In Gröden schlug am Samstag wieder einmal die Stunde der Außenseiter. Steven Nyman hat in der Wetter-Lotterie auf der verkürzten Saslong-Abfahrt mit Startnummer 39 die Gunst der Stunde genützt und seinen zweiten Weltcup-Sieg eingefahren. Den ersten hatte er fast auf den Tag genau sechs Jahre zuvor geholt - ebenfalls in Gröden, damals mit Startnummer 12. Dazwischen hatte Nyman jede Menge Tiefschläge zu verdauen gehabt.

"Viel Rehaarbeit, viel Stress, viel Schmerz"

Die jüngsten Verletzungen Nymans waren ein Riss der Achillessehne 2011 und zwei gebrochene Rippen 2012. Beide Stürze passierten beim Training in Copper Mountain. "In diesen sechs Jahren hat es viele Kämpfe in meinem Kopf gegeben, viel Rehaarbeit, viel Stress, viel Schmerz. Aber dieser Sieg wascht das alles weg", beschrieb Nyman seine Gefühlslage. Nicht umsonst heißt es auf Nymans Twitter-Seite: "Believe in Steven" ("Glaub an Steven").

Nyman sah es als das Glück des Tüchtigen, dass er bei besserer Sicht als die Topfavoriten auf die zudem immer schneller werdende Strecke durfte und danach auch den ersten Sieg für Neo-Speedchef Andreas Evers fixierte. "Das Rennen war sicher nicht superfair. Aber ich habe aus der Situation meinen Vorteil gezogen." Dass viel für ihn möglich war, wusste Nyman, als der Slowene Rok Perko mit Startnummer 35 auf Platz eins stürmte. "Als ich das gehört habe, wusste ich: Es ist angerichtet, das ist meine Chance", berichtete Nyman.

"Beim Sprung über die Kamelbuckel habe ich dann gemerkt: Wow, meine Ski fliegen", erzählte der US-Boy. Deshalb galt sein spezieller Dank auch Fischer-Servicemann Leo Mussi. Der Südtiroler ist ein echter Spezialist für sein Heimrennen, schließlich hat er einst auch die Ski von Kristian Ghedina gewachselt. Der Italiener ist mit vier ersten Plätzen gemeinsam mit dem Österreicher Franz Klammer Rekordgewinner in Gröden. "Niemand weiß besser, wie man in Gröden schnell ist", sagte Nyman über Mussi.

Nyman, der die Liste der Gröden-Überraschungssiege nach u.a. Markus Foser (1993) und Max Rauffer (2004) erweiterte, hat ehrgeizige Ziele. Zunächst will er die Qualifikation fürs Weltcup-Finale der Top 25 schaffen, dann möchte er Platz eins im Abfahrts-Weltcup erobern. "Das hat noch kein US-Fahrer geschafft. Ich will es schaffen."

Ohne Sieg in kurze Weihnachtspause

Titelverteidiger im Abfahrts-Weltcup ist mit Klaus Kröll ein Österreicher. Aktuell läuft es für das Speed-Team der ÖSV-Herren aber nicht nach Wunsch. In Gröden schlitterte man in eine Super-G-Niederlage (Matthias Mayer Sechster) und eine Abfahrts-Blamage (Joachim Puchner 13.). Damit geht man wie schon im vergangenen Winter ohne Sieg in die kurze Weihnachtspause, in den Disziplinen-Wertungen versinkt man im Schatten des Norwegers Aksel Lund Svindal bisher im Mittelmaß.

Die Frage, ob das Rennen fair oder unfair war, wollte sich ÖSV-Abfahrts-Trainer Burkhard Schaffer gar nicht stellen. "Das Rennen wurde gestartet und das Ergebnis gewertet. Und da heißt es, das Beste daraus zu machen. Auf alles andere haben wir keinen Einfluss. Fakti ist aber: Die Strecke wurde hinten raus von Läufer zu Läufer schneller." Dass mit Marvin van Heek, der sensationell Achter wurde, sogar ein Niederländer schneller als das gesamte ÖSV-Team war, wollte Schaffer relativieren: "Bei Van Heek steht nur Holland drauf. Er trainiert das gesamte Jahr mit den Franzosen unter top-professionellen Bedingungen."

Solche finden aber eigentlich auch Österreichs junge Abfahrer vor, die es jedoch bei sehr ähnlichen Startnummern wie Van Heek (Startnummer 53) nicht einmal in die Nähe der Top Ten schafften. "Der eine oder andere Junge hätte wahrscheinlich schneller sein können", gestand Schaffer. Holen Österreichs Abfahrer im Februar bei der Heim-WM Gold, sind Pleiten wie in Gröden mit einem Schlag vergessen.

Um für den absoluten Höhepunkt der Saison gerüstet zu sein, absolviert das ÖSV-Team - sofern das Wetter mitspielt - erstmals in diesem Winter Trainingseinheiten auf der WM-Abfahrt in Schladming. Schaffer wird ab Montag in Schladming sein, trainiert werden soll ab Mittwoch oder Donnerstag drei Tage lang.