Welche Macht soziale Medien entfalten können, hat erstmals Barack Obama bei seinem Wahlkampf im Jahr 2008 gezeigt, in dem er Twitter als primären Kommunikationskanal nutzte. Sein Nachfolger Donald Trump hat das zur Perfektion und so einen Keil in die Gesellschaft der USA getrieben.
Klar ist: Soziale Medien haben die Spielregeln in der Politik grundlegend verändert. Und als nächster Schritt wird nun der Finanzmarkt umgekrempelt. Denn mit der Macht der Masse kann man selbst die gefürchteten Hedgefonds in die Knie zwingen, wie der sogenannte „Short Squeeze“ bei Gamestop gezeigt hat.
Wie berichtet, hatten Hedgefonds auf fallende Kurse bei der angeschlagenen Videospielkette gesetzt und es dabei übertrieben. Experten im Reddit-Forum „Wallstreetbets“ machten darauf aufmerksam und so begann eine anonyme Masse an Kleinanlegern, immer mehr Aktien von Gamestop zu kaufen.
Kostete eine Aktie Anfang Jänner noch 17,25 US-Dollar, waren es am Höhepunkt des Spekulationskampfes 347,51 Dollar. Inzwischen ist der Kurs wieder auf rund 51 Dollar gefallen. Übrig bleiben viele Verlierer und nur wenige Gewinner. Die Hedgefonds und all ihre Investoren dürften 12,5 Milliarden US-Dollar verspielt haben, Kleinanleger, die Ende Jänner in den Short-Squeeze eingestiegen sind, haben über 80 Prozent ihres Geldes verloren. Profitiert haben nur jene, die zum Höhepunkt ihre Aktien verkauften.
Sparen zahlt sich nicht aus
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt auch an der wirtschaftlich außergewöhnlichen Zeit, in der wir leben. In früheren Jahren lernte man schon als Kind, den Weltspartag zu lieben. Das Besondere waren nicht nur die Geschenke, sondern die Zeile im Sparbuch mit dem Wort „Zinsen“, die das Guthaben wie durch Zauberhand anwachsen ließen.
Doch viele junge Menschen kennen dieses Gefühl nicht. Sie sind mit Null-Zinsen aufgewachsen und Notenbanken, die Unmengen an frischem Geld in den Markt pumpen. Sie haben gelernt, dass klassisches Sparen nichts bringt. Und auch die Banken setzen nicht mehr so stark auf Sparbuch-Kunden und gehen dazu über, im Beratungsgespräch eher über ETF-Fonds und aktiv gemanagte Aktien-Depots zu sprechen und weniger über das Bausparen.
App statt Finanzberater
Gleichzeitig hat sich der Aktienhandel gewandelt. Der Kauf von Wertpapieren läuft immer weniger über Broker oder Finanzexperten. Das übernimmt eine App. Einmal aufs Handy tippen genügt, um am Börsenparkett mitzumischen. Spezielles Wissen scheint dafür nicht nötig zu sein, man macht einfach, was Influencer auf Twitter, Youtube oder Reddit vorzeigen. Der reale Wert von Unternehmen rückt in den Hintergrund, nur noch der Börsenkurs zählt.
Die Folgen dieser Entwicklung zeigt das Beispiel des E-Autobauers Tesla, der mit 510.000 ausgelieferten Pkw mehr wert ist als alle US-Hersteller zusammen. Tesla-Chef Elon Musk weiß die Macht seiner 46,5 Millionen Twitter-Follower gut zu nutzen. Tweet nach Tweet zog Musk den Kurs der Tesla-Aktie in der Vergangenheit nach oben. Das ging so weit, dass die Börsenaufsicht SEC eingriff. Über Tesla darf Musk nur noch nach Absprache mit einem Anwalt twittern. Bei anderen Aktien hat er freie Hand. Und so reichte eine Erwähnung von Gamestop, um den Run erst so richtig zu befeuern. Aus seiner Begeisterung für Kryptowährungen macht er ebenfalls keinen Hehl. Tesla hat 1,5 Milliarden Euro in Bitcoin investiert und Musk selbst propagierte das Satire-Projekt Doge-Coin, dessen Kurs so von 0,007 auf 0,07 Cent gestiegen ist. Einen realen Wert gibt es nicht. Dennoch stecken neun Milliarden Dollar in Doge-Coin.
So zeigt sich: Egal, ob an Börsen oder bei Kryptowährungen: Es wird nicht angelegt, es wird gewettet. Und den Gewinn streichen immer häufiger jene ein, die auf der Klaviatur der sozialen Medien am besten spielen.
Roman Vilgut