Die Inflation im Euroraum zieht wieder an. Die Preise für Waren und Dienstleistungen in der 20-Länder-Gemeinschaft erhöhten sich im November um 2,3 Prozent binnen Jahresfrist, wie das EU-Statistikamt Eurostat am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte. Nach 2,0 Prozent im Oktober und 1,7 Prozent im September hatten befragte Volkswirte bereits damit gerechnet.

Für die Europäische Zentralbank (EZB) sind das aber keine guten Nachrichten. Denn damit liegt die Rate wieder über der von ihr mittelfristig angesteuerten Zielmarke von 2,0 Prozent. Gleichwohl halten Experten den Zinssenkungskurs der EZB nicht für gefährdet. In Österreich liegt man mit 1,9 Prozent knapp unter dem Stabilitätsziel.

Was Zinssenkungskurs stützt

„Der Anstieg der Inflation geht hauptsächlich darauf zurück, dass der vor einem Jahr zu verzeichnende Rückgang der Energiepreise in diesem Monat aus dem Vorjahresvergleich gefallen ist“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Laut Eurostat-Daten sinken die Energiepreise nicht mehr so stark wie noch zuletzt: Nach minus 4,6 Prozent im Oktober, verbilligte sich Energie im November nur noch um 1,9 Prozent. Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, ergänzt: „Für die nächsten Monate zeichnen sich Inflationsraten von 2,0 bis 2,5 Prozent ab.“ Auch wenn inflationsseitig längst nicht alles im Lot sei, werde die EZB die Leitzinsen im Dezember senken, so der Experte.

Ähnlich sieht das Stephanie Schoenwald von der deutschen Förderbank KfW: „Die EZB wird die geldpolitischen Zügel in der nächsten Sitzung erneut ein Stück weit lockern.“ Eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte hält sie für angemessen.

Aktuelle Zinssituation

Die EZB hatte im Zuge der abebbenden Inflationswelle, die im Oktober 2022 mit 10,6 Prozent ihren Höhepunkt erreicht hatte, im Juni erstmals wieder die Zinsen gesenkt. Sie legte dann im September und im Oktober nach. Der Einlagensatz, den Banken erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, und der inzwischen als Leitzins gilt, liegt derzeit bei 3,25 Prozent. Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, wurde ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte auf 3,40 Prozent gesenkt.

Die große Mehrheit der Ökonomen geht aktuell davon aus, dass die EZB auf ihrer Zinssitzung am 12. Dezember die Marke abermals senkt. Dies wäre heuer das vierte Mal. Zuletzt hatten manche Euro-Wächter angesichts der schwachen Konjunktur im Euroraum sogar einen großen Schritt nach unten von 0,5 Prozentpunkten erwogen.

Nachfragetief drückt Kerninflation

Die Kerninflation, in der die schwankungsreichen Preise für Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak herausgerechnet sind, lag im November wie schon im Oktober und September bei 2,7 Prozent. Die EZB verfolgt diese Messgröße genau, denn sie gilt als ein guter Indikator für zugrundeliegende Inflationstrends. Bert Colijn, Chefvolkswirt Niederlande bei der Großbank ING, geht davon aus, dass dort bald mit einer Entspannung zu rechnen ist „Die Erwartung einer anhaltend schwachen Nachfrage dürfte dazu beitragen, dass die Kerninflation in den kommenden Monaten sinkt“, so der Experte. Auch Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer erwartet einen Rückgang. Zwar sei die Kerninflation immer noch zu hoch. „Aber die Konjunkturschwäche begrenzt die Preissetzungsmacht der Unternehmen und sollte die Kerninflation nach der Jahreswende sinken lassen.“