Von „Tipping Culture“ spricht man in den USA, wo Trinkgelder kein nettes Extra, sondern eine Säule des Geschäftsmodells und ein Teil des Lohnes sind. Auf der Rechnung wird dort selbstverständlich – so wie in unseren Breiten die Mehrwertsteuer – das Trinkgeld ausgewiesen. Automatisch. Das Servicepersonal könnte sich den Job vielfach gar nicht leisten, bekäme es nur den bloßen Stundenlohn.

Während Corona hat sich in den USA das Phänomen der Tipflation entwickelt: Die Bereitschaft erhöhte sich, Servicekräfte mit einem zusätzlichen Bonus zu unterstützen, - und mit ihr das Trinkgeld. Die Auswertung eines US-Zahlungsanbieters ergab allein zwischen 2022 und 2023 eine Steigerung der Ausgaben für Trinkgeld um 17 Prozent.

Und hier das Gegenteil

Hierzulande, wo das Trinkgeld freiwillig als persönliches Dankeschön für Mitarbeiter in der Gastronomie und generell im Dienstleistungsbereich, bei Frisören, Lieferdiensten, Taxifahrern, gegeben wird, als „belohnende Schenkung“, wie es im Arbeitsrecht heißt, nehmen die Beträge ab. Umfragen zufolge um bis zu 70 Prozent. Konkret ergab eine Umfrage der Wirtschaftskammer in Kärnten sogar 71,7 Prozent Rückgang.

Die Gründe sind vielschichtig: Zunächst leisten sich die Menschen - bedingt durch die Inflation und die gestiegenen Preise - seltener das Essen in einem Gasthaus oder Restaurant. Und wer nicht da ist, kann kein Trinkgeld geben. Hinzu mag in gewissen Fällen eine Knausrigkeit kommen, die ebenfalls durch die Teuerung zu erklären ist. Der wichtigste Faktor dürfte allerdings der Umstieg von der Bar- zur Kartenzahlung sein, wie Klaus Friedl, Branchenvertreter der steirischen Gastronomie, betont. Nicht aus Mutwilligkeit werde beim Trinkgeld gespart, sondern weil der digitale Zahlungsvorgang volle Konzentration erfordere, um nur ja keinen Fehler zu machen. Dabei werde auf das Trinkgeld einfach vergessen: „Es muss erst wieder in die Köpfe hinein, dass man dabei auch Trinkgeld. gibt.“

„Mittlerweile zahlen 80 Prozent mit Karte“

„Ich merke es bei mir im Lokal, dass die Gäste Bargeld vielfach gar nicht mehr eingesteckt haben“, sagt Kärntens Wirte-Sprecher Stefan Sternad. Als er vor sechs Jahren die Kartenzahlung in seinem Restaurant am Sternberg bei Velden eingeführt hat, hat ein Fünftel der Gäste diese Möglichkeit in Anspruch genommen. „Mittlerweile zahlen 80 Prozent mit Karte. An manchen Tagen sogar 100 Prozent. Ein komisches Gefühl, wenn überhaupt kein Bargeld in der Kasse ist“, so Sternad, der, so wie alle anderen auch, Gebühr an den Zahlungsabwickler entrichten muss: zirka ein Prozent bei Kreditkarten, zirka 0,5 Prozent bei Bankomatkarten.

Beim österreichischen Karten-Komplettanbieter für bargeldloses Zahlen, Card Complete, heißt es auch Nachfrage: „In der Gastronomie konnten wir bei unseren Karteninhabern eine deutliche Steigerung bei der Nutzung unserer Kreditkarten feststellen.“ Rund eine Million Karteninhaber (Visa, Mastercard und Diners Club) zählt das Unternehmen, das außerdem Bezahllösungen wie Terminals anbietet. Verglichen mit 2022 seien 2023 um 33 Prozent mehr Transaktionen mit Kreditkarten abgewickelt worden.

Paradebeispiel Schweizerhaus

Christian Schicker, Direkctor Business Development bei Mastercard, bestätigt den Trend: „Große und erfolgreiche Gastronomiebetriebe in Österreich haben erkannt, dass sowohl heimische Gäste als auch Touristen zunehmend Kartenzahlungen erwarten – denn das trägt wesentlich zur Umsatzsteigerung der Betriebe bei.“ Ein prominentes Beispiel sei das Schweizerhaus in Wien, die größte Einzelgastronomie Österreichs, die seit 2023 Kartenzahlungen akzeptiert. „Dort stehen den Gästen 80 Zahlterminals zur Verfügung, die sogar eine moderne Trinkgeldfunktion mit Emojis und damit verbundenen Prozentsätzen anbieten.“

Sehr kleine Gastronomiebetriebe, insbesondere in ländlichen Regionen, würden währenddessen, so Schicker, häufig weiterhin auf Barzahlung setzen. „Es ist jedoch zu betonen, dass jeder in der österreichischen Gastronomie eingesetzte Zahlterminal technisch zumindest ein Aufrunden für Trinkgeld ermöglicht. Ob dies vom jeweiligen Gastroinhaber zugelassen wird, ist freilich eine individuelle Entscheidung.“

Trinkgeld-Kampagne als Versuch

„Generell sind die Gäste sensibler geworden“, so Sternad. „Sie geben gerne Trinkgeld bei einer guten Dienstleistung, aber nicht bei einer ungenügenden.“ Die Wirte betreiben Trinkgeld-Monitoring auch selbstkritisch. „Wenn die Leistung also nicht gut genug war, müssen wir an unserer Qualität arbeiten.“

Um dem Trinkgeld-Abwärtstrend entgegenzuwirken hat die Wirtschaftskammer Kärnten im Sommer 2023 eine Kampagne gestartet. Dern Slogan „Was ich von meinen Gästen am liebsten höre? Danke, stimmt so!“, der mit Plakaten und Aufstellern unter die Leute gebracht wurde, sollte Gäste in Restaurants und Gasthäusern sensibilisieren für das Geben von Trinkgeld. Gäste und Wirte befanden die Aktion aber größtenteils als aufdringlich, wenn nicht sogar übergriffig. Sie wurde eingestellt.

Kärntens Wirte-Sprecher Stefan Sternad: „Komisches Gefühl“
Kärntens Wirte-Sprecher Stefan Sternad: „Komisches Gefühl“ © Helmuth Weichselbraun

Es gibt jedenfalls unterschiedliche Wege, das Trinkgeld digital abzufangen Die Hotelgruppe Falkensteiner arbeitet mit einer Trinkgeldpauschale. „Mit dieser erlauben wir uns, zehn Euro pro Nacht und Zimmer als freiwilliges Trinkgeld auf Ihre Rechnung aufzubuchen, sofern Sie mit der Leistung zufrieden waren. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, diesen Betrag zu stornieren, zu verringern oder auch zu erhöhen. Natürlich können Sie nach wie vor Trinkgeld auch ganz individuell geben“, heißt es etwa auf der Homepage des Falkensteiner Hotels in Schladming.

Andere Betreiber haben auf dem Zahlungsbeleg eine leere Zeile eingezogen, wo der Gast, auch wenn er mit Karte zahlt, das Trinkgeld notieren kann, das dann über die Karte abgebucht wird. „In jedem Fall gehört es dem Gast bereits bei der Angebotsstellung kommuniziert. Damit es am Ende nicht versteckte Kosten sind“, sagt der steirische Hotellerie-Obmann Alfred Grabner.

Das Steuerthema

Auch politisch bleibt Trinkgeld ein Thema. Schon jetzt wird ein Trinkgeld-Pauschalbetrag angenommen, der für die Berechnung von Sozialabgaben herangezogen wird. Sternad und seine Branchenkollegen warnen vor dem Zugriff des Fiskus: Trinkgeld – so viel oder wenig es auch sei – müsse „auf jeden Fall steuerfrei bleiben“.

In den USA ist das Trinkgeld aktuell sogar Wahlkampfthema. Sowohl Donald Trump als auch Kamala Harris wollen nach einem Wahlsieg die Besteuerung von Trinkgeldern in den USA abschaffen.