Allein in Österreich kommen jeden Tag mehr als 30.000 Pakete an, versandt durch asiatische Handelsplattformen wie Temu und Shein. An geltende Regeln würden sich diese nicht halten, kritisiert der Handelsverband. „Nicht nur beim Versand und bei der Zustellung, sondern weit davor, wenn es darum geht, Kundinnen und Kunden anzuwerben und zum Kauf zu bewegen“, heißt es in einer Aussendung, in der Temu „unlautere Praktiken“ vorgeworfen werden.

Nun fordert der Handelsverband die Behörden auf, „einen fairen Wettbewerb am österreichischen Markt sicherzustellen“ und bringt eine Beschwerde gegen den Online-Marktplatz Temu bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) ein. Der Online-Marktplatz verstoße gegen mehrere Bestimmungen des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG).

Handelsexperte Werner Wutscher
Handelsexperte Werner Wutscher © Kk

Handelsexperte Werner Wutscher ortet den Versuch, „das Geschäftsmodell am Kunden selbst anzugreifen“ und abseits formal-bürokratischer Fragen wie der Problematik fehlender Verzollung bei Lieferungen unter 150 Euro gegen die Praktiken von Temu selbst vorzugehen. Das Vorgehen des Handelsverbandes sei „gescheit“, ein „weiterer Mosaikstein im Bemühen des Handels, sich gegen Temu zu wehren“.

Falsche Behauptungen

Der Handelsverband sieht beim chinesischen Online-Marktplatz falsche Behauptungen zur begrenzten zeitlichen Warenverfügbarkeit, irreführende Angaben zu Preisreduktionen und falsche Behauptungen zu angeblicher Warenknappheit.

So werde unrichtigerweise suggeriert, dass ein Produkt nur eine sehr begrenzte Zeit zu bestimmten Bedingungen verfügbar wäre. Auf der Website von Temu werde mit Behauptungen wie „Letzter Tag“ und „Sonderverkauf“ unter Angabe eines Countdowns der Eindruck erweckt, dass das entsprechende Produkt nur mehr für wenige Stunden zum angezeigten, vermeintlich günstigeren Preis erworben werden könne.

Kunden unter Zeitdruck gesetzt

Mit solchen Angaben hinsichtlich der begrenzten Verfügbarkeit würden Verbraucher unter vermeintlichem Zeitdruck zum Kauf verleitet. Genau das tue Temu, wie der Handelsverband mit zahlreichen datierten Screenshots zu belegen versucht. Allerdings konnte festgestellt werden, dass das Produkt auch wenige Tage später wiederum im Zuge eines „Sonderverkaufs“ angeboten wurde, diesmal sogar zu einem noch niedrigeren Preis als beim vorherigen „Sonderverkauf“.

Vermeintliche „Sonderangebote“

„Oftmals“ würden Produkte bei Temu als vermeintliche „Sonderangebote“ beworben, nach Ablauf des „Sonderangebots“ würden diese jedoch weiterhin um lediglich einen Cent mehr erworben werden können. So wurden etwa Damen-Hausschuhe am 23. August im Rahmen eines bis 25. August laufenden „Sonderverkaufs“ mit dem zusätzlichen Hinweis „fast ausverkauft“ um 5,48 Euro angeboten. Am 26. August fand sich das gleiche Modell um 5,49 Euro im Shop - ohne den „fast ausverkauft“-Hinweis.

„Zu Kaufentscheidung gedrängt“

„Durch die aufgezeigten Geschäftspraktiken soll den Nutzerinnen und Nutzern der Temu-Website das Gefühl gegeben werden, dass das gewünschte Produkt nur mehr für eine sehr kurze Zeit zu dem angegebenen Preis verfügbar sein wird. Mit diesen Mitteln soll zu unreflektierten Kaufentscheidungen gedrängt werden. Die Praktiken nehmen ein Maß an, dass aus Sicht der heimischen Händler klar unlauter ist“, kritisiert Handelssprecher Rainer Will.

„Klare Täuschung“

Auch bei den Behauptungen zu Preisreduktionen habe man Verstöße gegen das UWG festgestellt, so der Handelsverband. So würden von Temu „willkürlich“ sogenannte UVPs, also unverbindliche Herstellerpreisempfehlungen, angezeigt, die vermeintlich mit dem tatsächlichen Verkaufspreis deutlich unterboten werden und teilweise sehr hoch ausfielen, was sich dann auf die angezeigten Preissenkungen auswirke.

So habe man eine Ledertasche in der Überblicksansicht als „Megaangebot“ um 21,99 Euro bei einem UVP von 53,49 Euro angepriesen. In der Detailansicht schrumpfte der UVP auf 24,99 Euro. Aus einer vermeintlichen Preisersparnis von 58 Prozent sei eine von nur noch 12 Prozent geworden. Ebenfalls habe man festgestellt, dass der angezeigte UVP zum gleichen Zeitpunkt auf zwei verschiedenen Geräten bisweilen unterschiedlich hoch ausfalle - „eine klare Täuschung der Käuferinnen und Käufer“, so der Handelsverband.

„Warenknappheit besteht nicht“

Einen weiteren Verstoß gegen das UWG ortet der Handelsverband durch irreführende Angaben zur stückmäßig stark begrenzten Verfügbarkeit gewisser Produkte. „Beispielsweise wird von Temu in vielen Fällen eine Warenknappheit vorgetäuscht, die in der Realität überhaupt nicht besteht.“ So sei eine Ledergeldbörse um 11,36 Euro in der Überblicksseite mit dem Hinweis „Nur 10 übrig“ versehen. Gleichzeitig sei es jedoch möglich, 99 Stück in den Warenkorb zu legen und in weiterer Folge auch zu erwerben. Gleiches gelte für zahlreiche andere Angebote, die mit Hinweisen wie „fast ausverkauft“ versehen sind. Auch bei diesen lassen sich 99 Stück erwerben – und somit exakt gleich viele Stück wie von Artikeln, die nicht mit diesem Hinweis versehen sind.

„Unzählige Verstöße“

„Durch diese Geschäftspraktik sollen die Kundinnen und Kunden augenscheinlich zu einer zügigen Kaufentscheidung gedrängt werden, indem der Eindruck vermittelt wird, dass der Artikel möglicherweise in Kürze nicht mehr verfügbar ist“, erklärt Rainer Will. Man habe Temu „unzählige Verstöße“ nachgewiesen und sei daher der Ansicht, dass „dringend gegen die von Temu eingesetzten unlauteren Geschäftspraktiken vorgegangen werden“ müsse.

BWB prüft Beschwerde

Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die Beschwerde des Handelsverbandes erhalten und prüft diese derzeit. Die BWB habe aber „bei UWG-Verfahren nicht die Ermittlungsmöglichkeiten wie in einem Kartellverfahren“, hieß es von der Wettbewerbsbehörde auf APA-Anfrage. Es wäre „empfehlenswert, hier gesetzlich nachzuschärfen“, damit man Ermittlungsbefugnisse erhalte und die Möglichkeit habe, Sanktionen gerichtlich zu beantragen. Die Wettbewerbshüter können derzeit bei UWG-Beschwerden nur Abmahnschreiben verschicken oder zivilgerichtlich auf Unterlassung klagen. Die BWB erhielt heuer bereits 69 UWG-Beschwerdefälle, im Gesamtjahr 2023 waren es 46.

Gewerkschaft unterstützt Handelsverband

Die Gewerkschaft GPA unterstützt die Beschwerde des Handelsverbandes bei der BWB. „Die aggressiven Praktiken der internationalen Online-Handelsplattform Temu sind auch nicht im Interesse der Beschäftigten im österreichischen Handel“, sagte die GPA-Chefin Barbara Teiber laut Aussendung. „Wir brauchen wirksamen Schutz für jene Händler, die sich an Gesetze halten.“ Auch der Gesetzgeber sei „aufgerufen, hier tätig zu werden“, so Teiber.

So reagiert Temu

Temu ist auf die Vorwürfe bisher nur allgemein eingegangen. „Temu verpflichtet sich zur Einhaltung der Gesetze und Vorschriften in allen Märkten, in denen wir tätig sind“, sagte ein Unternehmenssprecher in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA. Alle Produkte, die als nicht EU-konform gemeldet würden, nehme man sofort aus dem Verkauf. „Temu ist ein Newcomer in Europa, der hier vor etwas mehr als einem Jahr seine ersten Märkte erschlossen hat“, so der Sprecher. Man passe die Dienstleistungen aktiv an die lokalen Gepflogenheiten und Präferenzen an.