Über die Dorfstraße in Krasnaja Poljana schleppt die alte Frau ihre Habseligkeiten. Freundlich schaut sie in die Kamera. "Olympija?" errät sie die Neugierde des abseitigen Besuchers. Denn um diese Zeit kommt kaum ein Gast in die Gegend, nicht einmal der Wintereinbruch. Zehn Zentimeter Neuschnee reichen gerade für eine Schneeballschlacht unter den um bessere Stimmung bemühten Dolmetscherinnen. "Krasnaja Poljana heißt so viel wie Rotes Tal, wegen des roten Farns, der hier wächst. Oder es heißt auch Schönes Tal", übersetzt Jelena.

Sotschi-Porträt

Restschimmer. Doch jetzt ist das hoch gelegene Rote Tal so aschgrau wie die unten am Meer liegende Stadt Sotschi. Dort hat man die Palmen, welche die Hauptstraße, den Kurortnyi Prospekt, säumen, mit Lichterketten umkleidet, um vom Glanz des vergangenen subtropischen Kursommers einen Restschimmer in den Winter hin-überzuretten. Sofern der beinahe wöchentliche Stromausfall ihn nicht ganz auslöscht. Das Parkhotel gleich hinter der mondänen Uferpromenade, die mit Grobkieselstrand und Palaisbauten mit Magnolien und Oleanderbüschen an Nizza oder Cannes erinnert, ist derzeit so leer wie heruntergekommen. "Wir sind noch nicht olympiafit", gesteht die Rezeptionistin.

Im Roten Tal. In dem Palmenort am Schwarzen Meer und dem Roten Tal 50 Kilometer darüber ahnt ein Besucher derzeit kaum, dass hier 2014 Olympische Winterspiele stattfinden könnten. "Sotschi lebt von vier Monaten im Sommer", erklärt Jana, 21, die sich als "Transport-Managerin", genauer: Busbegleiterin, mit uns den Ausflug hinauf ins Rote Tal gönnt. Außer einem neuen Appartement-Block der Radisson-Hotelgruppe und einigen Rohbauten ist an Krasnaja Poljana kaum ein Wintersportort erkennbar. Von 120 geplanten Seilbahn-Kilometern steht erst eine neue Gondelbahn, zu der uns Danju Worobiov, Vertragsmanager des Organisationskomitees, hinführt. Sie ist noch nicht in Betrieb. Daneben, beim "Gornaja Karusel", wo einmal alle Schibewerbe stattfinden sollen, fährt eine alte Zweiersesselbahn - mit Kettenverschluss am Sitz. Neben den wenigen Autos am Parkplatz besteht das Shopping-Angebot aus zwei Ständen mit Buchsbaumhonig und Honigbier.

Wie der Rubel rollt. Nein, die Leute aus Sotschi fahren hier kaum Schi, sie selbst auch nicht, erzählt Jana. Die 800 Rubel für die Lift-Tageskarte könne sie sich nicht leisten. 12.000 Rubel verdient sie im Monat, knapp 350 Euro. Die Kellnerinnen in den Kurbetrieben kommen auf 15.000 Rubel, die zahlreichen Kurärzte und Schwestern verdienen hingegen weniger, "weil sie staatliche Beamte sind". Dabei sei Sotschi wegen der reichen Urlauber aus Moskau ein teures Pflaster: "Allein die Wohnung kostet 3000 Rubel im Monat."

Jetzt soll der Rubel richtig anrollen. "10.000 Arbeitsplätze erwarten wir durch Olympia", erzählt Danju und zeigt auf ein Niemandsland am Berghang des Kaukasus: "Hier bauen wir die Sprungschanzen." Selbst mit angestrengten Augen sind nicht mehr als ein paar Mauerteile zu erahnen. Dann führt er uns stolz hinauf nach Roza Khutor, wo neben einer neuen Seilbahn- und Kraftwerksstation ein lang gezogener neuer Appartement-Komplex steht. Das Grandhotel Poljana soll noch im Dezember eröffnen. Es gehört dem mächtigen staatlichen Petro-Konzern Gazprom. Oberhalb sind die Langlauf- und Biathlon-Bewerbe geplant und ein eigenes Schizentrum der Gazprom. "Die Projekte werden an Freunde vergeben, die sich dann die Leute suchen, die die Arbeit können", beschreibt der österreichische Handelsdelegierte in Moskau, Johann Kausel, das nahe liegende Vergabe-Prinzip der staatlichen Olympstroj, was so viel wie Olympia-Neubau heißt. Die großen Brocken sind schon so gut wie aufgeteilt.