Kaputte Fahrräder, überfüllte Gehsteige, frustrierte Nutzer: Was vor einigen Jahren in China als umweltbewusster Mobilitätshype auf zwei Rädern begann, entwickelt sich zunehmend zu einer wirtschaftlichen Katastrophe. Die scharfe Konkurrenz unter den Leihfahrrad-Anbietern in der Volksrepublik droht nun den Branchenpionier Ofo aus der Bahn zu werfen.
Seit zwei Jahren sind orangefarbene, gelbe und blaue Räder überall in Chinas Metropolen zu finden. Die beiden großen Anbieter Ofo und Mobike stellten Millionen davon vor Bürogebäude und U-Bahnhöfe, immer im Begriff, den Konkurrenten noch zu übertrumpfen. Ofo ging 2014 an den Start, Mobike 2016.
Für Mobike zahlte sich das aus - Ofo hingegen steht kurz vor der Pleite. Bei seinem Start konnte der Anbieter chinesische und ausländische Investoren überzeugen, darunter den Internetgiganten Alibaba. Noch im März vergangenen Jahres sammelte Ofo 850 Mio. Dollar (rund 749 Mio. Euro) an Investitionen ein, um sein internationales Geschäft auszubauen. Zwischenzeitlich war das Startup über 2 Mrd. Dollar wert.
Wütende Nutzer
Doch für Ofo mit seinen 200 Millionen Nutzern läuft es nicht mehr rund. Etwa 11 Millionen Kunden fordern derzeit ihre Kaution zurück - und bringen den Anbieter damit in Schwierigkeiten. "Sehr wütend" ist etwa Wang, der seit Mitte November versucht, seine hinterlegten 199 Yuan (23 Euro) von Ofo zurückzubekommen. Er hat mittlerweile ein Auto und ein Motorrad und benötigt die Leihräder, die per Barcode-Scan mit Hilfe einer App freigeschaltet werden können, nicht mehr.
Nachdem eine Online-Anfrage scheiterte, suchte Wang Ende Dezember die Ofo-Zentrale auf - gemeinsam mit hunderten anderen wütenden Kunden. Ofo erklärt, die Forderungen würden nach und nach abgearbeitet. "Gestern war ich der 10,76-millionste - heute sind es 10,75 Millionen", sagt Wang verärgert. "In diesem Tempo dauert es drei Jahre, bis ich meine 200 Yuan wiederbekomme!"
Was nach wenig Geld klingt, summiert sich für Ofo derzeit auf fast eine Milliarde Yuan an Kautionsgeldern, die Kunden zurückfordern. Zu Beginn mussten damals 99 Yuan hinterlegt werden, mittlerweile sind es 199. Einige hinterlegten auch noch mehr Geld, um davon gleich die Fahrradnutzung zu zahlen.
Konkurrenz attraktiver
Ofos größte Konkurrenten Mobike und Hello Bike verlangen mittlerweile keine Kaution mehr. "Das macht sie deutlich attraktiver als Ofo", sagt der Internetforscher Yu Xue. Außerdem habe Ofo mittlerweile reihenweise kaputte Fahrräder auf den Straßen stehen. Es sei "schwer", überhaupt rasch ein funktionstüchtiges Ofo-Fahrrad zu finden. In den sozialen Netzwerken beschweren sich Nutzer zudem über doppelte Abbuchungen und äußern ihre Sorge vor einer Pleite der Firma.
Ofo macht keinen Hehl daraus, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken. In einem Brief an die Beschäftigten schrieb Gründer Dai Wei im Dezember, er denke darüber nach, Insolvenz anzumelden. Dai steht mittlerweile bei seiner Kreditwürdigkeit auf einer schwarzen Liste - er darf weder fliegen noch in teuren Hotels absteigen. Anfang Dezember ordnete ein Gericht eine Ausgabenreduzierung für Ofo an.
Überleben dank Kaution
Zum Verhängnis wurde dem Startup nach Einschätzung des Wirtschaftsprofessors Michael Pettis in Peking der Zugriff auf die Kautionen der Mitglieder. Das sei eine "Gratis-Liquidität" für Ofo. Er teilt die Ansicht von Experten, dass viele Firmen nur dank ihrer Kundenrücklagen überlebten. Dies sei vielleicht eine gute Sache, um sich in einem turbulenten Markt zu konsolidieren - "aber kurzfristig kann das sehr schmerzhaft sein".
Ein Schmerz, den Ofo nun selbst spürt - während die Konkurrenz dem Anbieter davonradelt. Mobike bekommt etwa Rückenwind von dem chinesischen Internetgiganten Tencent.
Rückzug aus Wien
Bis Sommer 2018 war Ofo auch in Wien aktiv. Neue Regeln der Stadt Wien waren für viele Anbieter von Leihrädern, nicht nur Ofo, zu streng und sie zogen sich zurück. Ofo sammelte die Fahrräder noch selber ein. Der Mitbewerber oBikes ließ das die MA 48 machen.