Die Olympia-Abfahrt: Platz vier, Medaille knapp verpasst. Der Olympia-Super-G: Die schlimmste Pleite seit es den Super-G bei Olympia gibt. Die Olympia-Super-Kombination: Ein Österreicher in der Wertung, Platz sechs, die Schination Österreich verzichtete sogar darauf, das gesamte Startkontingent auszuschöpfen. Zuvor war schon nach dem verpassten Podium in Abfahrt und Slalom von Kitzbühel kollektive Trauer und Krisenstimmung ausgerufen worden. Das Schi-Land Nummer eins ist nur mehr eines von vielen, zumindest bei den Herren. Und ausgerechnet dort, wo es am meisten weh tut: In der Parade-Disziplin, der Abfahrt.

Der Präsident des österreichischen Schi-Verbandes, Peter Schröcksnadel, ist trotzdem zufrieden. Weil just die Damen, die zuvor im Weltcup hinterher fuhren, bei Olympia das taten, was die Männer nicht schafften: Medaillen gewinnen. Und, zumindest im Moment, will sich der Präsident gar nicht mit den negativen Seiten auseinander setzen. "Bei Niederlagen", doziert er, "hilft nur der Blick nach vorne. Wenn du das Negative mitnimmst, bist du bei den anstehenden Aufgaben erst recht chancenlos. Kurzum: das Nächste ist das Wichtigste." Auch sein Cheftrainer bei den Herren, Anton Giger, schaut lieber nach vorne als zurück. Und weiß: "Was uns bis hierhin bringt, wird uns nicht weiterbringen."

Was aber hat die Schi-Nation tatsächlich so weit gebracht?

Generationswechsel. Ein altbekanntes Argument: Ende der 90er-Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends waren die Österreicher in der Masse stark. "Eine Dichte, die es jetzt einfach nicht mehr gibt", sagt etwa Benjamin Raich - und der muss es wissen. Neunfachsiege wie früher sind einfach nicht mehr möglich; weil die Dichte größer ist und die "goldene Generation" rund um Namen wie Hermann Maier, Stephan Eberharter, Christian Mayer, Fritz Strobl und wie sie alle hießen, nicht ersetzt werden konnte. Zumindest nicht adäquat. "Das ist das Kernproblem", weiß Schröcksnadel. Bis auf Marcel Hirscher ist derzeit auch niemand in Sicht, der diese Lücke formatfüllend schließen könnte.

Material. Die "goldene Generation" hatte auch einen goldenen Vorteil. Das Material. Fast alle Stars fuhren auf derselben Schimarke, Benjamin Raich sagt noch heute: "Wenn wir damals am Start waren, haben wir praktisch gewusst, dass wir eine Sekunde Vorsprung wegen des Materials haben." Diese Zeiten sind vorbei. Zum einen trachten die Schifirmen danach, dass nicht nur Österreich das beste Material bekommt, schließlich gibt es auch außerhalb dieses Landes Kunden. Zum anderen haben die anderen Nationen ihre Hausaufgaben gemacht. "Es war klar, dass die sehr genau geschaut haben, was wir machen und es auch so machen. Das ist ja nicht verboten. Aber der Vorteil, den wir vor zehn Jahren hatten, den gibt es nicht mehr."

Allrounder. Nach Karl Schranz war Ebbe. Österreich schaffte es nicht, einen Gesamtweltcup-Sieger zu stellen und setzte daher auf die "Züchtung" von Allroundern; Schifahrer, die in mehreren Disziplinen fahren. Ein Ziel wurde erreicht, wenngleich nicht wirklich mit den "eigenen" Alleskönnern: Hermann Maier ist dem ÖSV "passiert", seine Siege im Gesamtweltcup läuteten ein Hoch ein, das durch Stephan Eberharter und Benjamin Raich prolongiert wurde. Aber: Von den anderen Allroundern ist nicht viel zu sehen. Schröcksnadel: "Wenn man als Jugendläufer in drei Disziplinen fahren muss, dann ist man zwar überall gut, aber nirgends sehr gut." Das werde man nach Olympia "anschauen müssen", sagt er. Der Sport habe sich verändert, das System, das man aufgebaut habe, funktioniere nicht mehr. "Deswegen werden wir etwas ändern. Ändern müssen." Was nachdenklich macht: Andere Nationen schaffen es, echte Allrounder zu erzeugen. Beispiele? Die Norweger, die Schweizer, die US-Amerikaner, sogar die Kroaten.

Typen. Die "goldene Generation" bestand aus vielen Typen. Aus eigenständigen Charakteren, die oft Reibebäume waren. Die neue Generation, mit Ausnahme eines Marcel Hirscher, scheint dagegen ohne Ecken und Kanten zu sein. Absolventen der ÖSV-Schule, die Individualität verabscheut. Zumindest hat man diesen Eindruck oft. Mit ein Grund, warum man Typen vergeblich sucht. Doch Sieger sind immer Typen.

Aufstellung. Ivica Kostelic, kroatische Star und Silbermedaillengewinner in der Kombination, hat eine weitere Erklärung für das Österreich-Tief: "Im Weltcup ist die Stärke Österreichs die große Mannschaft. Bis zu elf dürfen starten, einer kommt halt immer durch. Bei Olympia gibt es nur vier - und da kann einmal etwas daneben gehen." Der Tiefpunkt der Aufstellung: Die Super-Kombi, bei der Österreich nicht einmal vier Läufer schaffte. Weil die, die Chancen hätten, noch nicht (Hirscher) oder nicht mehr (Mario Matt) fahren wollten oder verletzt sind (Rainer Schönfelder). Und weil die, die da waren, keine Kombinierer sind.

Details. "Um Erfolg zu haben", sagt Cheftrainer Giger, "müssen am Tag X alle Details stimmen." Das haben sie offensichtlich nicht, denn im Super-G ging "alles daneben", wie Giger eingesteht. Das Problem: Niemand kann sich weltweit so viele Trainer, Experten und so viel Technik leisten, um so an jedem Detail zu feilen. Genutzt hat es nichts. Giger: "Weil wir die Übergänge ins Flache nicht richtig erwischt haben. Daran gilt es zu arbeiten."

Chemie. Immer wieder betont der Cheftrainer den Zusammenhalt im Team, den der Trainer. Aber: Zur besten Zeit vor mehr als zehn Jahren herrschte zwischen den Trainingsgruppen eiskalte Rivalität: Jeder kämpfte gegen jeden. Was es aber oft im Unterschied zu jetzt trotzdem gab: Den direkten Vergleich im Training, um sich orientieren zu können und einander zu neuen Höchstleistungen zu treiben. Insofern ist die Chemie vielleicht sogar zu gut.

Freude. Bode Miller sagt es immer wieder: Für ihn zählen nicht Medaillen, sondern die Freude am Schi fahren. Sie brachte ihm bisher in drei Bewerben drei Medaillen ein. Und auch Giger weiß: "Die besten Fahrten sind die, wo die Leute hinterher sagen, wie viel Freude das Schi fahren gemacht hat." Manchmal scheint diese Freude zu fehlen. Giger: "Bei uns war vielleicht zu oft das Gefühl da: Ich erzwinge es jetzt, man muss mir diese Medaille umhängen." Was nicht gelang.

Schnee. Immer der letzte Ausweg: Die Schneebeschaffenheit. Schon in Åre 2007 ein großes Problem, wie erklärt wurde. Zu trocken, zu aggressiv. Dann in Val d'Isère 2009: die Höhe machte den Schnee ebenso trocken, aggressiv, was wieder nicht gepasst hat. In Whistler hätte das jetzt anders sein sollen - ist es aber nicht. "Ein Versuch einer möglichen Erklärung sind die Schneeverhältnisse", sagt Präsident Schröcksnadel; ein Blick zurück sagt uns: Keine Überraschung. Diesmal schuld: Es war hart, weich, zwischenzeitlich ist der Schnee gebrochen. Vielleicht haben sich unsere Leute darauf nicht einstellen können. Vielleicht."

Tatsache aber ist auch, was Schröcksnadel als letzten Satz auf die Schnee-Frage anführt: "Wir sind selbst ratlos, was da passiert ist." Hoffentlich ändert sich das. Bald. Vielleicht schon heute im Riesentorlauf - ORF 1 live ab 18.30 bzw. 22 Uhr.