Im Paarlauf zählen Harmonie, Anmut und Eleganz und der Sport wird, wie der Name sagt, von einem Paar ausgeübt. Wie kommt man eigentlich als junger Mensch auf die Idee, Paarläuferin oder Paarläufer zu werden?
SEVERIN KIEFER: Da muss ich ein bisschen ausholen, weil Paarlauf in Österreich ja keine Tradition hat. Ich habe 2009 damit begonnen, davor gab es eineinhalb Jahrzehnte nicht einmal einen Ansatz davon. Mit meiner ersten Partnerin Stina Martini gab es in Graz erste Versuche und erste Trainingslager in Berlin. Nach ein paar Jahren haben wir gemerkt, dass wir sportlich stagnieren, dass es keine Perspektive gibt. Ich habe schon überlegt, ob ich aufhören soll. Bei den Staatsmeisterschaften 2012 in Wien bin ich dann mit Miriam, die ihre Karriere eigentlich schon beendet hatte, ins Gespräch gekommen. Und ich habe sie gefragt, ob sie es einmal ausprobieren will.
Frau Ziegler, Sie waren mit 14 Staatsmeisterin, mit 15 bei Olympia in Vancouver, beendeten mit 18 Ihre Karriere. Mit 19 waren Sie dann Hallensprecherin bei den Staatsmeisterschaften in Wien.
MIRIAM ZIEGLER: Stimmt, ich habe bei der Musik von Severin sogar auf Play gedrückt. Wir sind dann eben ins Reden gekommen, und auch wenn ich mit dem Eiskunstlauf früh einen Bruch gemacht habe, wollte ich schon wieder einmal Teil der Eislauffamilie sein. Eiskunstlauf war ja viele, viele Jahre der Mittelpunkt meines Lebens. Und es hat ja nicht geheißen, dass wir sofort losstarten, sondern es nur einmal probieren. Die ersten Trainings verliefen gut, dann wurde immer mehr und mehr daraus.
Wie unterschiedlich sind Sie beide eigentlich als Spitzensportler?
KIEFER: Das Mentale macht einen enormen Unterschied. Am Anfang hatte ich natürlich eine gewisse Sicherheit in den Paarlaufelementen, während für sie alles neu war. In den ersten ein, zwei Saisonen habe ich kaum Fehler gemacht und Miriam hat sich schwergetan, richtig reinzukommen. Aber sie hat sich schnell angenähert. In dieser Saison habe ich schon mehr Fehler gemacht als Miriam.
ZIEGLER: Bei jedem Paar ist die Rollenverteilung anders, auch wir haben unterschiedliche Funktionen. Severin ist der, der im Training die Kommandos gibt. Er ruft zum Beispiel „hopp“, wenn wir die Pirouette nebeneinander machen und es zum Positionswechsel geht. Er ist auch der, der mehr Gelassenheit ins Paar bringt, weil ich oft etwas überehrgeizig bin. Ich glaube aber, dass ich ihn damit so weit gebracht habe, dass er sich weiterentwickeln konnte in seinen Linien und in der läuferischen Präsentation. Wir arbeiten täglich daran, dass die jeweiligen Erwartungen vom anderen besser zusammenpassen.
KIEFER: Wir arbeiten auch mit einer Sportpsychologin zusammen, weil die kommunikative Basis enorm wichtig ist. Die Harmonie muss passen, um effektiv trainieren zu können. Natürlich achtet auch unser Trainer darauf, dass es keine Reibungsverluste gibt.
Als Paarlauf-Paar ist man quasi sieben Tage die Woche zusammen. Ehrlich: Gehen Sie sich nicht manchmal auf die Nerven?
ZIEGLER: Ja, schon, manchmal. Wir haben jedoch auf dem Eis eine ganz andere Beziehung als im Privaten. Wir sind ja auch privat ein Paar. Aber wir versuchen, das komplett zu trennen.
KIEFER: Wenn uns jemand in einer Eishalle sieht, würde er nie auf die Idee kommen, dass wir auch privat zusammen sind. Da wirkt das Verhältnis eher wie zwischen Bruder und Schwester.
ZIEGLER: Wir sind schnell auch privat zusammengekommen, nachdem wir mit dem Paarlauf begonnen haben. Anfangs wollten wir nicht, dass es zu viele Leute wissen, weil wir nicht sicher waren, ob das eine super Idee ist. Wir haben es geheim gehalten und uns in der Eishalle so verhalten, dass der Sport nicht beeinträchtigt wird. Dabei ist es geblieben.
KIEFER: Unser Trainer hat uns auch gleich gesagt: Nach dem Training bleibt das Eislaufen in der Halle und ihr macht euer eigenes Ding. Denn wenn wir das Eislaufen mit nach Hause nehmen würden, würden wir wahnsinnig werden. Dann wären wir jetzt auch nicht mehr zusammen. Für uns wird es eher in ein paar Jahren interessant, wenn wir nicht mehr eislaufen und die Situation dann eine ganz andere ist.
Sie leben ja mittlerweile in Berlin und haben mit Bruno Massot den regierenden Olympiasieger im Trainerteam. Wie viele Trainer haben Sie eigentlich?
KIEFER: Mit Knut Schubert einen Haupttrainer, Bruno Massot hilft uns im technischen Bereich. Er ist in die ganze Planung nicht so involviert, aber da sind wir mit Herrn Schubert auch sehr auf Augenhöhe.
Sie sagen Herr Schubert? Sie sind mit Ihrem Trainer per Sie?
KIEFER: Ja, auch wenn es so gar nicht zu unserer freundschaftlichen Beziehung zu ihm passt. Aber das ist halt noch ein altes DDR-Ding, auch wenn wir jetzt schon sechs Jahre zusammenarbeiten.
ZIEGLER: In Berlin ist das in der Eishalle auch heute noch ganz normal: Die West-Trainer werden geduzt und die Ost-Trainer werden gesiezt. Aber weil ich, wie schon gesagt, manchmal ein wenig überehrgeizig bin oder glaube, selbst alles besser zu wissen, schafft das Siezen automatisch eine respektvolle Distanz zum Gegenüber.
KIEFER: Herr Schubert war früher ein sehr guter Eiskunstläufer und ist im DDR-System aufgewachsen. Ein sehr rigides und strenges System. Was auch heute noch ein bisserl makaber ist: Wir trainieren im Sportforum Ostberlin Hohenschönhausen, das ist ein riesiger Komplex mit drei Eishallen, zwölf Fußballfeldern, Tennisplätzen, Weitwurf, Wasserspringen, Eishockey, Eisschnelllauf. Dahinter ist ein großer Friedhof, wo alle Trainer von Herrn Schubert liegen, und auch er kennt schon seinen Platz. Alle Trainer wissen, wo sie in 20, 30, 40 Jahren beerdigt werden. Auf der anderen Seite hat er seinen Schrebergarten, Zaun an Zaun zum Friedhof und Zaun an Zaun zur Eishalle.
Sie sind wegen des Sports nach Berlin ausgewandert. Wäre in Österreich eine Paarlauf-Karriere nicht möglich?
ZIEGLER: Im Moment, nein.
KIEFER: Theoretisch würde es gehen, wenn jemand wie Herr Schubert da wäre, der die entsprechende Expertise hätte. Aber es gibt leider keinen Herrn Schubert in Österreich.
Und es gibt zu wenige Eishallen.
KIEFER: Es ist generell ein Wahnsinn, dass man in Österreich einzig in Wien ganzjährig trainieren kann. Natürlich wäre es vor allem für Kinder und Jugendliche super, wenn es auch in Salzburg, Graz, Klagenfurt oder Innsbruck Stützpunkte gäbe. Als Schüler kann man halt nicht sagen, ich gehe jetzt einmal für drei Monate nach Berlin trainieren. Und so ist das bei uns halt echt schwierig.
In Österreich haben viele Sportarten ähnliche Probleme. Fehlt hierzulande generell das Bewusstsein für den Sport?
KIEFER: Schon. Wir sind ja viel unterwegs und erleben auch viel. In Ländern wie Japan ist Eiskunstlauf Nationalsport, da ist die Wertschätzung eine ganz andere. Oder in Amerika. Da ist es komplett egal, welche Sportart du machst: Wenn du bei Olympia warst, bist du ein Held.
ZIEGLER: Für einen Olympiateilnehmer stehen dort alle Unis offen, da kriegst du etwas zurück, da bist du ein Botschafter für den Sport und die Gesundheit. Die Leute sind stolz auf ihre Sportler. Dafür fehlt bei uns das Bewusstsein. Es sollte zumindest anerkannt werden, wenn du einmal bei Olympia oder bei Weltmeisterschaften warst. Bei uns wird man als Eiskunstläufer ja eher belächelt.
Eiskunstlauf ist von der Wahrnehmung her aus der Fernsehberichterstattung komplett verschwunden.
KIEFER: Stimmt. Und Leute sagen oft, dass sie Eiskunstlauf früher immer mit der Mama und der Oma angeschaut haben, aber jetzt kriegt man halt davon gar nichts mehr mit.
ZIEGLER: Was wir in den letzten zwei, drei Jahren gemerkt haben, ist, dass unser Sport für eingefleischte Fans, die voll in der Szene drin sind, über die digitale Schiene wieder zugänglicher wurde. Aber ein Laie stößt halt nicht zufällig auf einen Youtube-Link mit der Liveübertragung.
Viel Fernsehzeit bedeutet für Sportler auch großes Interesse und entsprechenden Zugang zu Sponsoren. Wie überleben Sie?
ZIEGLER: Durch das Bundesheer. Das ist unser Sicherheitsnetz, unser Grundüberlebenseinkommen. Wenn diese Förderung wegfallen würde, müssten wir aufhören. Wir hängen da wirklich dran. Alle anderen Förderungen sind natürlich auch essenziell, damit finanzieren wir den Trainer und die Trainingslager. Aber zur Seite kann man sich nichts legen.
KIEFER: Letzte Saison und auch in dieser sind wir bei den Grands Prix in die Top fünf und damit in die höchsten Preisgelder reingekommen. Aber da reden wir von Summen zwischen 700 und 1500 Euro.
Blickt man neidisch zu Sportarten mit Millionenpreisgeldern wie im Golf oder Tennis? Oder hierzulande zu Marcel Hirscher?
KIEFER: Da sind wir wieder beim Thema Einschaltquoten. Gegen Marcel Hirscher bin ich übrigens als Zehnjähriger im Bezirkscup gefahren und mein Papa, meine Mama und ich haben uns damals gefragt, wie es sein kann, dass ich 13 Sekunden langsamer war. Ein paar Jahre später wussten wir, warum. Ich bin recht passabel Ski gefahren, aber nicht schnell. Ich habe in Salzburg auch Fußball gespielt und hätte da eher die Chance gehabt, mehr zu verdienen als im Eiskunstlauf. Aber die Teilnahme etwa als Junger beim Junioren-GP in Mexiko war für mich interessanter.
Zum Paarlauf gehört natürlich auch die passende Musik. Wie findet man die richtigen Töne für ein Kurzprogramm oder die Kür?
ZIEGLER: Wir arbeiten seit 2014 mit Mark Pillay, einem Choreografen aus Kanada, zusammen. Er ist immer auf Musiksuche und schickt uns Lieder mitsamt einem Konzept, wenn er glaubt, dass es für uns passen könnte. Dann besprechen wir es durch, er erklärt uns kurz die Idee dahinter und wenn wir mit der Umsetzung starten, kann so ein Programm innerhalb einer Woche fertig sein. Es hängt halt davon an, wie schnell wir seine Ideen mit der Reihenfolge der Elemente umsetzen können.
Ein oft umstrittenes Thema im Eiskunstlauf sind die Preisrichter. Schaut man sich vor einem Wettkampf an, wer die Noten vergibt, und denkt sich dann: Bitte nicht schon wieder die oder der ...?
KIEFER: Es ist streng reglementiert, dass man mit den Preisrichtern nach der Auslosung und bis Wettkampfschluss nicht kommunizieren darf. Aber wir holen uns nach dem Wettkampf Feedback von ihnen und fragen nach, was wir besser machen könnten oder woran wir arbeiten müssen. Als Athlet hat man eine ganz andere technische Sicht auf die Elemente, auf Würfe oder Hebungen.
Bei der Heim-EM dürfen Sie schon ein wenig auf Heimvorteil hoffen?
ZIEGLER: Hoffen darf man immer. Auch wenn wir wirklich noch nie bevorzugt benotet wurden. Unfair vorn waren wir nie. Oft hören wir von Preisrichtern oder dem technischen Panel nach Wettkämpfen, dass sie unsere positive Entwicklung sehen, dass wir vieles richtig gut machen und wir am richtigen Weg sind. Aber wir warten und warten, dass die Noten tatsächlich besser werden. Eine Preisrichterin hat uns beispielsweise in Moskau erzählt, dass wir bei der Nachbesprechung des Kampfgerichts so gelobt wurden. Aber warum hat man das Lob nicht vorher in der Wertung gesehen? Da war ich wirklich frustriert. Ich weiß nicht, was wir besser machen sollen, wenn andere sich drei Fehler leisten können und trotzdem vorn sind. Man muss halt so gut sein, dass es keine Fragen mehr gibt. Das ist zwar eine wahnsinnig schwierige Aufgabe, aber das ist die einzige Chance, die wir haben. Unser Sport ist halt sehr politisch wie auch alle anderen Sportarten, die subjektiv gewertet werden. Uns fehlt noch die Lobby im Hintergrund. Aber wir geben nicht auf.