Wir machen uns selbst keinen Druck. Der Druck kommt, wenn, nur von außen.“ Das sagt Mario Stecher, Österreichs nordischer Sportdirektor. Es klingt ein wenig nach Abwehrhaltung. Fakt ist, dass die heimischen „Adler“ bei der heute (16.30 Uhr, ORF eins live, Kleine Zeitung-Liveticker) in Oberstdorf startenden Vierschanzentournee trotz Stefan Krafts Qualifikationssieg kaum ein Wort um den Sieg mitreden werden. Und auch die Erfolgsaussichten auf die am 20. Februar vor der eigenen Haustür beginnende WM in Seefeld sind derzeit noch stark getrübt.

Das Problem ist aber kein neues. Betrachtet man die letzte Tournee im Rückspiegel, so hatte sich die Krise im „Adlerhorst“ da längst manifestiert. Zwei vierte Plätze von Kraft (Oberstdorf und Bischofshofen) sowie Michael Hayböck mit Platz 14 als Österreichs „Bester“ in der Gesamtwertung brachten Cheftrainer Heinz Kuttin, der schlussendlich nach verbalen Attacken gegen sich und seine Familie die Reißleine zog, arg in Schieflage.

Sein Nachfolger Andreas Felder krempelte zwar vor allem hinsichtlich Training und Stützpunkten so manches um, doch hat sich der gewünschte Erfolg bis dato nicht eingestellt. Kein Wunder, erfordert so ein Umbau natürlich Zeit. Zeit, die man in Anbetracht einer bevorstehenden Heim-Weltmeisterschaft allerdings nur schwer zugesprochen bekommt.

Die Gründe, warum die einstige Skisprung-Großnation aktuell nur eine Nebenrolle spielt, sind vielfältig. Einerseits wurde es in der Zeit der goldenen Ära, als Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern und Kollegen von Sieg zu Sieg flogen, verabsäumt, die nötigen Hebel in der Nachwuchsarbeit zu bewegen. Andererseits sind dem ÖSV in der Vergangenheit viele kompetente Trainer abhandengekommen. Alex Stöckl, Stefan Horngacher und Kuttin, die einst als Stützpunktleiter die ÖSV-Zentrale rund um Ex-Chefcoach Alexander Pointner mit ihrem Wissen und wichtigen Daten perfektionierten, gingen ins Ausland und nahmen das Know-how mit. So konnten viele Nationen aufholen und Österreich mittlerweile überholen.

Zwar konnte Kraft im Frühjahr 2017 mit seinen beiden Weltmeistertiteln in Lahti noch über die bereits aufziehende Schlechtwetterfront innerhalb des ÖSV-Teams hinwegtäuschen. Als beim Salzburger jedoch in der darauffolgenden Saison ebenfalls der gewohnte Erfolgsfaden riss und er damit als motivierendes Zugpferd ausfiel, war die kollektive Krise unausweichlich.

Auch bei der traditionellen Tournee-Pressekonferenz der Österreicher im Hotel Oberstdorf machte Kraft nicht zwingend den Eindruck, als wäre er von seinem derzeitigen Leistungsvermögen unumstößlich überzeugt. Drei Top-10-Plätze, aber noch kein Sprung auf das Podest in den bisherigen sieben Einzel-Konkurrenzen dieser Saison bilden die überschaubare Ausbeute des Doppel-Weltmeisters und ehemaligen Tournee-Triumphators. Im Training würden die Sprünge zwar schon ganz gut funktionieren, doch würde im Wettkampf noch die nötige Stabilität fehlen. Aber: „Ich bin nicht nur zum Spaß bei der Tournee dabei. Ich traue mir noch nicht zu, um den Sieg mitzuspringen, aber ein Stockerlplatz ist das Ziel“, sagt der 25-Jährige.

Während dies bei Kraft im Rahmen seiner Möglichkeiten ist, können seine Teamkollegen Daniel Huber, Michael Hayböck, Markus Schiffner,Philipp Aschenwald und Manuel Fettner nur überraschen. Auch wenn Stecher betont, „dass es im Skispringen schnell und einem von heute auf morgen der Knopf aufgehen kann.“ Eine Aussage, die wie die weiteren Sätze des Steirers „Die Tournee hat ihre eigenen Gesetze“ und „Niemand erwartet etwas von uns, daher können wir locker in die Tournee gehen“ aus rot-weiß-roter Sicht derzeit nur das Prinzip Hoffnung bedient.

Für die Skisprung-Nation Österreich, deren Stolz auf großen Erfolgen basiert, ist dies aber schlichtweg zu wenig. Daher müssen die Verantwortlichen baldigst die richtigen Flugkoordinaten Richtung Rückkehr in die Erfolgsspur finden.