Begleitet von Protesten haben in Brüssel die Verhandlungen über die Zukunft des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat in Europa begonnen. Vor dem Gebäude, in dem die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission bis Donnerstag beraten, protestierten am Mittwoch Demonstranten gegen eine mögliche Verlängerung der Zulassung. Auch in Wien und Berlin waren die Umweltschützer aktiv.

"Stop Glyphosat" war auf Plakaten zu lesen. Weitere Proteste waren für den frühen Nachmittag im Brüsseler Europaviertel geplant. Eine Entscheidung zu Glyphosat wird nach Angaben von EU-Diplomaten erst für Donnerstag erwartet. Zunächst würden die einzelnen EU-Mitgliedstaaten ihre Positionen darlegen, hieß es.

Deutsche Haltung unklar

Die unter Umständen entscheidende Haltung der deutschen Bundesregierung war auch zu Verhandlungsbeginn weiter unklar. Das Landwirtschaftsministerium ist für eine Verlängerung, die SPD-geführten Ressorts wie das Umweltministerium dagegen. Sollte es bis zu einer möglichen Abstimmung weiter bei diesem Patt bleiben, müsste sich Deutschland enthalten.

Für Österreich nimmt die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, AGES, an dem Treffen teil. Die Position der AGES ist: Verbot für Privatleute und öffentliche Körperschaften. Landwirte sollen das Mittel weiterhin in bestimmten Fällen und unter strengen Schutzmaßnahmen nutzen dürfen.

Laut AGES bleibt im Falle der Nichtverlängerung - neun Jahre wären vorgesehen - den EU-Staaten dann nur noch die Option, darüber zu entscheiden, wie lange Mittel mit Glyphosat noch verkauft werden können - das wären dann maximal 18 Monate. Es gebe zudem keine geprüften und zugelassenen Alternativen, die den Stoff vollwertig ersetzen.

Neue WHO-Studie

Seit Montag liegt jedenfalls eine WHO-Studie vor, wonach ein Krebsrisiko durch Glyphosat-Rückstände in der Nahrung unwahrscheinlich ist. Das stellten Experten der Welternährungsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fest. Die Aussage deckt sich auch mit der Einschätzung der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), auf die sich die EU-Kommission beruft.

Eine andere, bereits länger bekannte WHO-Studie der Internationalen Behörde für Krebsforschung (IARC) kam hingegen zu dem Schluss, dass der Stoff wahrscheinlich krebserregend ist. Diese differierenden Ansichten sind mit dem Unterschied zwischen Risikoeinschätzung und Gefahreneinschätzung zu erklären. Während letztere sich damit beschäftigt, ob ein Stoff grundsätzlich Krebs auslösen kann, geht es bei der ersten Frage darum, zu klären, ob die üblichen Rückstandsmengen eine Gefahr für den Konsumenten darstellen.

Für den Obmann der österreichischen IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IPG), Christian Stockmar, ist die fachliche Sicht der Dinge klar und mit der FAO-Einschätzung sei die EFSA bestätigt worden. "Hier wurde die Unbedenklichkeit attestiert", sagte er im Gespräch mit der APA, und in der Wissenschaft gebe es nie ein Nullrisiko, fügte er hinzu. "Die IARC hat gar nicht die Aufgabe, einzuschätzen, wie die Stoffe in ihrer Verwendung wirken, sondern beurteilt nur den Stoff für sich. Man muss das aber in Relation setzen, wie der Stoff in Verwendung ist. Kochsalz wäre sonst auch bedenklich", argumentierte Stockmar, da dieses ab einer gewissen Dosis schädlich für den Menschen sein kann.

Kritik an Studie

Eine konträre Haltung hat die Umweltschutzorganisation Global 2000 zu den Studien über Risiko- und Gefahreneinschätzung und ist daher gegen eine Wiederzulassung. "Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass sich für krebserregende Stoffe, die erbgutschädigend sind, keine sichere Dosis bestimmen lässt, unter dem die Substanz keine schädliche Wirkung hat", sagte der Chemiker der NGO, Helmut Burtscher. Er ortete daher einen Widerspruch zwischen dem "Sachverständigenausschuss für Pestizidrückstände" (JMPR) der FAO/WHO und der IARC. Ersterer sage, dass sich für Glyphosat sichere Grenzwerte ableiten lassen, weil der Stoff nicht erbgutschädigend sei. Die IARC habe hingegen festgestellt, dass es starke Belege bzw. Beweise ("strong evidence") für die Genotoxiztät von Glyphosat gebe. Burtscher kritisierte zudem, dass beim JMPR zumindest zwei Mitglieder mit Verbindungen zur Gentech- und Lebensmittelindustrie-Lobbyorganisation ILSI (International Life Sciences Institute) gebe.

Kritik an der aktuellen Studie kommt auch von den Grünen: "Dass ausgerechnet jetzt, wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung, eine neue UN-Studie die angebliche Unbedenklichkeit des Totalherbizids bescheinigen soll, ist eine leicht durchschaubare Chuzpe", sagte die grüne Delegationsleiterin im EU-Parlament, Ulrike Lunacek. Alternativen zu Glyphosat gebe es genug.

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