Herr Maier, geht Ihnen der 40er und der Trubel schon auf die Nerven?

Hermann Maier: Wie es scheint, ist der Vierziger für viele ein bisserl eigenartig. Sie meinen, das Gute ist vorbei und das Schlechte kommt. Ich könnte das nicht so sagen.

Wie oft mussten Sie denn jetzt schon Bilanz ziehen?

Maier: Für mich persönlich: Gar nie. Ich brauche das nicht. In ein paar Interviews, ja. Aber so viele waren das nicht.

Es gibt zwei Möglichkeiten: Eine g'scheite Feier oder die Flucht. Sie wählten Flucht.

Maier: Stimmt, daheim bin ich nicht. In meinem Umfeld hat der 40er schon einige erwischt. Ein paar hatten ganz wilde Feste, ein paar nicht. Und es ist schwer zu sagen, wer zufriedener ausgesehen hat. Ich feiere lieber spontan. Feiern an bestimmten Tagen mag ich nicht, das ist zu geplant.

Aber Planung war in der aktiven Zeit bei Ihnen doch alles?

Maier: Ja, da war alles geplanter. Ein Rennen hat eben einen bestimmten Ort und Termin. Aber eine Feier war für mich immer schon interessant, wenn sie nicht gepasst hat. So genau ich im Training war, so spontan war - und bin - ich beim Feiern.

Wie darf man sich Ihr Leben denn derzeit vorstellen? Gibt es da einen Plan?

Maier: Der Plan lautet: Weniger ist mehr. Ich habe einige, wenige Partner. Mit denen funktioniert die Gemeinsamkeit. Und ich habe jetzt meine eigene Skikollektion. Da muss man eh' viel denken.

Weil?

Maier: Jetzt ist gerade erst die Kollektion herausgekommen - und du musst schon wieder an die nächste denken. Das ist schwierig, weil man so früh dran sein muss. Und das früh dran sein war ja nicht immer meins. Jetzt muss ich es sein. Aber ich habe Gott sei Dank ja mehr Freizeit als früher.

Die Sie wozu nutzen?

Maier: Um in der Natur zu sein, Sport zu machen, Skitouren zu gehen. Das ist für mich abschalten, mit der Natur alleine sein. Ich bin nicht da, wo die Masse ist. Ich suche Gebiete, wo man alleine ist, ich ziehe die erste Spur. Ich genieße mit allen Sinnen, aber ich starte keinen Wettkampf.

Das können Sie?

Maier: Das war mir nach der Karriere das Wichtigste: den Wettkampf beiseitezulegen.

Sind es diese Momente, die Sie anstreben? Allein zu sein?

Maier: Ich verstecke mich ja nicht! Das Interesse an mir hat nicht so nachgelassen, wie ich es mir gedacht habe. Es sind gewisse Dinge passiert, die man sich gemerkt hat. Deswegen stand und stehe ich ja in der Öffentlichkeit. Ich lebe mein Leben trotzdem; nur eben dort, wo ich mich selber finde - in der Natur.

Kein Loch, weil nach der Karriere die Aufmerksamkeit fehlt?

Maier: Im Gegenteil! Die wollte ich ja nie. Ich wollte Freude und Erfolg beim Skifahren haben. Dafür habe ich trainiert. Ich habe meine Kraft nie aus der Masse, sondern aus der Ruhe gezogen.

Sieht man Sie deshalb kaum auf Partys, in der "Society"?

Maier: Im Moment kommt das so gut wie gar nicht vor, ja. Wenn ich was mache, will ich es g'scheit machen, mich damit identifizieren, es muss authentisch sein. Und wenn ich überall herumspringe, geht das ja nicht.

Sie haben mehr Zeit - findet man da mehr zu sich selbst?

Maier: Ich habe die Selbstreflexion immer beherrscht. Ich kannte meine Stärken, wusste um die Schwächen. Daher war das alles nicht Glück - dieses Wissen war der Grund, warum ich mehr gewonnen habe als andere.

Zum 40er bemerken viele, dass sie was versäumt haben. Sie auch?

Maier: Ich muss nichts auf- oder nachholen. In meinem Umfeld wird geheiratet, es werden Kinder in die Welt gesetzt. Das ist gut so. Aber ich? Sportlich ist alles so schön verlaufen, dass man es abhaken kann. Ich träume nicht davon, etwas anders zu machen.

Also soll ich mir die Frage nach dem Hochzeitstermin sparen?

Maier: Ja, die kannst dir schenken.

Amüsiert Sie das Interesse an solchen Dingen?

Maier: Mittlerweile wundert mich nichts mehr. Mich interessieren ja mehr die Dinge im Hintergrund, da ist eine Heirat ein bisserl wenig. Ich glaube, ich war der Einzige, der nie ein Foto der Hochzeit von Kate & William gesehen hat.

Haben Sie denn keine Sehnsucht nach einer Familie?

Maier: Eine Familie gehört dazu. Ich bin ja Gott sei Dank selbst in einer aufgewachsen (lacht). Wenn die Möglichkeit da ist, dann soll man es auch machen.

Aber gewisse Dinge lassen sich nicht erzwingen. So etwas muss reifen. Wenn ich es tue, passiert das nicht in der Öffentlichkeit, schon wegen der Kinder. Die sollen ihren eigenen Weg finden und nicht immer nur Kind eines Prominenten sein.

Sie waren bis 1998 Hermann Maier, dann der Herminator. Wie viel Herminator steckt in Ihnen?

Maier: Schwer zu sagen. Natürlich hatte es bei gewissen Rennen den Anschein, man ist der Herminator. Durch die Rückschläge habe ich aber gemerkt, wie viel Mensch man ist - und dass die menschliche Seite wichtiger ist.

Nach Ihrem Unfall sagten Sie: "Der Kampf ist mein Schicksal". Jetzt scheint Kampf keine Rolle mehr zu spielen. Sind sie nicht mehr der Verbissene?

Maier: Abstreifen wie eine zweite Haut kann man's nicht, es ist gespeichert. Man kann immer einen gewissen Fanatismus entwickeln. Aber nicht mehr so wie früher.

Das heißt, dass Sie ihr Schicksal besiegt haben? Weil sie nicht mehr kämpfen müssen?

Maier: Ich habe die Skitouren. Da kämpfe ich auch, weil ich unbedingt wo rauf will zum Beispiel. Da ist man schon einmal in der Rue de la Gack, zwischen den Latschen. Da rauszukommen, ist auch Kampf. Aber ein überschaubarer Kampf.

Weil nicht die Welt, sondern nur Latschen die Gegner sind?

Maier: Genau! Aber Latschen sind teilweise auch sehr stachelig.

Meldet sich der Körper nach 30 Jahren Spitzensport verbunden mit einer Maurerlehre?

Maier: Oft sagt man: Leistungssport, da ist ja alles schlecht, das ist Mord. Das war bei mir nicht der Fall. Mir hat er alles gebracht. Bis auf die Beeinträchtigungen durch den Unfall kann ich alles das machen, was ich auch vorher gemacht habe. Das ist wichtig.

Können Sie sich vorstellen, einmal als Dancing Star übers Parkett zu wirbeln?

Maier: Es ist besser für die Öffentlichkeit, wenn ich nicht mittanze. Obwohl: Jeder, der mitmacht, ist wirklich mutig. Vielleicht bin ich ja einfach nur zu feig.

Schauen Sie noch Skirennen?

Maier: Mich interessiert der Skisport natürlich. Und das Riesentorlauf-Fahren gefällt mir wieder besser. Weil man nicht blind auf die Tore hinkleschen kann.

Warum ist das besser?

Maier: Weil der Sport langweilig wird, weil Taktik zum Skisport gehört! Skifahren kann nicht so sein, dass alles voll gehen muss - da kracht es irgendwann. Da fahren lauter reife Männer, ich erwarte mir, dass man mit Konsequenzen leben kann und muss. Wenn das bei mir in Nagano anders ausgeht, bin ich ja auch der Trottel. Es sind nur zwei Holzbrettl'n auf Schnee, dazu hohe Geschwindigkeit. Da kann nicht alles funktionieren, das sagt schon der Menschenverstand.

Sehen Sie einen Nachfolger?

Maier: Ich bin froh, wenn sich was rührt. Aber man sollte mit Vergleichen aufpassen.

Aber Marcel Hirscher hätte das Potenzial dazu, oder?

Maier: Er hat alle Anlagen, vielleicht sogar noch mehr als ich. Er wurde behutsam und gezielt aufgebaut, bei mir war das ja anders. Was mir sehr gefällt: Dass wieder einer da ist, für den es nicht mit dem Rennen aus ist, sondern der sich auch danach immer damit beschäftigt, wie man noch besser werden kann.