Vorsichtig, fast zärtlich nimmt sie die Trauben in die Hand, löst sie aus dem Laub, begutachtet ihre Farbe, fühlt ihre Festigkeit, putzt schimmlige Beeren heraus. „Die brauchen noch ein paar Tage“, sagt Katharina Tinnacher. Seit 2013 führt die in wenigen Tagen 34-Jährige das traditionsreiche (erste urkundliche Erwähnungen reichen bis 1770 zurück) Familienweingut Lackner-Tinnacher bei Gamlitz in der Südsteiermark.
In diesen Tagen ist sie besonders gefordert. Seit 14. September und wohl bis Ende Oktober läuft die diesjährige Weinlese. Erntezeit nach für die Weinstöcke optimalen Monaten des Wachsens und Reifens. Warme Temperatur, perfekte Regenverteilung, kein Hagel: „Die Trauben haben sich sehr gut entwickeln können“, sagt Tinnacher zufrieden, während sie auf ihrem Handrücken einen Kern aus einer Sauvignon-Weintraube drückt. Hat er sich von Grün in ein Erdbraun verfärbt und schmeckt das Tannin nicht mehr kratzig, sondern reif, und das Fruchtfleisch rundherum weich und die Haut transparent und goldgrün, „dann ist der Zeitpunkt perfekt“, sagt Tinnacher, und ihre stahlblauen Augen leuchten.
Klaus Höfler