Der Ölpreis im freien Fall: Erstmals seit fast sechs Jahren ist der Preis für die wichtige Nordseesorte Brent zwischenzeitlich unter die Marke von 50 Dollar je Fass gerutscht. "Die Stimmung an den Rohölmärkten ist so schlecht wie seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr", urteilt NordLB-Analyst Frederik Kunze.

Ein Überangebot bei gleichzeitig schwächelnder Nachfrage setzt den Preisen seit Monaten zu - seit Juni verbilligte sich Brent um mehr als die Hälfte und kostet inzwischen wieder so wenig wie zuletzt im Frühjahr 2009, als der Welthandel nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers kollabiert war. Experten befürchten einen weiteren Preisverfall. "Die Marke von 40 US-Dollar je Barrel ist (...) für Brent ein zunehmend wahrscheinliches Szenario", sagt Kunze.

Hoffen auf Geldspritze der EZB

Viele Anleger sehen den Preisverfall als Zeichen für die angeschlagene Weltwirtschaft. Entsprechend nach unten ging es in den vergangenen Tagen auch an den Aktienmärkten. Der deutsche Aktienindex DAX kommt seit Jahresanfang auf ein Minus von 3,4 Prozent - am Mittwoch hielt er sich mit 9.520 Zählern allerdings 0,5 Prozent im Plus. Händlern zufolge setzen immer mehr Investoren auf baldige weitere Geldspritzen der Europäischen Zentralbank (EZB), um die Wirtschaft in der Eurozone anzukurbeln. Die Zentralbanker entscheiden am 22. Jänner über ihren Kurs. Die Spekulationen auf eine weitere Lockerung der Geldpolitik drückten den Euro mit 1,1853 Dollar auf den tiefsten Stand seit neun Jahren.

Hauptgrund für den Ölpreisverfall ist das Überangebot durch den "Fracking"-Boom in den USA. Dabei wird Erdgas mit Hilfe technisch aufwendiger Verfahren aus Schieferstein gelöst. Gleichzeitig leidet die Nachfrage durch das schwächere Wachstum vor allem in China, einem Top-Rohstoff-Verbraucher. Nobuyuki Nakahara, Ex-Vorstandsmitglied der Bank von Japan und ehemaliger Manager in der Ölindustrie, hält sogar einen Rückgang der Preise auf bis zu 20 Dollar je Barrel für möglich. Brent wurde am Mittwoch zeitweise nur noch mit 49,66 Dollar (41,68 Euro) je Fass gehandelt, das US-Öl WTI mit 46,83 Dollar je Barrel.

Keine Kürzung der Fördermengen

Trotz des rasanten Preisrutsches gibt es weiter keine Hinweise auf eine mögliche Kürzung der Fördermengen durch die OPEC. Innerhalb des Öl-Kartells hat sich vor allem Saudi-Arabien gegen eine geringere Förderung ausgesprochen und gewährt stattdessen seinen Abnehmern Rabatte. Das Kalkül: Die Förderung soll für Konkurrenten wie die Fracking-Firmen in den USA unrentabel werden. Wenn diese dann aufgeben, verringert sich das Angebot und sorgt damit langfristig wieder für steigende Preise.

Der Preisverfall setzt derzeit vor allem Ölkonzernen wie BP, Shell oder Exxon zu. Die im europäischen Branchenindex gelisteten Firmen haben seit Jahresmitte zusammengerechnet mehr als 200 Mrd. Dollar an Börsenwert eingebüßt. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Portugals. Am Mittwoch verloren BP und Shell an der Londoner Börse jeweils rund 0,5 Prozent.

Kleines Konjunkturpaket

Experten hoffen angesichts der sinkenden Preise aber auf einen deutlichen Schub für die Wirtschaft. "Der Ölpreiseinbruch kommt als Konjunkturpaket gerade recht", sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, der "Bild"-Zeitung. Sollte der Preis auf dem aktuellen Niveau bleiben, würden Unternehmen und Haushalte in diesem Jahr um 20 Mrd. Euro entlastet. "Die Verbraucher profitieren an der Tankstelle und nicht zuletzt beim Heizen. Aber auch die Industrie spart ebenso wie Fluggesellschaften oder Spediteure."

Die Aktien der Lufthansa, Air France, der British-Airways-Mutter IAG und des Billig-Anbieters Ryanair konnten in den vergangenen drei Monaten bereits zwischen 15 und 35 Prozent zulegen. Am Mittwoch rückten sie jeweils rund 1,5 Prozent vor.

Preis macht Russland zu schaffen

Unterdessen macht der fallende Ölpreis Russland mehr zu schaffen als die Sanktionen des Westens, wie der Russland-Beauftragte der deutschen Bundesregierung, Gernot Erler, sagte. Für die Eurozone hingegen hoffen Experten angesichts der sinkenden Ölnotierungen auf einen deutlichen Schub. Sollte der Preis auf dem aktuellen Niveau bleiben, würden Unternehmen und Haushalte in diesem Jahr um 20 Milliarden Euro entlastet, sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Der niedrigere Eurokurs könnte zudem der Exportindustrie in der Eurozone auf die Beine helfen.