Sie wachen heute auf, als zweifache Weltmeistern, erstmals als "Dreißiger". Ist das alles schon richtig im Bewusstsein?
ELISABETH GÖRGL: Zum Teil. Es waren viele Termine, ich war bis zum Riesentorlauf fokussiert, habe nicht zu viel feiern dürfen, mich nicht fallen lassen können. Ich denke aber, dass ich die nächsten Tage ruhig angehen kann, da ich die Möglichkeit habe, alles sacken zu lassen. Deshalb wache ich auf und bin eine glückliche Dreißigerin.

Es soll ja Menschen geben, die sich vor der 30 fürchten.
GÖRGL: Meine Freundin Eva ist vor zwei, drei Jahren 30 geworden. Und sie hat gesagt: Ihr taugt's. Weil man mit 30 erwachsener ist, gesetzter. Und da hab' ich gedacht: Recht hat sie, das beeindruckt mich. Ich bin dem Schritt, dass ich gesetzter werde, auch um Einiges näher gekommen. Der Dreißiger kann also kommen.

Sie wirken entspannter als früher, nicht mehr so verbissen. Waren die zwei Medaillen eine Zäsur?
GÖRGL: Das hat schon im Vorfeld passieren müssen, damit der Erfolg möglich ist. Ich habe jahrelang an meiner Entwicklung gearbeitet. Das geht Schritt für Schritt. Im Sport ist das dann in Erfolgen sicht- und messbar. Aber für mich geht es vor allem darum, dass ich als Mensch weiterkomme, mit mir, mit meinem Leben.

Also geht es um mehr als um Schifahren.
GÖRGL: Natürlich. Ich bin meinem persönlichen Ziel einen Schritt näher gekommen. Können Sie dieses Ziel formulieren?
GÖRGL: Ein ausgeglichener, ausgewogener, mittiger Mensch zu sein. Die letzten zwei Wochen sind gut gelaufen, das ist eine schöne Bestätigung. Es ist nicht immer leicht, wenn man sich immer hinterfragt. Wenn man an sich arbeitet, muss man oft Punkte anschauen und analysieren, die nicht so fein sind, wo es anfängt, zu zwicken. Und dann weitergehen und schauen: Was brauche ich, was ist wichtig, damit ich rund laufe?

Sie werden oft als schwierig beschrieben und...
GÖRGL: Halt. Ich möchte das Wort schwierig endlich streichen und es durch ein anderes ersetzen: Individuell. Jeder Mensch hat das Recht, individuell zu sein. Mit seinen Fehlern, mit seinen guten Seiten, mit seinen Stärken und Schwächen. Wenn ich einmal "Tschüss" sage von dieser Welt, dann muss ich selbst mit meinem Leben zufrieden sein. Ich habe niemandem Rechenschaft abzulegen.

Und warum ist Individualität wichtig?
GÖRGL: Wenn man Seines macht, dann kann man auch Leistung bringen. Man ist sich selbst treu. Man verstellt man sich nicht, ist keine Schablone oder spielt nicht irgendeine Rolle. Es gibt so viele Menschen, die irgendwelche... nein, lassen wir das. Ich bin ich und ich muss mit mir einen Frieden haben. Und wenn ich Frieden habe mit mir, bin ich mittig.

Individualismus und Egoismus liegen nahe beieinander. Gibt es eine Grenze, die man nicht überschreiten darf?
GÖRGL: Wenn man individuell ist, scheint es, als ob das für das Umfeld nicht fein ist. Vielleicht, weil es das Umfeld nicht so gewöhnt ist, dass man seine eigene Sache macht. Aber ich bin überzeugt: Würden alle zu ihrer Individualität stehen, dann wäre die Welt eine bessere.

Warum denn das?
GÖRGL: Wenn jeder nur das seine machen würde, dann wäre da viel mehr Toleranz. Weil man selber genau weiß, wie wichtig das ist, dass man Seines macht. Man hat keinen Neid, man fühlt sich nicht auf den Schlips getreten, wenn ein andere nicht genau das macht, was man sich vorstellt. Weil jeder seinen Freiraum hat. Und als Folge gäbe es auch weniger Hass.

Sind Sie denn tolerant?
GÖRGL: Ich glaube schon.

Und das Leben in einer Mannschaft, im Schi-Verband? Schränkt Sie das nicht ein?
GÖRGL: Zu so einem Konstrukt gehören Regeln, das ist ja klar. Regeln müssen sein, wir leben ja in einer Gesellschaft. Ich kann ja nicht losgehen und jeden niederschießen, der mir nicht in den Kram passt. Es braucht Regeln. Aber unsere Gesellschaft würde schon mehr Individualität vertragen.

Sie sagten einmal: "Ich habe mich davon verabschiedet, Miniröcke zu tragen. Weil sich das nicht mit meinem Sport vereinbaren lässt. Ich brauche Muskeln und keine Model-Figur, ich muss auf ein Stück Weiblichkeit verzichten."
GÖRGL: Sagte ich das? Das muss lange her sein. Denn auch damit habe ich meinen Frieden geschlossen. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut. Ich finde, dass ich einen schönen Körper habe, vor allem einen gesunden und sehr leistungsfähigen Körper. Und was die Kleidung betrifft: Auch das gehört dazu, wenn man mittig, reifer wird. Das Seine zu finden. Kleidung, in der man sich wohl fühlt und wo man denkt: Ja, das bin ich.

Ist Ihnen Weiblichkeit wichtig?
GÖRGL: Ja, sicher... Ich trage etwa bei Bällen oder Galas sehr gerne Abendkleider.

Wenn wir von Weiblichkeit reden: Es gibt ein Gefälle in der Berichterstattung zwischen Herren und Damen. Was halten Sie eigentlich von Gleichberechtigung?
GÖRGL: Ich fühle mich nicht benachteiligt. Ich denke, es passt gemessen an der Leistung, die ich bringe. Und grundsätzlich glaube ich, dass sich viel getan hat.

Wären Sie für eine Quotenregelung? In Spitenpositionen?
GÖRGL: Ich finde, dass die Qualität der Arbeit gefragt sein sollte, nicht das Geschlecht. Der, der die Aufgabe am besten lösen kann, soll es tun. Es gibt Jobs, die für Frauen besser geeignet sind und welche, die für Männer besser geeignet sind. Aber es kann ja sein, dass es eine toughe Frau gibt, die einen Männerjob macht und den Männern in nichts nachsteht. Warum soll sie es dann nicht machen?

Haben Sie das Gefühl, dass Sie für Ihren Sport Opfer bringen müssen?
GÖRGL: Das würde ich nicht sagen. Schifahren ist mein Weg, mein Ding, da kann ich mich richtig entfalten.

Gibt es einen Plan für die Zeit nach der Karriere?
GÖRGL: Die Singerei (Görgl sang das offizielle WM-Lead, Anm.) hat mir echt Spaß gemacht, ich habe ein gutes Feedback bekommen. Ich könnte mir vorstellen, dass ich das weiter mache, wenn es gute Angebote gibt. Weil ich mich da auch ausdrücken und entfalten kann. Und das finde ich einfach wichtig. Wir haben ja nur ein Leben. Da soll man alles machen, was man mag.

Würden Sie sich denn als Künstlerin sehen? Malen Sie auch?
GÖRGL: Ja, ich male auch. Oder besser: Ich habe es getan. Jetzt überlasse ich das meiner Freundin Eva, die ist wirklich gut, fast begnadet. Aber ich kann mich gut über meinen Körper ausdrücken. Tanzen mag ich. Oder Singen. Oder eben Sport – da kann ich meine Kraft richtig rauslassen.

Sehen Sie den Sport als Ventil?
GÖRGL: Nicht das Schifahren. Das ist so genau, da muss alles passen, das ist weit mehr als ein Ventil, eben mein Ding. Ein Ventil ist das Thaiboxen für mich. Da wird man Aggressionen los.

Stimmt es eigentlich,dass sie eine Bio- und Nachhaltigkeitsfanatikerin sind?
GÖRGL: Sagen wir so: Ich schaue bei Produkten, die ich kaufe, darauf, dass sie möglichst aus Österreich kommt. Etwa Äpfel aus der Steiermark und nicht aus Südamerika. Aber das ist Hausverstand. Und ich kaufe eher Bio-Sachen. Beim Fleisch etwa ist das ganz wichtig. Am liebsten kaufe ich direkt vom Bauern.

Fühlen Sie eine Verantwortung der nächsten Generation gegenüber?
GÖRGL: Wir sind als Menschen auf dieser Erde und es gibt so viele wunderbare Sachen, die uns die Natur gibt. Das sollten wir schätzen. Man darf die Natur nicht so ausrauben, einfach drübermähen. Das fällt uns auf den Kopf. Deswegen versuche ich, soweit es möglich ist, behutsam mit der Natur umzugehen. Ich will ja vielleicht auch Kinder und die sollen noch eine schöne Erde haben.

Was machen Sie genau?
GÖRGL: Was ich machen kann, mache ich. Das sind Dinge, wo mir kein Zacken aus der Krone fällt. Das Licht ausschalten. Den Computer nicht den ganzen Tag eingeschalten lassen. Oder dass Auto nicht laufen lassen. Das sind aber Sachen, das sagt eh der Hausverstand. Oder nicht Legebatterie-Eier kaufen und damit forcieren. Da kaufe ich woanders. Auch wenn es drei Mal so teuer ist.