Im letzten Interview mit unserer Zeitung haben Sie gesagt: "Es wird einen Tag nach der Krise geben." Wurde dieser Tag bereits erreicht?

DIETER HUNDT: Ja. Den Tag nach der Krise haben wir gesehen. Ich warne aber davor, noch ist der Stand vor der Krise nicht erreicht. Und noch gibt es einige Risiken, die ich nicht dramatisch beurteile, die man aber sorgfältig beobachten muss.

Welche Risiken sehen Sie?

HUNDT: Das ist zum einen die Entwicklung in den USA. Dort fasst die Konjunktur nicht in dem Maße Fuß, wie es sein müsste. Ich gehe auch davon aus, dass sich das derzeit überragende Wachstum in China abschwächen wird. Manche fürchten dort ja eine Immobilienkrise, ähnlich der in den Vereinigten Staaten. Vor allem müssen wir aber bedenken, dass eine beträchtliche Zahl unserer Länder in Europa, auch der Euro-Zone, unter einer dramatischen Verschuldung ächzt und stöhnt. Und da muss sich erst zeigen, dass daraus keine weiteren, größeren Probleme werden.

Was erwarten Sie?

HUNDT: Ich bin optimistisch, es geht deutlich aufwärts. Wir werden in diesem Jahr in Deutschland vorübergehend sogar einmal unter drei Millionen Arbeitslose kommen. Nachdem die Prognostiker noch vor einem Jahr die Horrorzahl von fünf Millionen Arbeitslosen in die Welt gesetzt haben.

Sie haben es angesprochen, noch vor einem Jahr hätte niemand solche Wirtschaftsdaten für möglich gehalten. Ist Ihnen die Rasanz dieser Entwicklung noch geheuer?

HUNDT: Zunächst einmal ist das sehr erfreulich. Wir sind im Vorjahr auch dramatisch abgestürzt. Es ist aber eine Tatsache, dass es jetzt steiler aufwärtsgeht, als noch zu Jahresbeginn selbst von großen Optimisten - zu denen ich mich zähle - erwartet wurde. Auf der anderen Seite müssen wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass wieder eine Beruhigung eintreten wird. Aber es gibt wirklich Anlass, erstens zufrieden zu sein und zweitens mit Optimismus in die Zukunft zu blicken.

Deutschland ist die Konjunkturlokomotive Europas, von der auch Österreich und die Steiermark stark profitieren. In einigen anderen Ländern Europas ist das Wachstum aber noch kaum ausgeprägt. Wie lange lässt sich diese dominante Rolle Deutschlands aufrechterhalten?

HUNDT: Ich habe immer die Verpflichtung und Verantwortung Deutschlands innerhalb der EU gesehen, tatsächlich Wirtschafts- und Konjunkturlokomotive zu sein. Dieser Verpflichtung sind wir nicht immer nachgekommen. Im Moment, in der Überwindung der Krise, sind wir es. Ich meine, das ist unsere Verantwortung als bevölkerungs- und wirtschaftsstärkstes Land. Wir ziehen die anderen Länder ja auch mit. Österreich profitiert durch übermäßig steigende Exporte in andere Länder und auch nach Deutschland selbst.

Für Österreich und auch die Steiermark ist Deutschland der mit Abstand wichtigste Handelspartner. In welchen Bereichen sehen Sie noch Entwicklungspotenziale?

HUNDT: Entwicklungspotenziale gibt es immer. Wir haben ja lange Zeit mit Bewunderung auf die Entwicklung in Österreich geblickt. Die Beschäftigungsentwicklung, die Steuerbelastung für die Unternehmen, das Wirtschaftswachstum - eine Vielzahl von Kennzahlen waren über viele Jahre vor der Krise in Österreich besser als in Deutschland. Also Österreich ist da auf einem vergleichbar guten Niveau. Ich denke, im Moment haben wir einige Nachteile wieder aufgeholt. Ich halte die wirtschaftliche und industrielle Verflechtung dieser beiden Länder für ein ganz wesentliches Fundament in Europa.

Diese überraschend positiven Wachstums- und Arbeitsmarktzahlen scheinen in Österreich, zum Teil auch in Deutschland, die Dringlichkeit des Sparens, der Budgetsanierung wieder etwas zu überlagern. Sehen Sie diese Gefahr?

HUNDT: In beiden Ländern waren Ansätze da, wirklich zu sparen und gezielt die Verschuldung abzubauen. In Deutschland wurde ja ein sehr anspruchsvolles Programm aufgelegt, wo bis 2014 über 80 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Es ist durchaus guter Wille vorhanden. Der derzeitige wirtschaftliche Aufschwung ist aber auch ein süßes Gift. Auch bei uns werden jetzt die Stimmen von Tag zu Tag zahlreicher, die Wünsche präsentieren, diese Sparverpflichtungen wieder einzuschränken. Etwa weil sie meinen, dass das Steueraufkommen jetzt wieder besser ist und die Ausgaben für Arbeitslosengelder sinken. Davor kann ich nur nachdrücklich warnen. Ganz Europa ist so dramatisch verschuldet, dass höchste Spardisziplin dringend erforderlich ist. Davon dürfen wir uns nicht abbringen lassen.

Wie sehen Sie diese Gratwanderung zwischen Stimulierung - die auch in der Wirtschaft noch einige Branchen für notwendig halten - und dem Sparzwang?

HUNDT: Was das Sparen betrifft, sollten wir uns im Wesentlichen auf den Ausgabenbereich beschränken. Investitionstätigkeiten sollten nicht angetastet werden. Grundsätzlich müssen wir sparen, aber das derzeitige Wachstum darf nicht durch neue Belastungen eingeschränkt werden. Vor dieser Entwicklung warne ich tagtäglich.