Das europäische Lebensmodell müsse aktiver verteidigt werden, so der Tenor beim gestrigen Auftakt am Pfingstdialog in Seggauberg.
Die Grundwerte Europas sind auf den ersten Blick ziemlich klar: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte. „Und Wettbewerbsfähigkeit“, meinte Industrie-Vertreter Gernot Pagger bei der Eröffnung des Pfingstdialogs „Geist & Gegenwart“ auf Schloss Seggau. Aber wie stark sind diese Werte heute in Gefahr? Und was wäre zu tun, um sie zu bewahren? Das ist der Kern, um den sich die gestern eröffnete Veranstaltung dreht.

Wir blicken auch heute nach Seggauberg. In unserem Livestream können Sie die spannenden Gespräche mit live mitverfolgen:

Hitzige Debatten zum Auftakt

Nach der gestrigen Eröffnung hielt Bischof Wilhelm Krautwaschl zu Beginn eine Rede über das „gute Leben“. Ulrike Ackermann, Politologin aus Heidelberg, zündete die Debatte an. Sie mache sich „ziemlich große Sorgen“, denn die europäische Lebensart werde sowohl von außen als auch von innen infrage gestellt. Nicht nur an den Rändern, sondern auch in der politischen Mitte gebe es Selbstzweifel, ob unsere wirtschaftliche und politische Ordnung überhaupt die richtige sei. „Der Fortschrittsoptimismus ist verloren gegangen, stattdessen macht sich Verzagtheit breit“, so ihr Befund. Werte wie Aufklärung oder Demokratie seien nicht mehr unbestritten. Als Beispiel nannte Ackermann den Ruf nach „Bürger- und Expertenräten“ in der Politik: „Man träumt von der Rätedemokratie“, warnte sie und wurde dramatisch: „Wir gehen stürmischen Zeiten entgegen, der Tiefpunkt ist noch nicht erreicht.“ Man müsse „der Gefahr ins Auge schauen“, Widerspruch anmelden und die liberale Demokratie verteidigen: „Dafür müssen wir aber viel mehr tun als früher.“

Paul Lendvai sprach über die Seele Europas

Der Journalist Paul Lendvai nahm den Faden sogleich auf: Er stimme allem zu, sein Referat habe sich somit erübrigt. Doch dann drehte der faszinierend vitale 93-Jährige die Debatte gekonnt ins Positive. Die EU sei trotz allem eine Erfolgsgeschichte, es liege an uns, sie zu verteidigen. „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“, zitierte Lendvai den antiken Staatsmann Perikles. In Sachen Ukraine habe Europa endlich Tatkraft und Führung bewiesen (Lendvai zitiert nun Aristoteles: „Es ist wahrscheinlich, dass das Unwahrscheinliche geschieht“). Entschlossene Führung sei in der liberalen Demokratie keine Gefahr, sondern ein Gebot. Eine Gefahr sieht Lendvai allenfalls in der „gefährlichen Gewöhnung an das Gute“. Deshalb müsse man „der EU eine Seele geben“, erinnerte er an ein Wort von Jacques Delors. Wenn es Politiker gebe, die eine „Festung Österreich“ nach ungarischem Vorbild wollten, dann müsse man laut Lendvai „offensiv“ klarstellen, was das heiße: „Ungarn und Bulgarien sind die korruptesten Staaten Europas.“

Wissenschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl ließ zur Eröffnung aufhorchen: Man solle der Jugend bei deren Arbeits- und Freizeitwünschen entgegenkommen, brauche eine neue Firmenkultur, andere Führungsstile und steuerliche Anreize. Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik diskutieren heute weiter, ein Hauptreferat hält der Philosoph Peter Sloterdijk.