Bäuerliche Familienbetriebe gerieten "durch die Übermacht von Handelskonzernen zunehmend unter Druck", kritisiert Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Sie beklagte bereits mehrfach "erpresserische Praktiken“ der Handelsketten. Nun soll ein Gesetz "einen Meilenstein im Kampf gegen unfaire Geschäftspraktiken" des Handels gegenüber der Landwirtschaft setzen.
Flankiert von Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger warf Köstinger am Donnerstag dem Lebensmittelhandel einmal mehr vor, seine Marktmacht zu missbrauchen und Bauern, aber auch andere Produzenten, in der Wertschöpfungskette massiv unter Druck zu setzen. So würden beispielsweise bei einem Apfelbauern zehn Tonnen bestellt, wenn aber nur acht Tonnen verkauft werden, würden zwei Tonnen unbezahlt zurückgeschickt. Produzenten müssten sich weiters an Kosten für Flugblätter beteiligen, um darauf vorzukommen. "Auch diese Praxis wird verboten", so Köstinger, Handelsunternehmen müssten ihre Werbung künftig selber bezahlen.
Köstinger und Moosbrugger sind sich sicher, dass die Handelsketten den Bauern mehr zahlen könnten, ohne dass die Preise für den Konsumenten steigen. Moosbrugger äußerte auch Zweifel an der Darstellung der Gewinne der Lebensmittelketten.
Mit dem Gesetz, einer nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie vom April 2019 "gegen unfaire Geschäftspraktiken entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette", gehe man einen "wichtigen Schritt, um die Situation für Bauern zu verbessern", meint Köstinger. Die Richtlinie hätte Österreich bereits im Mai 2021 umsetzen sollen, mit dem aktuellen Vorschlag wende Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren ab, räumte Köstinger ein. Verzögert habe sich das österreichische Gesetz wegen des Regierungswechsels 2019 und dann der Coronakrise.
Der Entwurf des Wettbewerbs- und Nahversorgungsgesetzes wird heute, Donnerstag, in Begutachtung geschickt. Das Gesetz soll am 1. Jänner 2022 in Kraft treten. Der Strafrahmen für Verstöße gegen das Gesetz betrage bis zu 500.000 Euro.
Ombudsstelle wird eingerichtet
Zudem wird im Landwirtschaftsministerium eine lange, auch vom Handel selbst geforderte Ombudsstelle für heimische Bäuerinnen, Bauern, Verarbeiter und Produzenten eingerichtet, um "einfachen Zugang zu schneller Hilfe gegen unlautere Praktiken" zu ermöglichen. Beschwerden können auch anonym eingereicht werden, sollten Bauern oder Lieferanten "Vergeltungsmaßnahmen" des Handels befürchten. Diese Erstanlaufstelle, die 2022 ihre Arbeit aufnehmen soll, werde "unabhängig und weisungsfrei" sein.
Unfaire Geschäftspraktiken gesetzlich verankert
Konkret sollen unfaire Geschäftspraktiken im nationalen Recht verankert werden. Bestimmte "unfaire Geschäftspraktiken" fallen unter den neuen Rechtsrahmen - etwa Zahlungsverzug von mehr als 30 Tagen bei verderblichen Lebensmitteln, 60 Tagen bei anderen sowie einseitige Änderungen der Lieferbedingungen, das Verlangen von Zahlungen vom Lieferanten oder die Verweigerung, einen gewünschten schriftlichen Vertrag zu schließen.
Wenn nicht anders vereinbart, gelten auch andere Praktiken als unlauter, etwa dass der Käufer nicht verkaufte Lebensmittel an den Lieferanten zurückschickt, ohne dafür zu zahlen, oder dass vom Lieferanten eine Zahlung verlangt wird, damit dessen Erzeugnisse zum Verkauf angeboten oder gelistet werden. Unlauter wäre demnach auch, wenn vom Lieferanten verlangt wird, dass dieser die Kosten für Aktionen und Preisnachlässe trägt. Das trifft etwa auf die bekannten "Minus 25-Prozent-Rabattaktionen" bestimmter Ketten zu.
"Kampf David gegen Goliath"
Köstinger spricht von einem "klaren Rechtsrahmen gegen diese unfairen Praktiken der Großen gegen unsere Bäuerinnen und Bauern". Sie stünde "im ‚Kampf David gegen Goliath‘ an der Seite Landwirtschaft, der kleinen Erzeuger und Verarbeiter", erklärt die ÖVP-Politikerin.
Landwirtschaftskammer-Präsident Moosbrugger lobt, dass nun "erstmals ein klarer Rechtsrahmen gegen unfaire Geschäftspraktiken" geschaffen werde, dies sei ein "Schlüsselmoment für mehr Fairness in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette". Mit der Einrichtung einer unparteiischen, weisungsfreien Ombudsstelle werde eine langjährige Forderung der Landwirtschaftskammer Österreich umgesetzt.
Moosbrugger fordert den Handel "mit Nachdruck auf, ihre hunderte Millionen schwere PR-Maschinerie verstärkt auf Regionalität, Saisonalität und Qualität umzustellen." Auch brauche es "Investitionsanreize durch längerfristige Vertragsmodelle mit kostendeckenden Preisen für Bäuerinnen und Bauern und endlich eine Umsetzung der im Regierungsprogramm vereinbarten Herkunftskennzeichnung".
"Mehr Ehrlichkeit"
Auch unabhängig vom neuen Gesetz hat Köstinger keinen Frieden mit dem Lebensmittelhandel geschlossen. Zum Gesprächsangebot des Handels sagte sie: "Ich würde nicht von einer Gesprächseinladung sprechen. Mir ist über eine Presseaussendung ein Termin diktiert worden." Das sei nicht nur schlechter Stil. "Wenn man einer Ministerin einen Termin diktiert, kann man sich ungefähr vorstellen, wie es den Bauern geht, wenn sie in Verhandlungen mit den Konzernen stehen". Sie erwarte sich vom Handel "etwas mehr Ehrlichkeit. Wenn man sich schon immer als großer Retter und Beschützer der Bauern präsentiert, dann muss sich das auch in Preisverhandlungen niederschlagen".
"Pauschales Bashing" des Lebensmittelhandels
Die Wirtschaftskammer will die Details des Gesetzesentwurfs einer juristischen Prüfung unterziehen. "Um Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU zu verhindern, ist es wichtig, dass die Richtlinie entsprechend den EU-Vorgaben und ohne überschießende nationale Maßnahmen umgesetzt wird", so der Obmann des Lebensmittelhandels in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Christian Prauchner.
Der Handelsverband kritisierte das "pauschales Bashing" des Lebensmittelhandels. Entgegen dem Vorwurf der Landwirtschaftsministerin würden verspätete Zahlungen für verderbliche Waren, Auftragsstornierungen in letzter Minute, einseitige oder rückwirkende Vertragsänderungen, erzwungene Zahlungen des Lieferanten für die Verschwendung von Lebensmitteln oder die Verweigerung schriftlicher Verträge nicht zu den gelebten Handelspraktiken gehören, so der Handelsverband in einer Aussendung. Kritik übten die Handelsvertreter an Formulierungen in den FAQs und fehlenden Erläuterungen zu neuen Vorgaben in nationaler Umsetzung der UTP-Richtlinie. Lob gab es für die geplante Ombudsstelle.
NEOS-Landwirtschaftssprecherin Karin Doppelbauer übte Kritik an der überfälligen Umsetzung der EU-Richtlinie. Wenn Ministerin Köstinger die Bäuerinnen und Bauern gegenüber dem Handel stärken wollen würde, hätte sie nicht monatelang mit der Umsetzung gezögert. Doppelbauer forderte außerdem eine stärkere Entbürokratisierung des Direktverkaufs, "eine Entfesselung der Landwirtschaft von verkrusteten Strukturen und Gebühren und eine drastische Reform der AMA Marketing".
"Stehen voll hinter neu geschaffenen Rechtsrahmen"
Der Lebensmitteldiskonter Hofer begrüßt das neue Gesetz. "Unfaire Geschäftspraktiken lehnen wir kategorisch ab und stehen auch deshalb voll und ganz hinter dem neu geschaffenen Rechtsrahmen", hieß es in einer Aussendung.