Europas Währungshüter könnten angesichts der hartnäckig hohen Inflation das Tempo bei der Normalisierung ihrer Geldpolitik in den nächsten Monaten erhöhen. "Wenn sich die Inflationsaussichten nicht verbessern, werden wir über ausreichende Informationen verfügen, um schneller zu handeln", sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde. "Angesichts der allgemeinen Aussichten wird der Prozess der Normalisierung unserer Geldpolitik entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden."

Das facht innerhalb der EZB auch wieder die Diskussion um die Höhe des Zinsschrittes an. Angekündigt ist eine Erhöhung um 0,25 Prozent mit 21. Juli. Doch Lettlands Notenbankpräsident Martins Kazaks kann sich zum Auftakt der geplanten EZB-Zinsstraffung im Juli auch einen größeren Zinsschritt um 0,5 Prozentpunkte vorstellen. Sollten sich etwa die Inflationserwartungen ungünstig entwickeln, könne man Zinsanhebungen vorziehen, sagte Kazaks.

Mit dem litauischen Notenbankchef Gediminas Simkus hat sich ein weiteres Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) für eine mögliche Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte im Juli ausgesprochen. Wenn die Preisdaten auf eine anhaltende und beschleunigte Inflation hindeuten, sollen 50 Basispunkte im Juli eine Option sein, sagte Simkus am Mittwoch am Rande eines Notenbanktreffens im portugiesischen Sintra.

Die baltischen Staaten leiden angesichts der direkten Nachbarschaft zum Kriegstreiber Russland besonders unter der Teuerung. Estland hatte im Mai eine Inflationsrate von 20,1 Prozent, Litauen kam auf 18,5 Prozent und Lettland auf 16,8 Prozent.

Kriseninstrument

Doch die Anhebung der Zinsen könnte vor allem für hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden. Die EZB hat daher bereits angekündigt, sie arbeite an einem neuen Anti-Kriseninstrument. "Das neue Instrument muss wirksam sein, gleichzeitig aber auch verhältnismäßig und mit ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen versehen, damit die Mitgliedstaaten weiterhin eine solide Finanzpolitik verfolgen können", sagte Lagarde. Die EZB-Präsidentin betonte, die Notenbank werde "eine ungerechtfertigte Fragmentierung" im Euroraum nicht hinnehmen.

Die EZB sollte den mit stark steigenden Zinskosten konfrontierten Euro-Ländern nach den Worten ihres Ratsmitglieds Pierre Wunsch großzügig helfen. "Ich würde sogar sagen, dass es keine Grenzen geben sollte", sagte der belgische Notenbankchef. Er plädiert allerdings dafür, dass die EZB sehr wohl eine qualitative Bewertung der Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik vornehmen und die jeweiligen Bemühungen der Länder berücksichtigen, ihre Schuldenpolitik auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen.

Insidern zufolge dürften die Auflagen aber nicht allzu schwer zu erreichen sein. So sollen sich die Länder an die wirtschaftlichen Empfehlungen der EU-Kommission halten – was sie allerdings ohnehin tun müssen, um Finanzmittel von der Europäischen Union zu erhalten.

Keine Gefahr für Wirtschaft

Angesichts der rekordhohen Inflation unterstützt Wunsch auch die Pläne der EZB, die Zinssätze sowohl im Juli als auch im September anzuheben. "Die nächsten 200 Basispunkte (an Zinserhöhungen) sind für mich eine Selbstverständlichkeit", sagte Wunsch, der als einer der ersten EZB-Vertreter vor den Gefahren einer hohen Inflation warnte.

"Ich glaube nicht, dass man die Wirtschaft kaputtmacht, indem man die Zinssätze erhöht, die immer noch negativ sind", sagte Wunsch. "Es gibt keine großen Ungleichgewichte in der Wirtschaft, die eine tiefe und dauerhafte Rezession auslösen könnten." Das große Risiko besteht darin, dass sich die hohe Inflation verfestige. "Wenn sich die Inflation nach oben bewegt, wird es extrem teuer, sie wieder auf das Zielniveau zu bringen", sagte Wunsch. "Unser Mandat ist die Preisstabilität. Und wenn in einem Szenario die Gefahr besteht, dass sie außer Kontrolle gerät, muss man diesem Szenario mehr Gewicht geben."