Nicht zum ersten Mal spielen die Geschehnisse in Villen auf Baleareninseln Hauptrollen in der österreichischen Innenpolitik: Bruno Kreisky verpackte Anfang der 1980er-Jahre in seinem Ferienhaus auf Mallorca Quellensteuer & Co. in ein sperriges Sparpaket, das bei den Adressaten zu Hause deutliches Missfallen erregte. Und den Sonnenkönig die Absolute kostete. Fast 40 Jahre später unterhielten sich die Herren Strache und Gudenus köstlich in einer Mietvilla auf Ibiza – nun ja, Sie erinnern sich bestimmt.

Also Ibiza. Die kleine Schwester Mallorcas, das sechs Mal größer auch glatt als 17. deutsches Bundesland durchgehen könnte, ist das extravagante, glamouröse Familienmitglied im balearischen Flottenverband, zu dem auch Formentera und Menorca gehören. Ibiza bietet aber mehr als bloß touristischen Flankenschutz auf offener See: Wo Mallorca ballermannt und wahre Inselkenner mit seiner Vielfalt zum Genießen verführt, ist Ibiza vom nördlichen Scheitel bis zur Südsohle cool bis zum Abwinken.

Inselhauptstadt Eivissa
Inselhauptstadt Eivissa © Photocreo Bednarek - stock.adobe

Die besten Musik-DJs des Planeten fluten allsommerlich die Partyinsel mit ihren Bässen, deren Jünger lassen sich die Teilnahme an den hämmernden Liturgien ihrer Rhythmuspriester viel Geld kosten. Gefeiert wird dann von spät bis früh, tage- oder wochenlang. Ein hoher Sonnenstand dient Dauerfeiernden bloß zur Orientierung: 24 Stunden sind wieder um.

Grandiose Strände vor Es Vedra
Grandiose Strände vor Es Vedra © pkazmierczak - stock.adobe.com

Amnesia, Eden, Pacha, Ushuaia und so ähnlich verheißungsvoll heißen hier Clubs schwindelerregenden Ausmaßes. In der global größten musikalischen Einrichtung dieser Art, dem Privilege, lassen sich bis zu 14.000 wogende Körper bespaßen. So manche Legende rankt sich um das wilde Clubleben, hohen Wahrheitsgehalt dürfte jene besitzen, wonach chemische und andere unerlaubte Substanzen Standardrepertoire im Nachtleben Ibizas seien.

Der Sonnenuntergang als Spektakel

Während anderswo die aufgehende Sonne das Feierende einläutet, entlässt hier der Sonnenuntergang das Partyvolk in die Nacht. Ibiza steht für kompromisslosen Hedonismus. Das zeigt sich auch im Kultcafé Café del Mar im brodelnden Sant Antoni, wo, so der Mythos, der Begriff Chill-out erfunden worden sein soll. Wohl bei einem Sundowner. Wenn sich dann enthusiasmiert klatschende Hundertschaften jeden Sonntagabend in leichtem Gewand an Stränden der Cala Benirrás einfinden, um dem im Meer versinkenden Feuerball zu huldigen, ist sich das weltvergessene Ibiza genug. Die leise Ahnung, dass da hinter dem sonnendurchtränkten Horizont mehr wäre als nur lustvolles Feiern, weicht im Rhythmus der Trommeln selbstgenügsamer Amnesie. Gelebt wird im Hier und Jetzt. Die Szenerie mutet zwar archaisch an, ist aber ein neuzeitliches Ritual.

Der fünfte Hippie-Frühling

Hippies, Überbleibsel einer die Fesseln der bürgerlichen Welt abstreifenden Ära aus Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll, feiern hier ihren fünften Frühling. An den 60 meist grandiosen Stränden von Eivissa, wie die Insel auf Català (Katalanisch) heißt, chillend; vor allem aber als Meister der Lebenskunst auf einem der Hippiemärkte, quer über die Insel verstreut. Althippies, die als Aussteiger kamen, wurden so zu den Urahnen des kommerzialisierten Inseltourismus. Auch so eine Insel-Ironie.

Höher noch als die Hippiedichte ist jene an Prominenz. Ob sich diese von der kargen Schönheit angezogen fühlt oder doch vom pumpenden Inseltakt, sei einmal dahingestellt. Vermutlich liebt der Jetset, wie der betuchte, sportwagenfahrende Geldadel früher einmal hieß, einfach sich und seinesgleichen. Und das kleine Ibiza bietet dafür die perfekte Bühne. Als wichtiger Wegbereiter erwies sich ein Österreicher, der kürzlich verstorben ist: Niki Lauda trug die ibizenkische Atmosphäre hinaus in die Welt.

Alte Bauernhäuser, kraftvolle Felsen

Manche verloren sich hier für immer, andere nur einen Sommer lang. „Zwischen den weißen Häusern dieser Insel findet man den Sommer seines Lebens. Ich würde für immer hierbleiben“, schrieb der Philosoph Walter Benjamin 1932. Die alten Bauernhäuser lockten auch Walter Gropius und Le Corbusier. Andere Suchende reizt unbearbeiteter Stein: Der Felsen „Es Vedra“ ragt vor der Südküste 385 Meter in die Höhe. Hippies vermuten hier Überreste der versunkenen Stadt Atlantis. Nun ja. Aber nicht nur Blumenkinder erspüren den Kraftort.

Also, was ist Ibiza, dieses 540 Quadratmeter kleine Eiland, eigentlich? Austauschbare Urlaubsware, eine dieser Ferieninseln, die in der mediterranen Badewanne schwimmen? Eher nicht. Es ist international und ursprünglich, pulsierend und meditativ, aufbrausend und in sich ruhend. Es ist eine Bühne der Reichen und Schönen und offen für die egalitären Massen. Es ist sonnenverliebt und dem nächtlichen Götzen verfallen, ruhelos und ruhespendend. Voller Widersprüche und doch so klar. Eine Versuchung für Kenner, jeder Quadratmeter eine Erkundung wert. Nicht nur für Oligarchen, Rennfahrer und Politiker.