Die Preise für zahlreiche Agrarrohstoffe klettern von Rekord zu Rekord, die hohe Inflation basiert zu einem Gutteil auf den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Würden Sie von einer Lebensmittelkrise sprechen?

WOLFGANG HIRN: Ich würde von der zweiten großen Nahrungsmittelkrise nach 2008 sprechen, ja. Es gibt aber Unterschiede. 2008 war etwa Reis sehr knapp, was diesmal dank guter Ernten nicht der Fall ist. Die Lager sind zum Teil voller, damals waren die Reserven sehr knapp. 2010 gab es aber einen Knacks durch Russland und dann ging's wieder los. Man sieht also: Es reicht eine Missernte irgendwo in einem wichtigen Produktionsland und schon gibt's massive Probleme. Das zeigt, wie labil und volatil das System ist.

Vielfach wird die Ursache in der Spekulation mit Agrarrohstoffen gesehen, zu Recht?

HIRN: Spekulanten spielen sicher eine Rolle. Die Frage ist aber, wie groß der Einfluss tatsächlich ist. Spekulanten sind nicht die Auslöser dieser Krise. Aber sie verstärken sie, weil sie sich gewissermaßen auf diese Krise draufsetzen. Sie hängen sich dran. Meine Position ist, dass ich die Spekulation mit Lebensmitteln moralisch nicht für gerechtfertigt halte.

Wird die nächste Krise von der Rohstoffseite kommen, wie das von vielen Seiten prognostiziert wird?

HIRN: Das ist ein ganz großes Problem, nicht nur bei Agrarrohstoffen. Hier kommt vor allem China mit ins Spiel, wo der Rohstoffbedarf weiter massiv steigt. Das wird natürlich auch die Preise weiter nach oben treiben. Der Kampf um die Rohstoffe wird weltweit stark zunehmen. Hier sehe ich uns in Europa in einer deutlich schwächeren Position, China geht viel strategischer vor. Irgendeine Rohstoffpolitik braucht aber auch Europa, das muss ja nicht kolonialistisch sein. Aber die Frage, wie wir uns in Zukunft Rohstoffe sichern, ist entscheidend.

Wo sehen Sie die Hauptursache für den von Ihnen analysierten globalen Kampf ums Brot?

HIRN: Hier gibt es eine Reihe von Ursachen. Hervorzuheben ist sicherlich der Klimawandel. Man sagt da immer so leicht, naja, das war jetzt eine Missernte. Aber diese Missernten häufen sich, ist das jetzt ein Zufall? Ich glaube das nicht. Zahlreiche renommierte Wissenschaftler kommen zum Ergebnis, dass der Klimawandel gravierende Auswirkungen auf die Landwirtschaft hat und noch haben wird und dass dadurch die landwirtschaftliche Produktion, global gesehen, in den nächsten Jahren zurückgehen wird. Gleichzeitig steigt die Nachfrage massiv.

Woran liegt es, dass nach der Nahrungsmittelkrise von 2008, die auch von sozialen Unruhen begleitet war, so schnell zur Tagesordnung übergegangen wurde?

HIRN: 2008 im Herbst kam die Finanzkrise, die hat thematisch alles überlagert und vorübergehend auch zu niedrigeren Rohstoffpreisen geführt. Dadurch ist das Thema aus der Öffentlichkeit verschwunden. Man hat in diesen zwei Jahren dann leider nichts getan, man hat das mehr oder weniger ausgeblendet. Und jetzt ist das Thema wieder da, wenig überraschend. Das Thema wird uns erhalten bleiben, auch die Proteste werden wieder kommen. Ich wünsche mir das nicht, aber wenn die Menschen in der Dritten Welt zwischen 70 und 100 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben müssen und die Preise steigen dann mal schnell um 20 Prozent, hat das natürlich andere Auswirkungen als bei uns.

Was können Verbraucher tun?

HIRN: In allererster Linie einmal weniger wegschmeißen. Es ist brutal, wie viel wir als Verbraucher in unseren satten westlichen Ländern wegwerfen. Es ist irrsinnig, erschreckend. Insgesamt muss auch weniger Fleisch gegessen werden. Ich bin kein Vegetarier, ich komme aus Baden-Württemberg, da essen wir alle gerne Fleisch und Wurst. Man darf aber nicht vergessen, wie viel Futter und Wasser im globalen Kontext für die Tiere benötigt wird, das ist enorm. Und natürlich sollten wir auch verstärkt auf regionale Produkte zugreifen, schon aus ökologischen Gründen.

Wie schafft man das?

HIRN: Insgesamt müssen Lebensmittel mehr Wertigkeit bekommen, die Menschen müssen Nahrung wieder schätzen. Wir gehen mit keinem Produkt intensiver um als mit Lebensmitteln. Das ist eine Intimbeziehung. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass uns das alles immer weniger wert ist. Der Fokus liegt auf Schnäppchen-Geschichten, wenn ein Kilo Schweinegulasch 2,59 Euro kostet, dann ist das ein Wahnsinn, das kann ja kein Qualitätsprodukt sein.

Werden Lebensmittel teurer?

HIRN: Lebensmittel werden teurer werden, absolut. Wenn meine These stimmt, dass Angebot und Nachfrage immer weiter auseinanderklaffen, dann wird der Preis für Nahrung logischerweise nach oben gehen.