Am Freitag wird in Kitzbühel wieder der Super-G gefahren, Ihr Sohn Marcel wird nicht dabei sein. Mischen Sie sich in solche Entscheidungen ein?
FERDINAND HIRSCHER: Nein. Da mische ich mich gar nicht ein. Marcel entscheidet selbst, was er fährt. Wir sind den Super-G in Kitzbühel drei Mal gefahren, das Resultat war nie berauschend.
Das „Projekt Abfahrt“ hat Ihr Sohn endgültig gestrichen. War es wirklich ernsthaft Thema?
Immer wieder, wenn man denkt, wie schnell er ohne Training im Super-G war. Aber es hat keinen Sinn, weil man den Slalom streichen müsste. Und das ist schwierig, wenn man so erfolgreich ist.
Bleiben wir in Kitzbühel. In seinem Magazin hat Marcel betont, dass die Familie sein letztes Stück Normalität sei. Kitzbühel ist das genaue Gegenteil. Wie gehen Sie damit um?
Ich entgehe dem Wahnsinn, indem ich jeden Tag heim nach Annaberg fahre, da habe ich Normalität. In der Früh sause ich wieder nach Kitzbühel, in 1:45 Stunden bin ich da. Marcel muss halt immer in Kitzbühel bleiben – das gehört eben dazu.
Trotz seiner Erfolge ist Marcel immer bescheiden, zurückhaltend, stapelt tief. Warum?
Marcel wird immer angedichtet, dass er tiefstapelt. Aber die Leute sollten einmal sehen, mit welcher Akribie und welchen Zweifeln wir arbeiten. Es gibt genug, die vorher groß reden. Wir halten den Ball lieber flach.
Die Selbstzweifel sind also keine Koketterie, sind wirklich da?
Sie sind permanent vorhanden. Es ist immer ein Tüfteln, ob man am richtigen Weg ist. Das braucht man. Wenn man nicht zweifelt, übersieht man Sachen.
Schwer vorstellbar, wenn man die Erfolge sieht, oder?
Aber es passiert. Bei Olympia im Slalom etwa. Da haben wir getüftelt! Ich bin einen halben Tag nicht in die Skischule arbeiten gegangen, weil ich mir alle Videos noch einmal angeschaut habe. Aber wir sind nicht draufgekommen, warum wir keine Abstimmung finden können. Und das, obwohl er ein paar Tage vorher Olympiasieger in der Kombination wurde.
Wie funktioniert Ihr System? Haben Sie das alles im Kopf?
Nein. Ich habe alles notiert: Ich weiß von jedem Ski, wie er bei welchen Bedingungen funktioniert – und dann schlage ich eben nach.
Nur ganz wenige Spitzensportler mussten nie durch Wellentäler. Glauben Sie, das Tal wird bei Marcel auch noch kommen?
Irgendwann kommt diese Zeit sicher. Wenn sie vor dem Aufhören kommt (lacht). Aber bis 50 wird er nicht fahren.
Welche Faktoren lassen Marcel seit zehn Jahren oben stehen?
Gesundheit – also wenige bis keine Verletzungen und ab und zu ein bisserl Luft, damit man sich regenerieren kann.
Was ist Marcels prägendste Charaktereigenschaft für den Erfolg?
Positiver Ehrgeiz. Ehrgeiz hat bei uns oft einen negativen Beigeschmack. Aber ohne Ehrgeiz geht gar nix. Positiver Ehrgeiz ist, immer weiter und weiter zu wollen. Keine Energie fürs Jammern verschwenden, wenn was nicht geht, sondern aufstehen und weiterprobieren.
Wenn Marcel aufhört, würde es Sie reizen, weiter Trainer zu sein?
Reizen schon. Ab und zu sehe ich junge Athleten und denke mir: Den könnte ich gut unterstützen. Vielleicht tue ich es ja.
Haben Sie Angst vor dem Ende?
Klar. Aber irgendwann kommt es. Ich denke, das wird so sein wie bei mir, als ich meine Hütte auf der Alm abgegeben habe. Da hab ich den Schlüssel gedreht und mir gedacht, die Welt bricht zusammen. Das war eine Liebesbeziehung zu dieser Hütte, genau wie zum Skirennsport. Aber wenn es zu Ende ist, werde ich dann alles daheim mit den Haxen am Tisch genüsslich anschauen und auch meine Freude haben.
Marcel hat von sich gesagt, er sei in der Schule nicht der schlaueste gewesen – und auch nicht das größte Talent auf Ski.
Das stimmt so nicht. Er war schon mit zehn, zwölf Jahren eine Ausnahme. In puncto Beweglichkeit, Freude und Spielerischem habe ich keinen gesehen, der besser gewesen wäre.
Da gibt es also dann doch ein Tiefstapeln?
Ja, da tut er es. Wie der als kleiner Bub Buckelpiste gefahren ist, da habe ich mir schon damals gedacht: unglaublich.
Marcel sagt immer, Rekorde interessieren ihn frühestens nach der Karriere. Kennen Sie all seine Rekorde?
Ich entnehme das auch nur den Zeitungen. Aber sicher ist es gut, wenn er einen Riesentorlauf wie etwa den in Garmisch mit 3,28 Sekunden Vorsprung gewinnen kann. Das gab es vor ihm ja nur zu Zeiten von Ingemar Stenmark. Das sind schon coole Sachen. Das war schon im Schülerbereich so. Als wir bei der ,Trofeo Topolino‘ waren und die Siegerliste gesehen haben: Girardelli, Stenmark, Tomba – und dann steht Hirscher unten dran. Das war toll.
Wann haben Sie erstmals gemerkt: Das kann weit gehen?
Damit habe ich mich nie auseinandergesetzt. Ja, er war ein tolles Talent – aber da gab es viele. Meine Philosophie war: Wir kämpfen Rennen für Rennen und sehen, wie weit es geht. Und wir probieren immer das Maximum, das erspart schlechtes Gewissen. Man muss sich dann nicht fragen, ob man zu schlampig war. Weil wenn ich alle Parameter zusammenführe und trotzdem auf keinen Nenner komme, muss man das akzeptieren und sagen: Danke, wunderbar.
Marcel ist in Österreich die Person mit der größten Glaubwürdigkeit. Macht das stolz?
Ich denke mir oft, dass erfolgreiche Sportler in Dimensionen hinaufgejubelt werden … Im Endeffekt ist ein Sportler ja auch nichts anderes als jeder normale Mensch, nur dass er auf einem Sektor besondere Fähigkeiten hat. Man muss da schon probieren, ehrlich zu bleiben.
Marcel meinte, dass sich mit der Geburt seines Sohnes die Prioritäten verschoben hätten – die Erfolge nehmen aber nicht ab. Merken Sie die neuen Prioritäten?
Das hat damit zu tun, wie es dem Baby und seiner Frau Laura geht. Wenn es beiden gut geht, kann er sich auf den Rennsport konzentrieren. Wäre es nicht so, würde er die Prioritäten verlagern, logisch. Aber so lange alles in Ordnung ist, wird sich nicht viel ändern.