"Er ist ein grader Michl, einer, der die Wahrheit sagt und nicht immer alles schönredet." Johanna Sommer sitzt ganz vorne im Festzelt in Hartberg. Mit ihren 69 Jahren hat sie die Nase voll von der Politik, die nicht ehrlich ist. Und das findet auch Christian Harpf (38), der sich dazugesellt. "Weil sich was ändern muss", meint er. Es dauert nur noch wenige Augenblicke, dann wird genau jener Mann einmarschieren, der das alles verkörpert. Herbert Kickl hat sich das Oktoberfest in Hartberg ausgesucht, um seinen Wahlkampf inoffiziell zu eröffnen.

Video vom FPÖ-Oktoberfest in Hartberg

Und es hätte nicht besser arrangiert sein können. Das Festzelt brodelt, fast 4.000 Menschen sind da und wer nicht gerade ein Bier trinkt oder auch schon mal ein schnelles Schnapserl zum Frühschoppen kippt, der sieht, wie sich im hinteren Teil des Zeltes die Fahnen erheben. Einzug: FPÖ-Spitze, aus den Boxen dröhnt der Radetzkymarsch. Ab jetzt ist dieses Oktoberfest, das schon seit vielen Jahren in Hartberg stattfindet, zur Arena der FPÖ geworden. Die ersten stehen auf den Bänken, man sieht Lederhosen, Dirndl, jede Menge Steiermark- und Österreich-Fahnen. Und natürlich ganz viel Bier. Frühschoppen halt.

"Ein bissl weniger Verkrampftheit"

Interviews will der Parteichef keines geben, das macht dafür Mario Kunasek, der steirische Landesparteiobmann und - so will es Kickl -  nächster steirischer Landeshauptmann. Wo sieht sich Kunasek selbst in einem Jahr? "In der Grazer Burg", sagt er zur Kleinen Zeitung. Hinter ihm prangt ein in blau-weiß gehaltenes Plakat, darauf steht "Magst a Bussal", und Kunasek findet es gut, weil "ein bisschen weniger von dieser Verkrampftheit würde auch der Politik guttun", mein er. Verkrampft ist an diesem Vormittag aber ohnehin niemand. Schon bevor die Reden beginnen, macht die John Otti Band das, was man auch von einer guten Skihütte kennt. Sie heizt den Besucherinnen und Besuchern einmal ordentlich ein. Udo Jürgens, Andreas Gabalier und auch sonst alles, wozu man lautstark mitsingen kann, wird ins Zelt geschmettert. Das Münchner Oktoberfest könnte nicht mehr brummen.

ORF-Satiriker hat "keine blöden Fragen gestellt"

Ein paar Medienvertreter sind auch da. Kameras, Fotografen und sogar der ORF-Satiriker Peter Klien. "Er hat keine blöden Fragen gestellt", meint Sabine Wurzinger, die gerade von ihm interviewt wurde. Hatte sie denn das befürchtet? "Ich habe drei schlimme Jahre hinter mir, ich wurde als Schwurblerin abgestempelt und ich bin schwer enttäuscht von dieser Politik", meint sie zu uns. Dann erzählt sie von Corona und davon, dass sie schon kurz davor war, Österreich zu verlassen. Doch jetzt, mit Herbert Kickl geht es ihr wieder besser. Das Wort Corona wird noch öfter fallen. Auf der Bühne und auch im Publikum. Der Mann mit dem schwarzen "Ungeimpft" T-Shirt denkt, dass sich im Herbst 2024 sowieso alles ändert, weil "Kickl dann Kanzler ist". Volkskanzler, wie Kickl selbst betont.

Gut 4000 Besucher kamen nach Hartberg.
Gut 4000 Besucher kamen nach Hartberg. © Mario Gimpel

Den Rede-Reigen eröffnet Mario Kunasek. Und begrüßt auch seine "Freunde aus Deutschland". Zwei Vertreter der AfD aus Sachsen sind auch in die Oststeiermark gereist, um zu erleben, wie gut man doch zusammenpasst. Kunasek wird, nachdem Vilimsky und Kickl gesprochen haben, als der mildeste der Drei gesehen werden. Keine ganz harten Angriffe, keine Reime, nur der große Wunsch, nach der steirischen Landtagswahl Landeshauptmann sein zu können.

Vorschlaghammer Vilimsky

Dann wird der EU-Abgeordnete Harald Vilimsky auf die Bühne geholt. Und dass er mit dem Peter Gabriel Song "Sledgehammer" (Vorschlaghammer) begrüßt wird, ist kein Zufall. Die nächsten Minuten sind von einer Sprache geprägt, die nicht viel Raum für Interpretation lässt. Schön sei, dass er hier "kein Regenbogen-Flaggerl und auch keins für die Ukraine" sieht und dass hier keine Dragqueens auftreten. Mario Kunasek sieht er auch schon als neuen Landeshauptmann, der dann bitte Folgendes tun solle. "Als Erstes schaffst den depperten Luft-Hunderter ab". Danach noch eine Tirade auf die Versäumnisse der EU, wobei er es nicht als Austritt verstanden haben möchte, sondern als Reform-Aufruf. Dass die EU trotzdem eine große Fake-News-Schleuder sei, daran müsse man arbeiten. Und Arbeit, die sieht Vilimsky vor allem darin, sich Freunde und Allianzpartner zu suchen. Viktor Orban und Marine Le Pen nennt er namentlich.

Und dann der Höhepunkt. "Wir sind eine große Familie" ist der Song, der Herbert Kickl auf die Bühne holen wird und alle singen mit. Keine Spur von jenem Mann, der einst dafür bekannt war, am liebsten "im Maschinenraum der Partei" zu sitzen und das Rampenlicht für sich nicht zu suchen. Dieser Herbert Kickl genießt die Menge und ist selbst ganz euphorisiert von seinem Publikum. "Hartberg. Ihr seid's der Knaller, ihr seid's eine Wucht!". Und hier, beim Hartberger Frühschoppen "sind mehr Leute, als in drei Kurz-Filmen nach drei Wochen". Dieser Tag, dieser Sonntag sei der "1. Tag der Herbstoffensive", so Kickl und zu dieser Offensive gehört vor allem eines: eine offensive Sprache. Christopher Drexler bezeichnet er als "ÖVP-Schnösel, der als Landeshauptmann verkleidet" sei und als Vorschau auf die Landtagswahl bringt er auch einen Trinkspruch mit. "Den Drexler wählen die Steirer weg und dann, dann kommt der Kunasek!" Die Menge tobt, immer wieder gibt es Zwischenapplaus, dutzende Handyvideos werden aufgenommen, später steht eine Schlange an, um ein Selfie mit Kickl zu ergattern.

Im Gegensatz zu Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der "unglaublich eitel" sei und herumrenne "wie ein Pfau" würde es ihm "keine Sekunde um mich" gehen, sondern einfach nur um "Gerechtigkeit und eine gute Zukunft". Und noch ein kleiner Seitenhieb auf den Kanzler und sein "gewässertes" Bier am Ausseer Kirtag. "Da nimmt man also ein Glas Wasser, nur mit einem Bierschaum. Naja, dann kann jedes Kamel auch Bundeskanzler sein." Und trinkt einen Schluck von seinem "echten" Bier.

Doch die anderen, die anderen Parteien und auch die Medien, würden sicher "alle Hebel in Bewegung setzen", um den Siegeszug seiner Partei und ihn als "Volkskanzler" zu verhindern. Seine Antwort: "Fürchtet euch nicht, denn das tue ich auch nicht!" Ihm gehe es um Heimat, Geborgenheit und Freiheit und deshalb wolle er sich auch dagegen wehren, ständig als extrem bezeichnet zu werden. "Wir sind nicht rechtsextrem, wir haben nur extrem oft recht!" Mehr als eine Stunde wird die Rede dauern, auch für viele Fans ist das zu lange. Die hinteren Tische leeren sich, der Gang aufs WC wird häufiger, natürlich auch, weil das Bier zuvor so rasch geflossen ist. Dann scheint alles gesagt. Nur noch einmal Corona, denn Kickls Appell ist folgender: "Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren, wie man es bei Corona versucht hat."

Das Ende ist wie der Anfang, ein Fahnenmeer, ein Lied und am Schluss kriegen Harald Vilimsky und Herbert Kickl noch einen Steirer-Janker. Vom "Hausherr" Mario Kunasek. Und auch, wenn es im Zelt mittlerweile gut warm ist, wird auch der noch drüber angezogen. Alle sind gut gelaunt und es gibt auch noch Gutscheine für Freigetränke. Ein Bier geht immer noch. Nur unser Interview-Rundgang endet nicht ganz so wohlwollend. "Schleich di", meint der Mann, der sich plötzlich für einen Ordner hält. Ob er das wirklich ist, wissen wir nicht. Er mag seinen Namen nicht sagen. Dann drängt er uns aus dem Zelt. Schade eigentlich.