"Und, wie viele Kinder hast du?" Es ist eine harmlose Frage, doch für Julia Luschin gibt es darauf nur falsche Antworten. "Ich sage meistens, dass ich ein Kind an der Hand halte. Dann merken die Leute, da ist mehr dahinter und fragen nicht nach", erzählt die 26-jährige Spielbergerin. Ihr Sohn Raphael ist eineinhalb Jahre alt. Er hat drei ältere Geschwister, doch spielen und durch den Garten tollen wird er mit ihnen nie – sie sind Sternenkinder.
Ihre Geschichte erzählt Julia Luschin mit großer Fassung, auch wenn man ihr den unvorstellbaren Schmerz ansieht. 2018 wird sie erstmals schwanger, heiratet ihren Freund Manuel. Acht Monate lang scheint das Glück perfekt zu sein. Das Kinderzimmer ist eingerichtet, alles ist bereit für Jakob, der schon im Bauch mit Liebe überschüttet wird. "Es war der 30. September 2018. Ich ging aufs Klo, und plötzlich ist das Blut in Strömen gekommen", erinnert sich die junge Frau. Es folgt ein Notarzteinsatz, ein Notkaiserschnitt. Ärzte kämpfen um das Leben von Mutter und Kind – und können nur eines retten.
Nach zwei Tagen auf der Intensivstation erfährt die damals 23-Jährige, dass Jakob nicht überlebt hat. In der 32. Schwangerschaftswoche hat das kleine Herz in Folge einer Plazentaablösung aufgehört zu schlagen. Julia Luschin darf das Kind noch im Arm halten, sich verabschieden. Drei Wochen lang kämpft sie sich zurück ins Leben, das freilich so ganz anders ist, als geplant. Das Kinderzimmer steht leer, statt einer Taufe organisiert das Paar eine Beerdigung. Jakob wird am Friedhof beigesetzt, in einem Familiengrab. "Da stehst du mit 23, und suchst dein Grab aus. Und das deines Kindes."
Für Julia Luschin beginnt die schwerste Zeit ihres Lebens. "Die Empathie fehlt vielen Menschen. Das beginnt mit Ärzten, die sich die Krankenakte nicht durchlesen und zur Geburt gratulieren. Bei der Krankenkasse wollte man mich gleich wieder arbeiten schicken, ich habe ja schließlich kein Kind zu versorgen", erzählt die Rezeptionistin.
Zwei weitere Schwangerschaften enden
Lange ist sie unsicher, ob sie jemals wieder schwanger werden will. 2019 wagt das Paar den zweiten Versuch. In der neunten Schwangerschaftswoche treten wieder Blutungen auf, das Kind stirbt im Bauch. "Man hat mich vom Spital heimgeschickt, die Fehlgeburt sollte auf natürlichem Weg stattfinden. Ich stand unter Schock, plötzlich lag mein Kind im Klo. Auf das wirst du als Frau nicht vorbereitet", kritisiert sie. Die dritte Schwangerschaft endet in der sechsten Woche.
Als die junge Frau zum vierten Mal schwanger wird – dieses Mal ungeplant – empfehlen die Ärzte eine Abtreibung. "Aber das war keine Option", erzählt die Steirerin. Zum Glück: Raphael kommt per Kaiserschnitt zu Welt, er ist ein aufgewecktes, gesundes Kind. "Unser ganzes Glück."
Wie viele Kinder sie hat? "Vier, für mich und meinen Mann sind es vier", so die Spielbergerin. Bis heute besucht sie das Grab von Jakob regelmäßig, geht offen mit ihren Verlusten um. Doch sie weiß: "Es ist ein absolutes Tabuthema. Obwohl es statistisch jede fünfte Frau betrifft, traut sich kaum jemand darüber zu sprechen." Sie solle sich nicht so anstellen, die Trauer sei übertrieben – das bekommt die junge Frau oft zu hören.
Vor Kurzem beginnt sie, über das Thema zu bloggen (www.julia-luschin.com). Die Resonanz ist riesig. "Ich will anderen Sternenmamas Mut machen und das Thema enttabuisieren." In Deutschland absolviert die 26-Jährige als eine der ersten Österreicherinnen gerade eine Ausbildung zur Fehlgeburtsbegleiterin, lässt sich dazu zur Mentaltrainerin schulen. "Gerade in der Obersteiermark gibt es kaum ein Angebot, das will ich ändern." Geplant sind etwa Selbsthilfegruppen und Begleitung nach Fehlgeburten. Übrigens nicht nur für Mamas: "Die Väter leiden genauso, aber ihnen wird erst recht keine Beachtung geschenkt."