Wenn Marcel Hirscher sich selbst eingestehen wird, dass er sich leistungsmäßig am Gipfel befindet, wird er seine Karriere beenden. Noch ist es nicht so weit. Trotz des Gewinns von sechs großen Kristallkugeln in Folge strebt der Alpinski-Star aus Salzburg weiter nach Verbesserung. Sicher ist, dass er am Höhepunkt abtreten wird. Schon in Aspen fiel der Startschuss für die neue Saison.

Entspannt bat der 28-Jährige im warmen Sonnenschein am Pool des ÖSV-Mannschaftshotels in Aspen die kleine Medienrunde zum Gespräch und ließ die Saison Revue passieren. "Um es so richtig zu realisieren und kapieren, muss ich dann einmal aufgehört haben", sagte Hirscher. Wenn man aber mit den engsten Vertrauten und Trainern die Rennen durchgehe, dann merke man, dass schon richtig viel abgegangen sei.

"Da waren Einzelrennen dabei, die toll waren. Es waren Serien dabei. Der Jänner war top, die Weltmeisterschaft auch, die hätte nicht besser laufen können. Es war ganz viel ganz schwierig bei dieser Weltmeisterschaft, aber das Endresultat war mega. Irgendwie merkt man schon, es ist viel passiert in dem Winter." Hirscher gewann in St. Moritz die Goldmedaillen im Riesentorlauf und Slalom, sowie Silber in der Kombination.

Duell mit Kristoffersen "nervenaufreibend"

Ein Moment, der ihn ewig in Erinnerung bleiben werde, sei der zweite Durchgang des Slaloms in Kitzbühel, als er sich nach Halbzeitrang neun noch zum Sieg katapultiert hatte. "Da weiß ich genau, das schaue ich mir in fünf Jahren noch immer an. Ein Rennen wie beim Auftakt in Sölden nicht, das war nicht das Outstanding-Skifahren, wo ich mich selbst begeistert habe." Generell strich Hirscher den Fight mit dem Norweger Henrik Kristoffersen hervor. "Das war heuer sehr oft sehr spannend und nervenaufreibend und hat mich aufs Äußerste gebracht, was meine Slalomform betrifft. Es war wirklich cool. Es sind Momente und Highlight, die sauviel zurückgeben."

Es sei eine Saison gewesen, in der er "gescheit reinhackeln durfte", habe er zu Beginn doch schon was zum Aufholen gehabt auf die Besten. "Das war sicherlich sehr viel Arbeit, aber es war cool. Weil das Endresultat dann gestimmt hat. Wenn man merkt, dass man besser wird, ist das ein gutes Gefühl." Herausfordernde Gegner zu haben, ist für ihn daher absolut wichtig. "Wenn ich nicht muss, tue ich nichts. Wenn ich muss, tue ich viel."

Aufhören am Höhepunkt

Würde Hirscher nun also seine Laufbahn beenden, würde er es am Höhepunkt seiner Karriere tun. "Wenn ich heute sage, das war es, dann weiß ich, dass ich am absoluten Peak aufhöre. Und das wird immer dann so stehen bleiben. Wenn ich nächstes Jahr nicht mehr Gesamtweltcupsieger werde, dann heißt es, jetzt ist er Zweiter geworden, jetzt muss er es lassen, jetzt kann er es nicht mehr. Das ist das Bittere unter Anführungszeichen, wenn man so in der Auslage steht. Das ist die Gefahr, dass man wie manch anderer Großer schlussendlich klein aufhört aufgrund der aktuellen Leistung."

Für ihn wäre es das Schönste, am Peak aufzuhören, er fühlt aber, dass noch mehr geht. "Das muss ich jetzt sagen. Denn wenn ich mir selbst eingestehe, dass ich nicht mehr besser werden kann, dann ist gut, wenn ich aufhöre und was anderes mache, wo ich noch sehr viel lernen kann." Also werde er versuchen, sich im Slalom und Riesentorlauf zu verbessern. "Die anderen werden nämlich sicher besser. Das Radl dreht sich. Du musst selber besser werden, damit du in dem Radl mithalten kannst." Die Luft werde immer enger, es brauche immer mehr Aufwand für das Ganze.

Wenn er sich zurückerinnere, sei es aber jedes Jahr das Gleiche. "Wir reden oft drüber. Nach dem ersten Gesamtweltcupsieg haben wir gesagt, eigentlich musst du jetzt was anderes machen, weil das wird nie wieder so sein. Nach dem zweiten, nach dem dritten, nach dem vierten, nach dem fünften und nach dem sechsten. Jedes Mal haben wir die gleiche Diskussion."

Hirscher wird kein Abfahrer mehr

Hirschers Antrieb ist nicht der sportliche Erfolg, sondern die Leistung, wie er sagt. "Für mich ist das Wichtigste, dass ich schnell Skifahren kann." Trotzdem dachte er diesen Winter tatsächlich "einmal" darüber nach, dass ihn nun nur noch zehn Weltcupsiege auf die 54 von Hermann Maier fehlen. "Und ich bin neunmal Zweiter geworden. Aber zurecht. Es war immer einer schneller."

Zudem war die Saison auch darauf ausgerichtet, für das Kristall-Ziel möglichst viele Punkte zu machen. Da wurde das eine oder andere Mal auch ein wenig taktiert, trotzdem schauten auch fünf Siege heraus.

Was Hirscher endgültig ad acta gelegt hat, ist eine mögliche Abfahrts-Karriere. "Ich merke, dass es sehr viel Zeit und Training und Engagement benötigen würde, komplett umzuswitchen. Und es ist zu hinterfragen, ob ich jemals den Speed herbringen würde wie in den technischen Disziplinen. Das nächste ist, bis jetzt bin ich gesund. Und das Risiko dann in Kauf zu nehmen, ist wirklich zu hinterfragen."

Er erinnerte an die schwierigen Abfahrten im Jänner in Garmisch-Partenkirchen, wo es einige folgenschwere Stürze gab. "Das denke ich mir, das ist sinnlos. Wenn du nicht die Erfahrung mitbringst wie ein richtiger Crack, dann begibst dich fast schon vorsätzlich auf den OP-Tisch. In den technischen Disziplinen aber ist alles handelbar." Mit der Geschwindigkeit multipliziere sich das Risiko.

"Wenn ich muss, kann ich ein Killer sein"

In Aspen baut Hirscher schon für den kommenden Winter vor. Zum einen, weil er wegen des Absicherns einer guten Startnummer den Super-G bestreiten wird, zum anderen weil er im Training auch die neuen Riesentorlauf-Ski testete. Und zu den Entschluss kam, dass da viel Arbeit warten wird. Auch nachdem er sich die Gesamt-, Riesentorlauf und Slalomwertung vorzeitig gesichert hatte, stand Faulsein in den USA nicht auf der Tagesordnung. "Wir trainieren jeden Tag, legen es genau gleich an wie immer, wollen Rennen gewinnen."

Aber die Frage sei, wie weit der Killer rauskomme, wenn man wisse, dass man nicht mit dem Rücken gegen die Wand stehe. "Das ist, was ich meine. Wenn ich muss, dann kann ich. Wenn ich nicht zwingend muss, bin ich manchmal faul. Aber das ist, glaube ich, eh bei jedem so."