Sie bekommen anlässlich Ihres 75. Geburtstags einen Empfang der Gemeinde St. Anton.

Karl Schranz: Die Gemeinde, der Bürgermeister wollten das. Es ist eine kleine Feier.

Diese Ehrerbietung wäre Ihnen in der Vergangenheit nicht immer zuteilgeworden - lernte man Sie im Alter mehr schätzen?

Schranz: Die Leute hier kommen jetzt immer mehr drauf, was die Bahnverlegung (durch die Ski-WM 2001, Anm.) wert war, dass es jetzt ruhig ist im Ort. Erst kürzlich sagte der Bürgermeister: Wir sind froh, dass du das zusammengebracht hast.

Sie sind versöhnt? Die Wertschätzung ist ja offensichtlich gestiegen.

Schranz: Das sicher, allein deshalb, weil der Bundespräsident einen Tag zum Skifahren kam. Da sehen die Leute hier, dass die Wertschätzung auch von außen kommt, der Präsident fährt schließlich nicht zu jedem.

Warum können Sie so gut mit Prominenten?

Schranz: Ich bin wohl kommunikativer geworden, das ist ein Lernprozess. Wahrscheinlich auch, weil ich vier Damen im Haus habe (lacht). Es geht nicht mehr nur nach meinem Kopf, die Jungen sehen vieles anders. Kathi, Christiane, Anna (Töchter, Anm.) gehen Sachen anders an. Als Aktiver war das anders.

Bereuen Sie das?

Schranz: Nein, das war damals ein Vorteil. Als Rennläufer, im Einzelsport musst du Egoist sein. Da denkst dir nicht: Mei, jetzt hat es den rausgehaut, das tut mir leid. Du musst es sagen, aber du denkst anders, denn das war schließlich ein Konkurrent. Diese Scheinheiligkeit habe ich nie wollen. Radioreporter Edi Finger sagte einmal in Kitzbühel bei einem Riesentorlauf zu mir, als ich zwischenzeitlich Dritter war: "Jetzt wirst du deinen Kameraden wohl die Daumen halten." Da sagte ich: "Wieso? Ich will ja der beste Österreicher sein." Dann meinte er: "Das kann ich ja nicht senden, Karl!" Logisch wünschst du keinem, dass er sich wehtut. Aber wenn das passierte, bekamen auch andere Leute einen Platz im Team.

Sehen Sie das heute anders?

Schranz: Der Egoismus hat mich immer bewogen zu trainieren. Ich bin Hunderte Male ins Verwall gelaufen, allein, bei jedem Wetter. Ich fragte mich: Warum? Weil ich vorne sein wollte. Nach der Karriere kann man das nicht von heute auf morgen umstellen wie mit einem Schalter. So, jetzt bin ich der.

Sind Sie altersmilde geworden?

Schranz: Ja, das kommt automatisch. Ich ließ gewisse Sachen nie an mich heran. Wenn ich mir im Fernsehen einen Liebesfilm ansah, dachte ich mir nichts. Heute freut es mich, wenn die zwei Hauptdarsteller am Ende ein Paar sind. Na liab, denke ich mir. Ein weiches Herz hat es bei mir nie gegeben, das habe ich mir gegenüber abgelehnt.

Sie ließen auch kaum jemanden an sich heran, heißt es von Ihren Ex-Kollegen.

Schranz: Ich wollte keine Schulterklopfer. Die sagten immer, dass etwas bärig sei, wenn ich gewonnen hatte, bei Niederlagen waren die weg. Das ist so im Leben, das hat mich sehr hart gemacht. Nur bei tödlichen Unfällen wie jenem von Michel Bozon in Megève: Ich hatte Streckenrekord, er war tot, und das mit 22. Damit hatte ich Probleme, das musste ich verkraften. Oder John Semmling in Garmisch: Ich hatte gewonnen, er verstarb, eine Siegerehrung gab es trotzdem, alles lief normal ab. Das war damals so. Das war das schlimmste Jahr, auch mein Zimmerkollege Toni Mark verstarb am Wallberg. Erst dann setzte sich die FIS ein und verschrieb Helme.

Sie waren als Sportler nicht unbedingt beliebt.

Schranz: Das stimmt, ich war bei Konkurrenten nicht beliebt. Bei den Österreichern aber immer, auch in Wien.

Gefällt Ihnen die Popularität immer noch?

Schranz: Es kommen immer wieder Briefe, aber natürlich sehr reduziert. Ich finde das nett, auch wenn mich Leute im Zug ansprechen, aber es ist halt vorwiegend meine Generation. Und es hilft mir natürlich auch, irgendwo leicht hinzukommen oder einen Arzttermin zu bekommen.

Sind Sie mit der olympischen Bewegung ausgesöhnt? Einerseits verdanken Sie dem Ausschluss 1972 (nach angeblichem Verstoß gegen Amateurparagraf, Anm.) Ihre Popularität, andererseits wurde Ihr Lebenswerk zerstört.

Schranz: Aber das Wissen, dass ich 1968 im Nebel-Slalom gewonnen habe, bleibt. Meine Goldmedaille liegt bei Jan-Claude Killy in Val d'Isère, das sage ich ihm auch jedes Mal.

Wären Sie ein guter Politiker?

Schranz: Ich hätte unter Kanzler Bruno Kreisky Staatssekretär für Sport werden sollen, ich hatte auch vor zwei Jahren ein bundespolitisches Angebot. Ich wollte mich aber nie einer Partei zuordnen lassen und habe abgelehnt.

Stört es Sie nicht, dass der Sport politisch heimatlos ist?

Schranz: Ja, das werde ich auch Werner Faymann sagen. Den Sport schiebt man herum, und zwar beide Großparteien. Sport sollte dorthin kommen, wo es Symbiosen gibt, aber er ist zumeist eine Randerscheinung. Nur wenn es um die Fotos geht, dann sind sie alle dabei.

War das 1972 nicht genauso?

Schranz: Klar. Was am meisten leuchtet, das zieht Bienen an.

Sport sollte wohl allgemein stärker verankert werden.

Schranz: Ich verlangte schon in der Reformkommission des Heeres eine Stunde Bewegung am Tag. Andererseits hasse ich Leute, die andere quälen und niedermachen.

Aber der Schranz der 70er-Jahre hätte auch von anderen Härte gegen sich selbst verlangt.

Schranz: Ja, ich hätte das von mir verlangt. Und ich habe genau deshalb nie eine Trainerstelle angenommen: nicht in Italien, Amerika, Japan, Österreich. Ich hätte in Österreich das Amt des Cheftrainers übernehmen können, aber ich sagte: "Wenn ich übernehme, fallen einmal 50 Prozent weg."

Ist der Karl Schranz der Hermann Maier von heute?

Schranz: Ich habe sehr viele Ähnlichkeiten mit ihm, ich erkenne mich in vielen Dingen in ihm wieder, auch in der Kritik am System. Eigentlich eine Blamage, dass ein Quereinsteiger wie er so raufschießt. Aber im heutigen Skisport werden viele Talente kaputtgemacht. Die Gefahr ist, dass viele Trainer die Leute einschätzen und sagen: Der ist gut oder schlecht. Franz Klammer und Patrick Ortlieb (beide Abfahrts-Olympiasieger, Anm.) hatten schon ein Entlassungsschreiben, der Stephan Eberharter war ja auch schon weg ...

Ein Systemfehler?

Schranz: Einer reiht sich an den anderen. Wenn dich ein Trainer nicht mag, speziell bei den Mädchen, dann musst du eine Klasse besser sein als andere. Das ist nach wie vor so.

Stellen auch Sie als Hotelier in einem Wintersportort und ehemals erfolgreicher Rennläufer fest, dass das Alter der Ski-Touristen zusehends ansteigt?

Schranz: So ist es, und es wundert mich auch nicht. Der größte Fehler war es, an den Schulskikursen zu rütteln. Denn damit ist jeder zumindest einmal in seinem Leben mit Sport, im Speziellen mit dem Skilauf, in Kontakt gekommen. Wer das angefangen hat, war der Totengräber des Skilaufs. Ich würde mich jederzeit für Schulskikurse verwenden, die Jugend muss sich wieder bewegen. Ich habe in den 70ern schon dem Kreisky vorgeschlagen: Anfangen muss man beim Kindergartensport.

Sie reden von der Jugend - haben Sie denn ein iPad?

Schranz: Natürlich! Aber ich bin nicht auf Facebook. Meine Mädels haben mir davon abgeraten. Aber ich kann skypen und kenn mich mit WhatsApp und Facetime aus - ich kann alles.

Ein Blick auf das aktuelle Sportgeschehen: Wetten, Doping - geht der kommerzialisierte Sport in die falsche Richtung?

Schranz: Wenn es um Geld geht, gibt es immer wieder Gauner. Abgedroschen, aber wahr: Geld verdirbt den Charakter. Man kann aber nicht alle in einen Topf hauen.

Was ist mit dem Amateurgedanken?

Schranz: Das kann ich nicht mehr hören, Sport als Beruf finde ich super.

Denken Sie noch an die Ereignisse nach Ihrem Olympia-Ausschluss im Februar 1972, als Sie von über 100.000 Fans am Ballhausplatz empfangen wurden?

Schranz: Ich war gerade mit meiner Tochter Kathi dort! Der Bundespräsident hatte an diesem Tag Geburtstag. Ich kenne die Polizisten dort, die riefen ihn an und ich saß mit Fischer bei einem Kaffee und wir redeten über Politik. Er schrieb mir auch einen sehr persönlichen Brief, in dem er auf unsere langjährige Freundschaft und das gleiche Alter hinwies.

Wäre nach 2001 eine alpine Ski-WM 2021 in St. Anton noch ein Lebenstraum für Sie?

Schranz: Natürlich würde mir das gefallen. Aber anscheinend wurde die nächste Ski-WM schon Saalbach versprochen ...