Digitalisierung wird vor allem mit Industrie in Verbindung gebracht, nun trifft Hightech auch das Handwerk. Was ist Handwerk 4.0?
HOLGER SCHMIDT: Alles, was man in der Digitalisierung beobachtet, gilt auch für das Handwerk. Dabei gilt es, zwei Hauptströme zu beachten. Der erste ist die Plattformökonomie. Uber ist dafür ein Beispiel. Ein Unternehmen, das keinerlei Produkte herstellt, sondern nur vermittelt, in diesem Fall Fahrdienste. Uber wurde dadurch ein milliardenschweres Unternehmen. Plattformen sind im Internet zum dominanten Geschäftsmodell geworden. Auch Facebook und Google sind nichts anderes, und das wird nun auch für das Handwerk immer relevanter.


Bitte ein Beispiel.
Es gibt eine Online-Plattform, die nennt sich Kolorat. Da können Wandfarben und Lacke konfiguriert werden, die Plattform schaltet sich zwischen Anbieter von Farben und jene, die Farben suchen. Ähnliches sehen wir im Handwerk mittlerweile an vielen Stellen. Eine andere Seite heißt MOO, da können Sie Visitenkarten bestellen. Die machen die Karten aber nicht selbst, sondern vermitteln die Aufträge an Druckereien.


Wie können Handwerker von solchen Plattformen profitieren?
Viele sagen, sie bekommen mehr Kunden als früher, da sie durch diese Plattformen leichter gefunden werden. Handwerker haben die Wahl, sie nehmen teil an einer Plattform oder bauen selbst eine auf. Wichtig ist, es den Kunden so leicht wie möglich zu machen – nach dem Amazon-Prinzip. Alle Macht und alle Vorteile den Kunden – das funktioniert auch im Handwerksmarkt gut.


In Vorträgen kritisieren Sie, dass zwei Drittel der Unternehmer mit dem Begriff der Plattformökonomie nichts anfangen können. Haben wir in Europa die Entwicklung verschlafen?
Das Thema Plattformökonomie in der Tat. Von den zehn größten Plattformen der Welt ist keine aus Europa. Die erste europäische kommt erst auf Platz 25. Dass zwei Drittel der Unternehmer bei einer Umfrage den Begriff nicht kannten, schockierte mich.


Kann Europa noch aufholen oder ist der Abstand zu groß?
Es mit Amazon aufzunehmen, wird sehr schwierig. Eine bessere Suchmaschine als Google werden wir auch nicht bauen. Aber Handwerk ist ein lokales Thema. Und da gibt es noch unendliche Möglichkeiten für die Betriebe, lokale Plattformen aufzubauen.


Eine Präsenz auf Facebook ist nicht ausreichend?
Das bringt nur ein paar Kontakte mehr.


Sie haben von zwei Hauptströmungen gesprochen – was ist die zweite?
Ich nenne das Deeptech. 3D-Drucker sind da ein gutes Beispiel, sie sind immer weiter verbreitet und vielseitig einsetzbar. Adidas etwa lässt Schuhe wieder in Deutschland produzieren – von einem 3D-Drucker. Das heißt, dass die Industrie in immer mehr Fällen auch individuelle Produkte herstellen kann, was lange Zeit eine Domäne des Handwerks war.


Eine Gefahr für das Handwerk?
Hier könnte für das Handwerk etwas verloren gehen. Andererseits können Betriebe die Entwicklung auch nutzen. Noch ein Beispiel: In Australien wurde ein Bauroboter entwickelt, der den Rohbau eines Hauses in zwei Tagen aufstellt. Technologie verändert Handwerk, indem sie Menschen schwere Arbeiten abnimmt. Oder: In Köln stellt ein Schumacher mittels 3D-Scanner und 3D-Drucker Maßschuhe her – zu viel geringeren Kosten als bisher. Dachdecker wiederum nutzen immer öfter Drohnen, um Dächer auf Schäden zu prüfen.


Doch „Deeptech“, wie Sie es nennen, heißt, die Handwerksbetriebe müssen investieren?
Das ist kapitalintensiv. Geräte wie eine CNC-Fräsmaschine gibt es nicht für 9,90 Euro. Andererseits zahlen sich diese Investitionen aus, da sie die Effizienz steigern. Beim Thema Industrie 4.0 ist Europa übrigens viel besser aufgestellt, da haben die Amerikaner nicht viel zu bieten.


Digitalisierung löst Ängste aus. Prognosen zur Zukunft der Jobs könnten kaum unterschiedlicher sein. Wie ist Ihre Einschätzung?
Die Frage ist extrem umstritten. Die Optimisten sagen, die Digitalisierung führe zu höherer Produktivität und dadurch zu mehr Jobs. Pessimisten meinen, die Digitalisierung betreffe nicht nur die Industrie, sondern viele Stellen gleichzeitig. Klassische Bürojobs werden von Computern erledigt werden können. Das stimmt zwar, es entstehen aber Jobs durch kreative Ideen und in sozialen Berufen. Die Summe ist bis dato ausgeglichen. Der Arbeitsmarkt wird aber sowieso ständig umgewälzt. 60 Prozent der Jobs, die wir heute haben, hatten wir vor 25 Jahren nicht.