Tina Robitsch fühlt sich vom Gesundheitssystem im Stich gelassen. Im Jahr 2015 kommt es nach dem Einrenken bei ihrem damaligen Orthopäden zu Komplikationen (wir berichteten). Aus der gesunden 26-Jährigen wird ein Pflegefall. Seitdem kann sie nicht mehr allein leben und ist auf Hilfe angewiesen. Mehrmals musste die Feuerwehr ausrücken, weil niemand sonst einspringen konnte, um die Frau aus dem Bett zu heben. Eine Pflegebetreuung kann sich Robitsch nicht leisten, denn die Bewilligung und das entsprechende Budget dafür gesteht ihr die Behörde nicht zu.

Seit über sieben Jahren kämpft die heute 34-Jährige für ihren Anspruch auf Persönliches Budget – das ist der festgelegte Geldbetrag, der Pflegebedürftigen zusteht, um die Kosten für die Betreuung zu decken, wenn sie zu Hause gepflegt werden. 2021 zog die Steirerin vor das Landesverwaltungsgericht, jetzt fordert sie über eine Petition unter anderem die Freigabe des Persönlichen Budgets durch Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP). Wie kam es dazu? 

Wir haben Tina Robitsch bereits im Juli besucht:

Mit 28 Jahren im Altersheim

Robitsch ist mental vollkommen gesund, eingeschränkt ist sie nur in ihrer Bewegung. Trotzdem kommt sie nach Reha-Aufenthalten 2015 und 2016 in Judendorf-Straßengel, im Jahr darauf auf die Station für Schlaganfallpatienten der Neurologie des LKH Graz II. Danach wird die junge Frau in Altersheimen in Unterpremstätten und Graz untergebracht, bis sie 2018 wegen Platzmangels auf der Wachkoma-Station der Albert Schweitzer Klinik landet: „Das kann man keinem jungen Menschen antun“, sagt die heute 34-Jährige. Ihr größter Wunsch bleibt es, zu Hause gepflegt zu werden.

Tina Robitsch | „Mein größter Wunsch ist es, zu Hause gepflegt zu werden“
Tina Robitsch
| „Mein größter Wunsch ist es, zu Hause gepflegt zu werden“ © KLZ/Nick Fröhlich

2017 beauftragt die Stadt Graz, wo sie damals wohnhaft war, den Verein IHB, der ihren Gesundheitszustand untersucht. Das Ergebnis: Robitsch hat Anspruch auf Persönliches Budget bzw. 24-Stunden-Betreuung. In insgesamt vier Gutachten und Gegengutachten (die der Kleinen Zeitung vorliegen) zwischen 2017 und 2020 geht hervor, dass für eine entsprechende Grundpflegeversorgung bis zu zwei Pflegekräfte, in einem Rad aus sechs Personen, rund um die Uhr im anwesend sein müssen.

Kein Geld für Pflegekräfte

Das Budget genehmigen muss allerdings die Bezirkshauptmannschaft (BH) Graz-Umgebung, wo Robitsch mittlerweile gemeldet ist. Doch die Behörde stellt sich quer, gibt eigene Gutachten in Auftrag. Die bestellten Sachverständigen Erna Birgit Wippel und Kurt Niederkorn kommen zum selben Ergebnis wie der Verein IHB: Robitsch steht das Persönliche Budget zu. Die Behörde entschied jedoch anders. Auf Nachfrage sagt Wippel, man habe sie als Gutachterin über den weiteren Verlauf des Falls nicht mehr informiert. Niederkorn war trotz mehrfacher Versuche für eine Befragung zum Fall Robitsch nicht erreichbar.

Doch warum ordnet die BH zwei Gutachter an, um letztendlich nicht auf die erstellten Gutachten einzugehen? Eine konkrete Antwort hat Andreas Weitlaner, Leiter der BH Graz-Umgebung, nicht. Man habe Robitsch für den Zeitraum zwischen 2018 und 2021 das Persönliche Budget genehmigt, sagt er und verweist auf Bescheide der BH. Allerdings geht aus diesen Bescheiden auch hervor, dass die BH nur rund neun Prozent des errechneten Betrags genehmigt hat. Damit hatte die junge Frau nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, um die benötigten Pflegekräfte zu bezahlen. Notgedrungen müssen weiterhin ihre Eltern den Großteil der Pflege übernehmen. Seit Juni 2021 bekommt Robitsch kein Geld mehr.

„Münchhausen-Syndrom“

Das erklärt Weitlaner indem er auf ein ganz anderes Gutachten von Mai 2021 verweist. Der zuständige Gutachter Manfred Walzl, ebenfalls im Auftrag von der BH, kommt zu einem völlig anderen Ergebnis als seine Vorgänger. Walzl, der als forensischer Gutachter ausschließlich den psychischen Zustand, nicht aber den körperlichen untersucht, schreibt, Robitschs „körperliche Symptome“ seien ausschließlich „psychisch“ bedingt.

Er spricht vom sogenannten „Münchhausen-Syndrom“. Dabei handelt es sich um eine psychische Störung, bei der Menschen absichtlich vorgeben, krank zu sein. Zu diesem Zeitpunkt hatte Robitsch Pflegestufe sieben. Aus der Sicht von Walzl kann eine Betreuung zu Hause „keinesfalls“ sichergestellt werden, er empfiehlt die „Unterbringung in einen professionell geführten Pflegebetrieb“. Näher begründen möchte er sein Gutachten auf Nachfrage der Kleinen Zeitung nicht. Überhaupt will Walzl keine Stellungnahme zum Fall abgeben.

Letzte Hoffnung: Petition

Die BH jedenfalls stützt ihren Bescheid auf dem Gutachten von Walzl und stellt im Juni 2021 jegliche Zahlungen an Robitsch ein. Sie erhebt Einspruch, der Fall landet vor dem Landesverwaltungsgericht. Richterin Karin Clement bestellt Walzl als Sachverständigen im Verfahren. „Eine nicht rechtswidrige, aber fragwürdige Handhabung“, sagt Behindertenanwalt Siegfried Suppan. Es scheint allgemein unwahrscheinlich, dass Gutachter ihr eigenes Ergebnis widerrufen.

Während des Verfahrens ändert Clement ihre Entscheidung, bestellt stattdessen die Amtsärztin Silvia Plesnik als Sachverständige. Sie kommt allerdings zu keinem klaren Ergebnis. Das Urteil des Landesverwaltungsgerichts fällt gegen Robitsch aus. „Wie soll eine Allgemeinmedizinerin etwas beurteilen, worin sich schon Fachärzte uneinig waren?“, sagt Rechtsanwältin Mariella Hackl, die sich dem Fall nun angenommen hat und Robitsch vertritt. Clement begründet ihre Entscheidung damit, dass alle Gutachten, bis auf das von Walzl, „Verdachtsdiagnosen“ sind, Robitsch somit keinen weiteren Anspruch auf ein Persönliches Budget hat.

Ihre letzte Hoffnung auf Selbstbestimmung sieht die 34-Jährige jetzt in der Petition. Sie sammelt Unterschriften und fordert die Landesregierung zum Handeln auf.