Sie stecken in Millionen Jacken-, Hand- und Hosentaschen, meist zerknüllt und ganz unten. Oder, wenn's blöd läuft, in der Waschmaschine. Millionen Menschen nutzen Papiertaschentücher - viele davon Tempo. Und viele nutzen irgendein anderes und sagen trotzdem Tempo.
Denn wie nur wenige andere Marken haben es die akkurat gefalteten weißen Tücher aus der blauen Packung geschafft, mit ihrem Namen in den allgemeinen Sprachgebrauch überzugehen. So gut wie jeder kennt ihn. Aber will jeder, der "Hast du ein Tempo?" fragt, tatsächlich unbedingt und ausschließlich ein echtes Tempo?
In diesem Jahr feiert die Marke ihren 90. Geburtstag. Vom 29. Jänner 1929 datiert die Anmeldung beim damaligen Reichspatentamt in Berlin. Oskar Rosenfelder, Mitinhaber der Vereinigten Papierwerke Nürnberg, reichte den Antrag damals ein.
Generische Verselbstständigung heißt das Phänomen, das man auch von Zewa, Tesa, dem Labello, dem Edding, der Tupperdose oder auch dem Walkman kennt - mal mehr, mal weniger, und zum Teil auch regional unterschiedlich.
"Das ist Fluch und Segen zugleich", sagt Franz-Rudolf Esch, Direktor des Instituts für Marken- und Kommunikationsforschung der deutschen EBS Business School. "Exklusive Markenbekanntheit ist erst einmal etwas sehr, sehr Wertvolles", sagt er. "Das gelingt den wenigsten."
Nämlich nur denen, die ein bestimmtes Produkt ganz neu erfinden oder den Markt in der jeweiligen Kategorie sehr stark dominieren, erläutert der Experte. Und die könnten dann zunächst auch davon profitieren. Tempo habe das getan, den Markt geprägt, Innovationen vorangetrieben.
Erfindung der Z-Faltung
So verbucht die Marke die Erfindung der sogenannten Z-Faltung für sich, die seit 1975 dafür sorgt, dass man die Tempo-Tücher mit einer Hand auseinanderschütteln kann. 1988 kam die wiederverschließbare Packung, in den 90er-Jahren die Taschentuch-Box, zwischendurch diverse Balsam- und Öl-Zusätze. Seit 2017 vermarktet Tempo seine Taschentücher außerdem als waschmaschinenfest.
Auf den Namen selbst komme es natürlich auch an, sagt Sybille Kircher, die Chefin der Düsseldorfer Agentur Nomen, die im Auftrag von Unternehmen Produkt- und Markennamen entwickelt. Wenn er kurz sei, sich leicht zum Plural oder gar zu einem Verb machen lasse, fördere das die Verselbstständigung. Und natürlich wenn ein Produkt so innovativ sei, dass es dafür im allgemeinen Sprachgebrauch noch gar keinen Begriff gebe. "Der Markenname wird zur Vokabel für eine gesamte Produktgruppe. Man denkt gar nicht mehr darüber nach", sagt Kircher. Darauf seien die Hersteller dann zunächst einmal sehr stolz.
Segen und Fluch
Und trotzdem warnen Kircher und ihr Team ihre Kunden vor solchen Effekten. Denn die Frage ist, wie lange eine Marke von ihrer extremen Bekanntheit profitieren kann und wann es ins Gegenteil, vom Segen zum Fluch umschlägt. Esch verweist noch auf ein weiteres Problem: "Wenn eine Marke nur mit Schnupfen verbunden wird, ist es schwierig, sie zu dehnen", sagt der Markenforscher. Dehnen meint, dass ein Hersteller noch andere Produkte unter dem gleichen, vielen Kunden schon bekannten Namen verkauft und von dessen Strahlkraft profitiert. Nivea sei so ein Beispiel, bei dem diese Dehnung gelungen sei, sagt Esch. Da stehe ein Name, der einst nur mit einer Creme verbunden gewesen sei, heute für das Thema Pflege insgesamt.
Seit 2007 gehört die Marke Tempo zur schwedischen Essity-Gruppe, zu der auch Zewa gehört. Produziert wird aber immer noch in Neuss - mehrere Millionen Päckchen Taschentücher jeden Tag -, und auch der klassische Schriftzug hat sich kaum verändert.