Kaum geistert das von Rezession und Finanzkrise vertriebene Inflationsgespenst wieder durch die Welt, schon bricht ein alter Streit zwischen den Notenbankern auf: Federal Reserve in den USA und die Europäische Zentralbank (EZB) entzweit, ob sie mit ihren Leitzinspfeilen die Teuerung mit oder ohne die stark schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel ins Visier nehmen. Im Fachjargon: core inflation oder headline inflation. Auf diese Frage geben die großen Notenbanken ganz verschiedene Antworten geben: Die Fed schaut auf erstere, die EZB auch weiter aufs große Ganze, also die Teuerung, die die Menschen auch jeden Tag spüren.

Das hat EZB-Chef Jean-Claude Trichet nun im "Wall Street Journal" nochmals klar gemacht. Taktisch klug, kurz bevor in Davos die wichtigsten Politiker und Wirtschaftsführer die Lage des Planeten diskutieren und dabei auch an diesem Thema nicht vorbeikommen dürften, und nicht ohne Seitenhieb auf seinen Amtskollegen Ben Bernanke: "In den USA schätzt die Notenbank Federal Reserve die Kerninflation als einen guten Prädiktor (vorlaufenden Indikator) für die Gesamtinflation ein." In der Euro-Zone hingegen "ist die Kerninflation nicht unbedingt ein guter Prädiktor".

Gemessen an seiner normalerweise vor subtilen diplomatischen Nuancen strotzenden Sprache wird Trichet damit sehr deutlich und erteilt dem Konzept der Amerikaner erneut eine Abfuhr. "Trichet sagt ganz klar: schaut auf die ganzen Zahlen, guckt Euch an, was mit den Energiepreisen und bei den Nahrungsmitteln passiert und sorgt Euch darum. Das ist ein klares Signal auch an andere Zentralbanken, speziell ein Signal an die USA", urteilt Simon Derrick von der Bank of New York Mellon am Montag auf Reuters Insider.

Interessanter Randaspekt: Noch im Herbst vorvergangenen Jahres veröffentlichte die EZB in ihrem Monatsbericht einen Aufsatz, in dem zum Erstaunen vieler Beobachter auch positive Argumente für das Konzept der Kerninflation zu finden waren. Doch der Flirt dauerte offenbar nicht lange, da der Wind nun rauer wird, die Teuerungsraten weltweit anziehen und auch die französische G-20-Präsidentschaft den Kampf gegen steigende Lebensmittelpreise zur Top-Priorität erklärt hat.

Ein wichtiger Unterschied

Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen den beiden Messgrößen Kern- und Verbraucherpreisinflation, um die der Streit der Geldpolitiker sich seit vielen Jahren dreht? Und warum gießt Trichet gerade jetzt Öl in dieses zuletzt ja, wenn überhaupt, nur noch glimmende Feuer? Zunächst: Rechnet man die Teuerung von Öl, Benzin, Brot, Milch und Zucker in die Rate nicht ein, dann erhält man die Kerninflation. Sie ignoriert die beiden am stärksten schwankenden Komponenten, Nahrungsmittel und Energie, und ist deshalb eine recht stabile Größe, die sich erst dann bewegt, wenn es wirklich brennt. Doch, so die Kritik an diesem Konzept: Ohne Eier, Gemüse, Fleisch und Erdgas ist das Leben kaum vorstellbar. Also geht ein solcher Maßstab an der Wirklichkeit der Menschen vorbei, die Preisänderungen bei Gütern des täglichen Bedarfs besonders heftig im Geldbeutel spüren.

Die Lösung des Problems heißt Verbraucherpreisinflation und ist jene Messgröße, die nach Lesart der EZB in den 17 Euroländern nicht mehr als "knapp unter zwei Prozent" pro Jahr steigen darf. Pech nur für EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und den EZB-Rat, dass bereits im Dezember der Anstieg der Verbraucherpreise in der Euro-Zone diese Schallmauer überwunden hat. Sie lag mit einem Plus auf Jahressicht von 2,2 Prozent so hoch wie seit gut zwei Jahren nicht mehr und dürfte zu allem Überfluss wegen der weltweit um sich greifenden Teuerung noch weiter steigen. Würde die EZB die Inflation so messen wie die Kollegen bei der Fed in Washington, wäre das kein Thema: die Kerninflation in der Euro-Zone liegt nämlich mit 1,1 Prozent komfortabel unter der von der EZB anvisierten Zielmarke.

Doch nun sind Trichet und die anderen Hüter des Euro alarmiert, haben dies seit Mitte Jänner wiederholt öffentlich gesagt und damit der Spekulation Tür und Tor geöffnet, dass sie eventuell viel früher als erwartet ihre Geldpolitik straffen und an der Zinsschraube drehen. Seit vergangener Woche glauben daran neben vielen anderen auch die Experten der Deutschen Bank: "Die Botschaft (...) lautet, dass die EZB erforderlichenfalls zu Zinsanhebungen bereit ist. Es ist möglich, dass die EZB ihre unkonventionellen Maßnahmen beibehält, aber die Zinsen anhebt, um das Inflationsrisiko zu verringern. Die Konsensprognose - Zinsanhebungen erst in Q4 2011 - könnte zu locker sein. Wir erwarten den ersten Zinsschritt zum Ende des zweiten Quartals 2011." Der Leitzins in der Euro-Zone steht seit Mai 2009 bei rekordniedrigen ein Prozent.