Es ist fast auf den Tag sechs Jahre her - der Sturz im Super-G von Kvitfjell, der das Leben von Matthias Lanzinger veränderte. Er verlor seinen rechten Unterschenkel - und schaffte es als erster ehemaliger Profisportler auch im Behindertensport an die Spitze, zu den Paralympics.

Wenn man sich Ihr Schicksal so anschaut - ist Sotschi, sind die Paralympics das Ende einer Reise?
MATTHIAS LANZINGER: Nein, so würde ich das keinesfalls ausdrücken. Ich weiß noch nicht, wie es sportlich weitergeht, aber das Ende soll Sotschi nicht sein.

So war es nicht gemeint. Aber es ist doch so, dass sich mit den Paralympics irgendwie ein Kreis schließt, das Endziel scheint erreicht: Olympia. Nur eben im Behindertensport.
LANZINGER: Ja, das schon. Sotschi ist schon so eine Art Endziel. Aber die Paralympics waren nie der wirkliche Grund, warum ich das alles getan habe.

Sondern?
LANZINGER: Der Sport war der Grund. Und der Weg war das Ziel. Die Erfolge, die ich schon feiern durfte, die WM-Medaillen, alles andere - das war es wert, das wieder zu machen. Ja, die Paralympics sind das letzte i-Tüpfelchen. Aber wenn Sotschi nicht so gut funktionieren würde, weil es sportlich oder gesundheitlich nicht so läuft, dann ist das Projekt trotzdem erfolgreich.

Weil?
LANZINGER: Weil ich Dinge machen kann, die ich mir zuvor als unmöglich vorgestellt habe. Und diesen Weg gegangen zu sein, das war schon eine enorme Herausforderung.

Es ging also nicht darum, dass Sie Ihr Schicksal selbst akzeptieren? Sozusagen den Unfall und die Folgen zu verarbeiten?
LANZINGER: Nein, gar nicht. Das war alles abgeschlossen, das ging sogar schnell. Dafür habe ich es nicht gebraucht. Und, um ehrlich zu sein: Für diese Art von Bewältigung wäre das, was ich mache, sogar kontraproduktiv.

Warum denn das?
LANZINGER: Weil ich ja durch den Sport eher draufgekommen bin, dass ich wirklich behindert bin. Das wäre also der falsche Weg, die falsche Motivation. Es war rein der sportliche Reiz, der mich dazu bewogen hat.

Der worin besteht?
LANZINGER: Darin, mich zu fokussieren, mit meinem Körper anders umzugehen, trotz der Behinderung. Einfach wissen zu wollen, was möglich ist, wie weit ich kommen kann. Das alles zu tun, um mir nie die Frage zu stellen, was möglich wäre.

Sie sagten, dass Sie aber durch den Sport Ihre Behinderung erst erkannt hätten. Inwiefern?
LANZINGER: Ich hatte viele Probleme. Sehr viele. Ich meine, im Alltag merkt man das oft nicht. So zwischen Büro und Uni, da stört die Prothese kaum. Aber es macht einen großen Unterschied, ob man vereiste Pisten hinunter muss, mit vollem Druck. Oder ob man wie früher täglich auf dem Rad sitzt. Vor dem Sport ist alles gutgegangen, aber durch die Überlast wird es kompliziert.

Was passiert denn?
LANZINGER: Druckstellen, Entzündungen. Die Haut reagiert schnell, wenn es Schläge auf der Piste gibt. Und wenn man dann nicht in die Prothese kommt, ist das blöd. Und in den letzten paar Jahren war alle zwei Monate irgendetwas, das war nicht so fein.

Haben Sie gezweifelt?
LANZINGER: Sagen wir so: Die Entbehrungen, die ich habe, die habe ich gekannt. Das war auch so mit der Familie ausgemacht. Aber die gesundheitliche Beeinträchtigung, die ist enorm. Ich habe viel Lebensqualität eingebüßt.

Aber sportlich lief es doch gut? Also so wie erwartet?
LANZINGER: Erwartet habe ich mir das nicht, nur erhofft, dass es in diese Richtung geht, dass ich vorne mitfahren kann. Aber ich habe mich ja vorher informiert. Es war klar, dass es schwer wird, weil bei uns nicht der Schnellste auch gewinnt.

Wie darf man das verstehen?
LANZINGER: Es sind ja viele Klassen zusammengelegt worden. Und um alles vergleichbar zu machen - welche Extremität fehlt, welche Fehlfunktion liegt vor, etc. - gibt es einen Schlüssel. Kurz gesagt: Jemand mit zwei gesunden Füßen muss schneller fahren als jemand mit einem Bein. Man geht also sozusagen mit einem Zeitrückstand oder einem Bonus ins Rennen.

Und das Problem ist, dass...?
LANZINGER: ...dieser Schlüssel immer derselbe ist. Und das heißt: Auf einer leichten Abfahrt kann man den Rückstand auf einen schwerer Behinderten nicht aufholen. Dafür hat der auf einer schweren, eisigen Strecke keine Chance. Es ist extrem schwierig, solche Unterschiede zu vergleichen, da hat der Sport noch viel Potenzial.

Und ohne Zeitvorgabe? Wie liegen Sie da?
LANZINGER: Da bin ich wohl der Schnellste. Aber es reicht oft nicht, um die Vorgabe wettzumachen. Aber, um das festzuhalten: Es gibt ja auch Vergleiche, in denen ich zu gut gestellt bin. Für mich passen die Klassen nicht ganz zusammen. Manchmal geht es um Hundertstelsekunden, aber manche haben einfach keine reale Chance, zu gewinnen. Das muss schwer sein, mit diesem Bewusstsein an den Start zu gehen.

Warum ist das so?
LANZINGER: Das ist ohnehin ein offenes Geheimnis, aber im IPC, dem Verband, wird nicht gehandelt. Das Sportliche steht nicht unbedingt im Vordergrund, es geht schon darum, dass viele verschiedene Behinderungen gewinnen können. Das schöne, runde Bild ist eher entscheidend.

Wie sieht es in Sotschi aus?
LANZINGER: Wenn ich wo eine Abfahrt gewinnen kann, dann diese. Wir fahren auf der gleichen Strecke wie die Herren bei Olympia. Und ich weiß, dass Gold möglich ist.

Sehen Sie sich als Botschafter des Behindertensports?
LANZINGER: Ich mache es auf jeden Fall für mich und nicht den Sport. Aber natürlich bin ich durch meine Bekanntheit Repräsentant - aber kein Botschafter. Es gibt andere, die größere Erfolge haben als ich, die sollen das übernehmen.

Wie steht Ihr Sport eigentlich da?
LANZINGER: Klar ist, dass wir immer Randsport bleiben werden. Aber klar ist auch: Es ist Leistungssport. Der Aufwand und die Professionalität haben sich sehr verändert, man muss Profi sein, um mithalten zu können. Es ist nicht nur ein Beschäftigungsfeld für Leute, die sonst nichts zu tun haben. Das ist Sport - auf höchstem Niveau.