der europäischen Autoindustrie.

Seit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Antidumpingzölle thematisiert und Untersuchungen der chinesischen Subventionen eingefordert und behauptet hat, dass die weltweiten Märkte mit billigen Elektroautos aus China geflutet werden, herrscht Alarmstimmung, vor allem unter den deutschen Autoherstellern.

Ahnungslosigkeit, Stimmungsmache, Argumente

Das Schlimme daran: Bei von der Leyen mischen sich Ahnungslosigkeit, Stimmungsmache und echte Argumente zu einer toxischen Melange, die nur einen Verlierer kennt – eben jenen Teil der Autoindustrie.

Alleine die Aussage, dass Europa mit billigen E-Autos aus China überschwemmt wird, ist ein Schuss ins Knie. Erstens hat sie damit Werbung für die Konkurrenz der Deutschen gemacht, die so nicht stimmt. Chinesische Autos sind aktuell weder besonders billig noch besonders günstig. Das Preisniveau entspricht etwa den Europäern. Tesla hat mit seinen Preisreduktionen einen viel dramatischeren Preiskampf entfacht, der Europäern und Chinesen genauso zusetzt.

Und wenn wir schon bei Tesla sind, sollten wir auch von der Leyens Kritik an den hohen chinesischen Subventionen für die chinesischen Hersteller thematisieren. Ob und wann Tesla für seine Produktionsstätte in Brandenburg Subventionen erhält, wird zum Beispiel gerade von der EU-Kommission geprüft. Es geht um 136 Millionen Euro, berichtet die deutsche Zeitung "B.Z.". Dass die großen Autokonzerne in Europa genauso verschiedene Anreize durch Förderungen erhalten (bis zur Steuererleichterung), wird genauso wenig thematisiert.

Auch die USA lockt mit Milliarden-Subventionen

Ungarn zum Beispiel lockte zuletzt besonders auffallend mit Subventionen. Und in vielen europäischen Ländern gibt es massive Kaufanreize beim Kauf eines E-Autos, in Österreich sind es 5000 Euro, die Hälfte kommt vom Staat, die andere vom Fahrzeughersteller. Und nicht nur Europa oder China machen es: US-Präsident Joe Biden zieht mit seinem "Inflation Reduction Act" mit dem Versprechen auf Milliardenhilfen für Klimatechnologien Konzerne wie BMW oder Marken wie Audi in die USA.

Chinesen greifen tief in den Topf

Die Chinesen greifen freilich noch tiefer in den Topf, wenn es um ihre Konzerne geht: Nach Schätzungen der Beratungsfirma AlixPartners gab es zwischen 2016 und 2022 staatliche Subventionen für elektrische und Hybridfahrzeuge in Höhe von 53 Milliarden Euro. Am bekanntesten ist die staatliche Unterstützung, um den Kauf von E-Autos anzukurbeln, die an die Hersteller gezahlt wird. Diese war 2009 gestartet und wurde bis zum Ende des vergangenen Jahres schrittweise zurückgefahren. 
Im Juni gab das Land zudem ein Steuerpaket in Höhe von umgerechnet 72 Milliarden Dollar bekannt, das insgesamt über vier Jahre laufen soll.

Die große Angst mehrerer europäischer Autohersteller liegt aber – und damit sind wir wieder am Anfang – in ihrem Riesendilemma. Und aus ihrem Blickwinkel muss man von der Leyens Vorstoß betrachten.

Das Dilemma der Europäer

Erstens wird ein alter Spruch aktuell. "Ist die chinesische Autoindustrie verkühlt, hat Europa eine Lungenentzündung." Das holprige Sprachbild soll ausdrücken, dass für eine Reihe von Marken – Mercedes, BMW etc. – China ein Hauptmarkt ist, von dem sie leben. Und nicht mehr vom europäischen Absatz. Sollte von der Leyen Antidumpingzölle einführen, werden die Chinesen den Verkauf der europäischen Fahrzeuge in ihrem Land mit Maßnahmen erschweren – ein Albtraum für Europa.

Außerdem haben einige chinesische Hersteller genug Substanz, in Europa einen Preiskampf anzuzetteln – das wollen die europäischen Autokonzerne genauso wenig. Dazu kommt, dass Chinesen führend am Batteriemarkt sind. Auch hier drohen Europäern in ihrer Abhängigkeit Aufschläge.

Nur eines scheint fix: Für Europas Hersteller gibt es in dem Match nichts zu gewinnen. Egal wo.