Ziemlich genau zwei Jahre, nachdem der Chatbot ChatGPT für die Öffentlichkeit freigegeben wurde, ist die Nachfrage weiter ungebrochen. Für den September vermeldet OpenAI, das Unternehmen hinter dem Bot, gar einen neuen Rekord von 3,1 Milliarden Besuchern. Ein Wert, der um 112 Prozent über dem des Vorjahrs liegt und ChatGPT erstmals vor Microsofts Suchmaschine Bing reiht.
Zugleich hat sich der Höhenflug von Künstlicher Intelligenz längst vom großen Dammbrecher emanzipiert. In Deutschland etwa bahnt sich eine spektakuläre Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit, also dem Äquivalent zum österreichischen AMS, und dem KI-Start-up Aleph Alpha an. Dieses gilt seit geraumer Zeit als großer, europäischer Hoffnungsträger einer von US-Konzernen geprägten Technologie, kam aber zuletzt wegen Zweifeln an Technologie und Finanzierung unter Kritik. Jetzt aber soll die Arbeitsagentur in Summe bis zu 19 Millionen Euro für Produkte und Dienste des deutschen Start-ups rund um Gründer Jonas Andrulis ausgeben.
Wenn die KI den Bescheid schreibt
Zu tun hat das auch mit Demografie und dem Fakt, dass bis 2032 rund 35 Prozent der aktuell 115.000 Arbeitsagentur-Beschäftigten in Pension gehen. KI soll helfen, diese Lücke zu schließen. Erste Tests hätten laut der Agentur zudem Effizienzpotenziale aufgezeigt. Das Formulieren von Bescheiden etwa soll dank KI um 30 Prozent schneller funktionieren.
In Bewegung ist aber auch auf der anderen, dunkleren Seite von gängiger KI-Technologie einiges. So schickte die New York Times – die ja bereits in einem möglicherweise richtungsweisenden Rechtsstreit mit OpenAI und Microsoft steckt – der KI-Suchmaschine Perplexity eine Unterlassungsaufforderung, weil sie eine Urheberrechtsverletzung ortet. Passend dazu wurde in US-Medien die Geschichte des ehemaligen OpenAI-Mitarbeiters Suchir Balaji publik, der sich ebenfalls davon überzeugt zeigt, dass das Unternehmen Urheberrechte verletzt. Und zwar wissentlich.
„Es braucht ethische KI-Modelle“
Es ist einer dieser Punkte, die auch Michael Spranger am Herzen liegen. Spranger, ein gebürtiger Deutscher, ist heute operativ für die KI-Sparte des japanischen Riesen Sony zuständig – „Wir verfolgen, dass die Technologie dem Menschen hilft, verfolgen einen human-zentrierten Ansatz“. In Österreich sprach Spranger auf Einladung der Wirtschaftskammer zum Thema Künstliche Intelligenz.
„Wir werden im Bereich der Daten viel Bewegung sehen. Und das ist notwendig. Es braucht ethische KI-Modelle“, sagt Spranger im Interview mit der Kleinen Zeitung. Die Frage, „wie man endlich Datensätze erzeugen kann, die Urheberrechte beachten“, sei essenziell.
10 bis 20 Lehrjahre
Von der Geschwindigkeit der nunmehrigen KI-Revolution zeigt sich selbst der Forscher überrascht, der sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Technologie beschäftigt. „ChatGPT ist nicht vom Himmel gefallen, aber die Leistungsfähigkeit der Modelle hat sich schon extrem schnell extrem verbessert“, befindet Spranger. Wohin uns die Technologie per se führen wird? Spranger zeigt sich überzeugt, dass man „zehn bis 20 Jahre damit verbringen wird, zu verstehen, wo und wie man KI am besten einsetzt“. Zurzeit sei man in einer Experimentierphase, in die noch „viel mehr Leute“ eintreten müssten.
Kritisch sieht Spranger das zurzeit viel diskutierte Prinzip einer nahenden Superintelligenz, einer AGI (“Artificial General Intelligence“). Also einer KI, die allgemeine intellektuelle Aufgaben auf dem Niveau eines menschlichen Gehirns bewältigen kann. „Ich bin kein Freund dieses Konzepts“, sagt Sonys AI-Chef zur Kleinen Zeitung. „Es ist die falsche Richtung. Wir sollten über die Technologie als Tool nachdenken und nicht als menschliche Kopie“, sagt Spranger. Die „existenzbedrohende“ AGI-Debatte würde zudem von „viel wichtigeren Themen ablenken“.