Die neue Politik der chinesischen Staatsführung beunruhigt wahrscheinlich nicht nur Investoren. Die vielen Beschneidungen der vergangenen Monate laufen unter der neuen Prämisse „gemeinsamer Wohlstand“. Kann man abschätzen, was da noch zu erwarten ist?
Harald OBERHOFER: Wenn wir über Chinas Wirtschaftsaufstieg sprechen, meinen wir immer die Zentren, nicht das Hinterland. Die wachsende Ungleichheit ist aber gerade für ein kommunistisches System problematisch. Wenn Großunternehmen riesige Gewinne machen, teilweise davon Aktionäre im Ausland profitieren, ist das nicht systemkonform. Die Entwicklung hängt natürlich mit den geostrategischen Zielen zusammen – für die man Schlüsseltechnologien kontrollieren und sicherstellen will, dass Konkurrenten nicht davon profitieren können. Ziel ist schließlich die Dominanz in der Weltwirtschaft bis 2025.
Die Corona-Pandemie spielt dabei welche Rolle?
Eine bedeutende. Man ist jetzt offenbar umso mehr überzeugt, das bessere System zu haben, weil der sehr starke Eingriff in das Leben, in die Freiheit der Menschen, effektiver war als die Maßnahmen in den freien Gesellschaften. Corona hat auch China hohe Abhängigkeit vom globalen Markt aufgezeigt. Dabei will man seit einigen Jahren weniger abhängig vom Westen sein, abzulesen am 2020 beschlossenen Freihandelsabkommen im pazifischen Raum. Durch höhere Einkommen in China will man den Binnenmarkt stärken.
Die Dominanz in der Weltwirtschaft, die Ablöse der USA in dieser Rolle, gelingt die 2025?
Die Politik war immer auf dieses Ziel ausgerichtet, vor allem in Hightech-Sektoren, unterstützt durch enorme Investitionen. Dazu kommt die regionale Ausdehnung über die neue Seidenstraße und die Geldgeber-Rolle vor allem in Afrika, wo es um Rohstoffe geht. Was wir jetzt sehen, ist eine Readjustierung der Ziele. Die USA und Europa waren 2020 in einer Rezession, China hatte durch die Pandemie nur weniger Wachstum. Der Abstand ist schon kleiner geworden. Den Vorteil will man nutzen. US-Präsident Joe Biden hält mit großen Programmen dagegen. Das ist ein globaler Wettbewerb, der sich über viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte abspielen wird.
Welchen der jüngsten Einschnitte in China sehen Sie als besonders problematisch an?
Aus der Sicht einer liberalen Demokratie ist alles problematisch, es hat alles den kommunistisch-diktatorischen Zugang, wo man Freiheiten massiv einschränkt, um den Machterhalt zu sichern. Darum geht es letztlich: Wie ein solches System stabil bleibt.
Claudia Haase