Zu Ihren Kunden zählen die bekanntesten Unternehmen Österreichs. Wie geht’s Ihnen damit, wenn Sie einem hochdekorierten Manager vermitteln müssen, dass er bei seinem Führungsstil Defizite hat?
Manfred Winterheller: Erstaunlich ist, dass das Thema dort am schwierigsten zu vermitteln ist, wo die Leute noch wenig Ahnung haben. Da bestehen oft fast mystische Vorstellungen, die über das Chefsein samt dementsprechender Visitenkarte oft kaum hinausgehen. Je mehr Erfahrung die Leute haben, je länger sie in der Führungsfunktion sind, desto mehr wissen sie über diese Schwierigkeiten und ihre Defizite selbst Bescheid. Die sind dann häufig geradezu gierig nach neuen Ideen. Je dekorierter die Leute sind, desto aufnahmebereiter sind sie dann meistens.


Sie konstatieren, dass man für jeden Beruf irgendeine Ausbildung benötigt. Nur Chef könnne man einfach so sein. Wie kommen Sie zu diesem Befund?

Dazu gibt es zahlreiche Untersuchungen, die zum Ergebnis kommen, dass die meisten Führungskräfte befördert werden, nicht weil sie irgendwelche speziellen Führungsfähigkeiten haben, sondern weil sie ihren vorhergehenden Job gut gemacht haben. Man sagt also: Du warst ein guter Verkäufer, deshalb machen wir dich zum Vertriebsleiter. Aber als Verkäufer hatte er mitunter noch gar keine Möglichkeit, Führungserfahrung zu sammeln. Vom Führen als eigenständiger Tätigkeit hat er wenig Ahnung. Das ist bittere Realität und letztlich für beide Seiten schwer. Für den Chef, der spürt, dass er überfordert ist und eigentlich etwas anderes machen müsste als früher und auch für seine Mitarbeiter. Da wird dann gerne versucht, Defizite über nachträgliche Kurse zu beheben. Das ist dann oft schwierig.


Welche Ausbildungsschleife müsste man dann vor einem Karrieresprung einziehen?
Die wichtigste Erkenntnis müsste einmal sein, dass Führen ein eigener Job ist, etwas, das man lernen kann und lernen muss und dass das nicht einfach irgendwie nebenher zu machen ist. Die erste Erkenntnis muss im Unternehmen also ganz oben ansetzen. Man kann Ausbildungen für potenzielle Führungskräfte vorziehen und sie etwa über Stellvertretungslösungen und Projektverantwortung gezielt und behutsam heranführen.
Ist Führen eine Kunst. Oder erlernbares Handwerk?
Wie gehe ich mit Menschen um? Wie viel Zeit verbringe ich am Schreibtisch? Wie oft gehe ich durch das Werk? Wie rede ich mit den Leuten? Das kann man alles lernen, wenn man es lernen will. Wie alles im Leben ist 95 Prozent lernen und üben.


Wie vermittelt man als Chef die unangenehmen Dinge, wie personelle Einschnitte und Restrukturierungen. Gibt’s dafür ein Patentrezept oder zumindest Leitlinien?
Ja, die gibt es definitiv. Ein Chef darf dazu nicht konfliktscheu sein, er muss sich vor die Mannschaft hinstellen und mit Anstand, Respekt und größtmöglicher Offenheit die Dinge beim Namen nennen. Am schwierigsten ist es immer, wenn die Mitarbeiter im Dunkeln tappen. Wenn auch das Vertrauen da ist, weil die Mitarbeiter wissen, dass der Chef ein anständiger Mensch ist und nicht nur ein karrieregeiler Typ, der schaut, dass er auf unserem Rücken weiterkommt, dann sind auch schwierige Nachrichten überbringbar. Wenn es aber hinten herum abläuft, keine Offenheit herrscht, dann sorgt das für Verunsicherung und Angst.


Worauf kommt es bei der Organisationsentwicklung an, wenn sich Geschäftsmodelle, etwa durch die Digitalisierung oder durch Krisen fundamental ändern?
Es gibt kaum eine Branche, in der das nicht auf der Tagesordnung steht. Ich habe Kunden, denen plötzlich Zig-Prozent des Umsatzes wegbrechen, etwa weil in China eine neue Riesenfabrik eröffnet wird. Das hat dann auch nichts damit zu tun, dass die etwas falsch gemacht haben, die haben das definitiv nicht selbst in der Hand. Solche Situationen sind am besten bewältigbar, wenn zwischen Mannschaft und Chef ein positives, ein vertrauensvolles Verhältnis herrscht. Der Fisch beginnt am Kopf zum Lachen. Die Leute sind nicht dumm, die wissen, dass dann dieses oder jenes verändert werden muss und tragen auch gerne etwas dazu bei.


Die Voraussetzung dafür?
Mitarbeiter können nicht gut damit umgehen, wenn ihr Chef zuvor nie mit ihnen gesprochen hat, immer nur Befehlsausgabe geherrscht hat und es dann, wenn es schwierig wird, plötzlich heißt: Wir sitzen alle in einem Boot. Das funktioniert dann nicht mehr. Das durchschauen die Mitarbeiter, die denken sich, klar, jetzt wo es schwierig wird, sollen wir alle zusammenhalten, wenn es dann wieder besser läuft, sind wir wieder nur die Ruderer und die anderen die Anschaffer.


Welche Rolle spielt Autorität in der Führungskultur?
Gute Führung basiert auf Respekt und Disziplin, dafür braucht es nicht den Ober und den Unter. Ein Chef sollte sich mehr als Dirigent verstehen, das ist nicht der, der am besten Geige spielt, weil dann sollte er besser erste Geige spielen. Er muss einer sein, der am besten dazu imstande ist, alle Instrumente im Orchester so zu kombinieren, dass am Ende eine beeindruckende Gesamtleistung herauskommt. Und das erfordert ein gegenseitiges Verständnis für die Rolle.


Wie hängen Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg zusammen?
Eine starke Unternehmenskultur, ein starkes Wir-Gefühl und Zusammenhalten ist das Grundrezept für die Bewältigung einer Krise. Denn Krisen lassen sich ja nicht immer vermeiden, sind auch nicht immer hausgemacht. Eine starke Kultur ist das wichtigste Rezept für den Umgang damit. Es ist auch ganz entscheidend, dass Unternehmen auf ihre Werte achten und diese auch definieren. Was ist die Fahne, die wir als letzte aus der Hand geben, wenn es uns einmal schlecht geht? Diese über Bord zu werfen, ist nichts anderes als eine Beschleunigung der Krise.


Brauchen wir hierzulande mehr Mut zum Risiko?
Speziell in Mitteleuropa wissen wir oft gar nicht mehr, wozu wir eigentlich im Stande sind. Wir hören oft schon von klein auf Dinge wie: ‘Du wirst dich einmal anschauen, bleib immer schön bescheiden und riskier am besten nix und such dir einen sicheren Job, ob du den dann gerne machst, ist nicht so wichtig, Hauptsache sicher’. Dadurch haben viele Menschen aber verlernt, ihre eigene Kreativität und Kraft zu entdecken. Ich möchte den Menschen immer wieder in Erinnerung rufen, mit welcher Begeisterung sie eigentlich als Kinder schon etwas neues gelernt haben. Es ist wichtig, nicht immer nur in diesen Untergangsgesang unserer Kultur miteinzustimmen, dass eh nix geht und alles schwierig ist … alles nur negativ sehen, dagegen wehre ich mich mit aller Kraft.