S ie gelten als bekanntester Börsenmakler Deutschlands und beschäftigen sich schon Ihr ganzes Berufsleben mit der Börse. Haben Sie in den Chaostagen der letzten Zeit Ihrer Börse auch einmal gegrollt?

MÜLLER: Nein. Überhaupt nicht. Die Börse, so wie ich sie kennengelernt habe, war von jeher der Platz, an dem Menschen ohne Geld, aber mit Ideen mit Leuten zusammengetroffen sind, die Geld, aber keine Ideen hatten. Leider hat sich die Börse von dieser Aufgabe etwas entfernt.

Hätten Sie sich einmal vorstellen können, dass die Finanzmärkte zum Dauer-Thema in Talk-Shows werden?

MÜLLER: Offen gestanden nicht. Wobei das auch bezeichnend für die derzeitigen Entwicklungen ist. Im Augenblick kümmern sich so viele Menschen wie noch nie um ihr Geld. Mir stellen plötzlich Taxifahrer Fragen zu Anlagemöglichkeiten und Altersvorsorge. Die Menschen beschäftigen sich mit ihrem Geld und dem Umgang damit. Das ist doch gut.

Wie belastend waren die vergangenen zwei Jahre, seit die Finanzkrise eskaliert ist?

MÜLLER: Das sind höchst spannende Zeiten. Derzeit wird Geschichte geschrieben. In 20 Jahren werden wir sagen: Mensch, damals waren wir dabei. Aber natürlich ist die Belastung im Moment extrem. 24 Stunden Finanzmarkt. Finanzmarkt, rund um die Uhr. So intensive Zeiten über einen so langen Zeitraum, daran kann ich mich nicht erinnern. Es ist so unheimlich viel in Veränderung.

Was hat sich verändert?

MÜLLER: Wir haben früher jahrelang über Einzelunternehmen diskutiert und welche Zahlen es wohl vorlegen wird. Und jetzt sprechen wir über ganz andere Themen. Wir sprechen über Finanzthemen, das Geld an sich. Wir sprechen über Verwerfungen der Märkte. Über Politik. Es ist ein riesiger Umbruch. Meine große Hoffnung ist, dass dieser Umbruch, der kommen wird, der kommen muss, dass der für die Menschen so schmerzlos wie möglich wird. Mit so wenig Einschnitten wie möglich.

Über die Regulierung der Finanzmärkte wird zwar geredet. Getan hat sich nicht viel. Wie stehen Sie zur geplanten Zähmung der Hedgefonds?

MÜLLER: Die ist notwendig. Von jeder Kuh wissen wir, wie viel Milch sie gibt, von den Hedgefonds wissen wir gar nichts. Daran muss sich etwas ändern.

Große Aufregung gab es um das deutsche Verbot von ungedeckten Leerverkäufen. Zu Recht?

MÜLLER: Gedeckte Leerverkäufe sind wichtig, die wirken stützend. Aber ungedeckte Leerverkäufe - es kann nicht sein, dass mehr Aktien verkauft werden können, als real vorhanden sind. Das ist pervers. Es geht doch nicht, dass Dinge verkauft werden, die überhaupt nicht existieren.

Wo müsste man bei Regulierungen aus Ihrer Sicht ansetzen?

MÜLLER: Riskante Geschäfte dürften nicht mit Fremdkapital getätigt werden. Wenn jemand zocken will, soll er's machen. Aber bitte mit seinem Geld. Die Banken, das Finanzsystem müssen zurückgestuft werden. Zu Dienstleistern für die Wirtschaft. Das Finanzsystem ist wichtig, die Banken sind wichtig. Aber das Spiel mit sich selbst muss ein Ende haben.

Wie ist es um den Euro bestellt?

MÜLLER: Der große Fehler des Euro ist, dass es eine Währungsunion gibt, aber keine politische Union. Jedes Euro-Land betreibt seine eigene Politik. Das müsste sich ändern, schnell ändern. Doch ich bin skeptisch.

Lässt sich die Schuldenkrise mit dem Milliarden-Rettungsfonds in den Griff bekommen?

MÜLLER: Die Verschuldung wächst uns über den Kopf, das ist ein Problem und das kriegen wir auch mit diesen Entscheidungen nicht vom Tisch.

Sehen Sie eine Lösung?

MÜLLER: Ich denke, man wird die Schulden völlig neu verhandeln müssen.

Was bedeutet das?

MÜLLER: Die Zinsen für bestehende Staatsanleihen müssten gesenkt werden und die Laufzeit verlängert, etwa auf 30 Jahre. So wären die Staaten schnell von der Zinslast ihrer Schulden befreit. Dann wären auch wieder Investitionen möglich. Ohne dass der Einzelne große Einbußen hinnehmen muss.

Sie sind Stammgast auf Titelseiten internationaler Zeitungen. Ein eigenartiges Gefühl?

MÜLLER: Das ist vollkommen verrückt. Aber jeder Kaninchenzüchter freut sich, wenn er einmal in der Zeitung ist, das ist bei einem Börsenmakler nicht anders.