Herr Leake, Sie sind Texaner, haben in Boston und Wien Geschichte und Philosophie studiert. Wie sind Sie da auf Jack Unterweger gekommen?
JOHN LEAKE: Ich habe mich für Österreich und Wien interessiert, Wien ist als Stadt so anders als Dallas. Ich wollte ein Buch über Wien schreiben und dachte an das Thema Spionage, den Film "Der Dritte Mann" habe ich mehrmals gesehen. Doch eines Tages entdeckte ich in einer Zeitung einen kurzen Bericht über Jack Unterweger, den "Frauenmörder und Schriftsteller". Diese Kombination fand ich sehr interessant und Jack ist ja auch kein deutscher Name. Also begann ich zu recherchieren und je mehr ich in der Geschichte drinnen war, desto schräger wurde sie. Kein Romanschriftsteller würde so eine Geschichte erfinden.

Und schon haben Sie beschlossen, ein Buch zu schreiben?
LEAKE: Ernst wurde es im Jahr 2003. Ich besuchte Ernst Geiger, der in Wien die Mordermittlungen geleitet hatte. Er öffnete einen Schrank, nahm Handschellen aus Kunststoff heraus und sagte: "Wir glauben, dass Jack Unterweger diese Handschellen seinen Opfern angelegt hat." Das hat mich gefesselt.

Sie haben die Schauplätze aufgesucht. Welche Rolle spielte dabei Graz?
LEAKE: Graz und Wien sind die zwei wichtigsten Orte. Die Zeit in Graz habe ich genossen, die Charaktere hier sind lebendiger. Ich habe viele Gespräche geführt mit Polizei und Justiz, Unterwegers Verteidiger Hans Lehofer, seinen Freunden und den Journalisten. Ich musste ihr Vertrauen gewinnen, zeigen, dass ich nicht parteilich war. So habe ich Einblick in die Akten und Unterwegers Tagebücher bekommen.

Jack Unterweger haben Sie zwar nie persönlich kennengelernt, aber viel Material über ihn zusammengetragen. Wie würden Sie ihn aus der Distanz beschreiben?
LEAKE: In den Schilderungen gibt es zwei Extreme: Er sei abstoßend, überheblich und unerträglich gewesen, sagen die einen. Die andere Seite fand ihn faszinierend. Das waren - ich meine das nicht abwertend - meist Frauen. Ich hätte mich über ihn wohl oft geärgert. Wenn er etwas wollte, konnte er sehr höflich sein. Ansonsten hatte er etwas Strizzihaftes, Protziges an sich.

Warum geht vom Fall Unterweger noch immer Faszination aus?
LEAKE: Es gibt keinen Serientäter, der ein Land so beschäftigt hat. Alle Leute lieben Krimis, aber ich glaube, viele Österreicher wissen nicht, dass es in ihrem Land diesen spannenden Krimi gibt, der noch dazu wahr ist. Diese Geschichte ist breit und kompliziert, es ist eine Geschichte von Politik, Kunst, Literatur, die ganze Gesellschaft ist darin abgebildet. Unterweger hat vor jenem Mord im Jahr 1974, für den er 1976 verurteilt wurde, mehrere Gewaltdelikte gegen Frauen begangen. Doch im Gefängnis verbarg er seine Vergangenheit und wurde zum "Häf'n-Literaten". Wie er alle getäuscht hat, das war großartig. So wurde er begnadigt, kam frei, stieg zur Quasi-Berühmtheit auf und war Teil der Schickeria - bis es 1992 wegen der Prostituiertenmorde für ihn erneut eng wurde. Im Buch beschreibe ich auch jenes Interview, das Hans Breitegger und Bernd Melichar von der Kleinen Zeitung mit Unterweger kurz vor dessen Flucht in die USA führten.

Alle hat Unterweger nicht täuschen können . . .
LEAKE: Nein, es gibt vier Österreicher, die durchschaut haben, dass Unterweger ein Hochstapler war, seine Resozialisierung nichts als ein Schmäh: Ernst Geiger, Wolfgang Wladkowski (damals U-Richter in Graz, Anm.), August Schenner (Ermittler in Salzburg, Anm.) und Hans Breitegger.

Im Buch schildern Sie einen Frauenmord in Salzburg im Jahr 1973, für den Unterweger jedoch nie angeklagt wurde.
LEAKE: Da hat Inspektor Schenner ermittelt, er wollte eine Anklage erwirken, es kam aber nie dazu. Es gab offenbar Druck von oben, von wem genau, weiß ich nicht. Es ist eine schiefe Optik für die Justiz, dass hier nicht nachgesetzt wurde. Hätte man Unterweger bereits damals einen zweiten Mord nachweisen können, wäre ihm die Täuschung um seine angebliche Resozialisierung wohl nicht so geglückt. bR>
Wieder in das Jahr 1992: In Los Angeles wurden Unterweger drei Morde angelastet. Erregte der Fall dort ebenso großes Aufsehen?
LEAKE: In Los Angeles ist ein Prostituiertenmord nichts Außergewöhnliches. Unterweger war für die Polizei dennoch einmalig. In schlechtem Englisch wollte er die Beamten von seiner Unschuld überzeugen. Er war kommunikativ und riss Witze. Die Ermittler lachten sogar mit ihm, waren sich aber sicher: Dieser Mann ist der Täter.