Am selben Tag, es ist der 15. Jänner 1955, als Louis Rothschild in der karibischen Montego Bay, Jamaika, einen Herzanfall erleidet und ertrinkt, beginnt im fernen Wien die Sprengung seines Palais in der Prinz-Eugen-Straße. Ein Ende wie aus einem schlechten Roman, befindet Roman Sandgruber - es ist der tragische Schlusspunkt in der Geschichte einer glanzvollen wie angefeindeten Dynastie in Österreich. Einer Dynastie, die das wirtschaftliche und politische Leben seit Metternich nicht nur prägte, sondern oft bestimmte. Wer sucht, findet Spuren der Rothschilds auch heute, doch verschwand mit Louis' Tod der große Name allmählich aus dem hiesigen Geschichtsbewusstsein.
Es begann im Frankfurter Judenghetto
„Es ist eine österreichische Besonderheit, dass diese Familie in der Geschichtsschreibung bislang weitgehend verdrängt worden ist“, erklärt Sandgruber, nicht ohne einen spektakulären Kontrapunkt zu setzen. „Rothschild“, so der schlichte wie erklärende Titel des Buches des Linzer Wirtschafts- und Sozialhistorikers, darf als Standardwerk über die Wiener Linie des Welthauses bezeichnet werden. Auf mehr als 500 Seiten komprimiert der Autor detailreich seine Recherche in den Archiven, darunter das Rothschild-Archiv in London. Oft glich die Forschung „einer Suche im Heuhaufen“, so Sandgruber.
Rothschild also. Kein Familienverband zuvor und auch nie seither habe einen derart hohen Anteil am jeweiligen Welteinkommen und Weltvermögen erreichen können wie die fünf Rothschild-Linien im 19. Jahrhundert. Am Beginn des „märchenhaften Aufstieges“ stand das Frankfurter Judenghetto im 18. Jahrhundert, ein Haus mit rotem Schild, das der Familie den Namen gab, und Mayer Amschel Rothschild.
Für Frauen ist im Firmenkosmos kein Platz
Münzhandel und Wechselgeschäfte bringen erste Sporen. Später weiß er die beginnende industrielle Revolution (Import von Textilien, Kolonialwaren, Genussmittel) und die Napoleonischen Kriege für sich zu nutzen. Die „wichtigste geschäftliche Entscheidung“ war die Heirat mit Gutle Schnapper. Sie gebar 19 Kinder, zehn überlebten, davon fünf Söhne. Der Vater der Dynastie, er stirbt 1812, legt fest, dass Rothschild eine auf die männlichen Nachkommen beschränkte Familiengesellschaft bleiben solle.
Im Firmenkosmos ist für Frauen nicht nur kein Platz, immer häufiger werden sie in der Verwandtschaft verheiratet. Rothschild sollte so vor „Störenfrieden“ bewahrt werden. 1815 standen die Rothschilds aufseiten der Kriegsgewinner gegen Napoleon, sie transferieren Gelder, reisen viel, kassieren Provisionen, werden in den Adel gehoben. Salomon aus der zweiten Generation wird in Wien zum Bankier und zum Finanzier der kostspieligen Ordnungspolitik Fürst Metternichs. Erträge fließen, Rothschild verdient, die Völker zahlen.
Gründer der Creditanstalt
1848 muss Metternich fliehen, indes gelten die Rothschilds vielen als Symbol kapitalistischer Ungleichheit. Weitere Standbeine hatte der Bankier in der Industrie und im Verkehr geschaffen, so ließ Salomon die Nordbahn bauen. Sein Sohn Anselm, die dritte Generation, gründet 1855 die Creditanstalt und zählt zu den Geldgebern etwa des Baus der Südbahn über den Semmering, die 1858 privatisiert wird und die sich die Pariser Rothschilds einverleiben. Mit Charlotte, die gleichsam Cousine und Ehefrau ist, hat Anselm acht Kinder. Albert übernimmt 1872 die Wiener Geschäfte und baut die Creditanstalt zur größten Bank in Österreich-Ungarn aus. Das Bankhaus in der Schottengasse geht auf ihn zurück. Palais und Schlösser gehörten der Familie, darunter jenes in Waidhofen an der Ybbs, außerdem der Rothwald, der noch heute größte zusammenhängende Urwald Mitteleuropas in den niederösterreichischen Kalkalpen.
Der reichste Mann Europas
Während Albert um 1910 mit geschätzt einer Milliarde Kronen zum reichsten Mann Europas aufgestiegen war, tat sich sein Bruder Nathaniel als Wohltäter und Mäzen hervor. Nie vorher und nachher in der österreichischen Geschichte habe ein Einzelner derart hohe Summen gespendet, so Sandgruber. Vor allem Kranke und Obdachlose sollten in den Genuss der Stiftungen kommen.
Der Anfang vom Ende
Doch auch nach Jahrzehnten fühlten sich die jüdischen Rothschilds in Wien selten wohl und nie integriert. Die beiden Weltkriege, die große Depression, die Beraubung durch die Nationalsozialisten - das alles besiegelte den Untergang des Welthauses auch. Aber nicht nur. Sandgruber attestiert der fünften Generation eine Ermüdung. Sie und der NS-Terror „beendeten 1938 eine 150-jährige Geschichte abrupt“. Louis kam in Haft und 14 Monate später, nach Preisgabe des gesamten Familienbesitzes, wieder frei. In das Palais in der Prinz-Eugen-Straße zog die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien“ von Adolf Eichmann. 1945 wollte Louis nicht von vorne beginnen. Er war in die USA emigriert und heiratete 1946 Hilda von Auersperg. Die Ehe blieb kinderlos.
Louis' Privatpalais wurde an die Arbeiterkammer übereignet, die es, siehe oben, sprengen ließ. Das 1860 gegründete Spital der Rothschilds wurde an die Wirtschaftskammer verkauft und ebenfalls abgerissen. „Der Kapitalismus der Sozialpartner ist an die Stelle des Rothschild-Kapitalismus getreten“, resümiert Sandgruber. Die CA fusionierte 2001 beim Kauf durch die bayerische HVB mit der Bank Austria und ging 2005 in der italienischen Unicredit auf.