In der Fortsetzung des von Ex-ÖSV-Trainer Karl "Charly" Kahr angestrengten Prozesses wegen übler Nachrede gegen eine ehemalige Skirennläuferin und deren Ehemann sind am Donnerstagvormittag Missbrauchsvorwürfe gegen Kahr und Toni Sailer im Mittelpunkt gestanden. Ein ehemaliger Journalist berief sich auf seine Recherchen, juristisch verwertbar seien diese aber nie gewesen, bedauerte er.
Zu klären galt es am Donnerstag im Prozess am Bezirksgericht Bludenz freilich die Frage, ob der Ehemann der Ex-Skirennläuferin seine WhatsApp-Nachricht an Ski-Legende Annemarie Moser-Pröll "KK (Karl Kahr, Anm.) hat zusammen mit TS (Toni Sailer, Anm.) viele Mädchen missbraucht und gebrochen" im guten Glauben getätigt hat. Er blieb bei seinen Angaben, die er beim Auftakt der Verhandlung am 6. April vergangenen Jahres gemacht hatte. Insbesondere betonte er - entgegen der Ansicht von Kahrs Rechtsvertreter Manfred Ainedter - die von ihm und seiner Frau gemachten Äußerungen seien niemals für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. "Karl Kahr hat die Publizität selbst geschaffen, die er nun offenbar nicht mehr will", sagte Verteidiger Martin Mennel. Kahr blieb der Verhandlung am Donnerstag fern.
Nach einigem Hin und Her und Animositäten zwischen den Parteien sagte ein ehemaliger Journalist als Zeuge aus, der insbesondere den "Fall Toni Sailer" - Vergewaltigungsvorwürfe aus dem Jahr 1974 - recherchiert hatte. Dass die Angaben in seinem Artikel korrekt gewesen seien, sah er insofern bestätigt, als er nie vom Österreichischen Skiverband oder Sailer persönlich geklagt worden sei.
Ungenannte Informanten
Zu Mitte der 1970er Jahre habe es im Skizirkus neben dem "Fall Toni Sailer" Gerüchte gegeben, wonach im österreichischen Ski-Damenteam sexuelle Gefälligkeiten - sowohl freiwillig als auch unfreiwillig - erwartet worden seien, etwa für Startplätze. Er berief sich auf mehrere Informanten , deren Namen er aber nicht nannte. Der Alkoholismus von Sailer und Kahr sei ein offenes Geheimnis gewesen, sagte der ehemalige Journalist. Kahr habe betrunken sogar damit geprahlt, junge ÖSV-Skiläuferinnen zu entjungfern. Für ihn habe sich ein klares Bild ergeben, so der Zeuge. Beweise bzw. Personen, die vor Gericht ausgesagt hätten, habe er aber nicht gehabt.
Der Ex-Journalist hatte sich im Dezember 2017 in der Wohnung von Nicola Werdenigg mit zwei "Standard"-Journalisten und dem beklagten Ehepaar getroffen. Es sei ein sehr bewegender und emotionaler Nachmittag gewesen. Der angeklagte Ehemann habe aufgrund der Erzählungen an jenem Nachmittag durchaus zum Schluss kommen können, dass Sailer und Kahr Missbrauch betrieben hätten, sagte er. Die beiden "Standard"-Journalisten entschlugen sich unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis der Aussage.
Werdenigg: "Hat Macht eingesetzt und missbraucht"
Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg, Olympia-Abfahrtsvierte von 1976, berichtete in ihrer Zeugen-Einvernahme von einer "exzessiven sexuellen Stimmung" im Skiteam der 1970er-Jahre. Karl Kahr habe nicht die Eignung besessen, Trainer eines Damen-Skiteams zu sein und sei deshalb abgelöst worden. "Er hat seine Macht eingesetzt und missbraucht", sagte Werdenigg.
Der Missbrauch habe nicht nur, aber auch sexuell stattgefunden. Auch bei den Männern sei ein System erzeugt worden, das 1977 sogar einen Athleten in den Suizid getrieben habe, sagte Werdenigg. Manche Skiläuferinnen hätten ihre Karrieren beendet, als Kahr ein Naheverhältnis zu Annemarie Moser-Pröll aufgebaut und sie bevorzugt habe. Dass zwischen den beiden ein sexuelles Verhältnis bestanden habe, stand für Werdenigg aufgrund ihrer eigenen Wahrnehmung fest, die sich im Wesentlichen auf Erzählungen stützte. Moser-Pröll hatte das im April bereits energisch zurückgewiesen.
Werdenigg wusste "aus direkter Quelle von drei Fällen"
Im Männer-Skiteam ist es laut Werdenigg so weit gegangen, dass ein Masseur junge Frauen unter Vorwänden in Hotels gelockt habe, wo pornografische Fotos und Filme produziert worden seien. Das entstandene Material sei dann im Skiteam verteilt worden. Ein Mal hätten Aufnahmen auch in Kahrs Haus stattgefunden. In Sachen sexuellem Missbrauch durch Kahr wusste sie nach eigenen Angaben "aus direkter Quelle von drei Fällen, gerüchteweise von mehr". Sie unterstrich die Aussage des Ex-Journalisten, wonach Kahr die Entjungferung junger Rennläuferinnen "als sein Recht" betrachtet habe.
Zudem hätten Kahr und Sailer immer wieder für Alkohol-Exzesse gesorgt, Kahr sei "ein bis zwei Mal pro Woche" verkatert zum Training erschienen, so die Ex-Rennläuferin. Auch Moser-Pröll sei zuweilen betrunken gewesen. "Alkohol lag in der Luft", beschrieb Werdenigg die damalige Szenerie. Aufgrund des Gesprächs in ihrer Wohnung im Dezember 2017 sei die WhatsApp-Nachricht des Angeklagten an Moser-Pröll "nachvollziehbar". Er habe die gemachten Erzählungen wohl in diesem Sinne - dass Kahr und Sailer junge Frauen missbraucht hätten - verstanden.