Beim Blick auf den Rückstand auf Sieger Ted Ligety verschlug es Hirscher, dem amtierenden Gesamt-und Riesentorlauf-Weltcup-Sieger aus Salzburg, fast die Sprache. "Drei Sekunden, da kann ich nicht einmal neidig oder böse sein. Da kann man nur den Hut ziehen, das war einfach nur gut und unglaublich", meinte der 23-Jährige, der 3,12 Sekunden Rückstand aufriss. "Meine erste Frage war: 'Fährt der noch mit den alten Ski?'. Drei Sekunden, die geben uns wirklich zu denken", sagte Hirscher, der sich in die Reihe der staunenden Bewunderer von Ligety einreihte.

Der Dominator selbst konnte es ebenfalls kaum glauben. "Ich bin unglaublich überrascht. So etwas gelingt wohl nur einmal im Leben. Das ist phänomenal", erklärte der 28-Jährige. "Ich war im zweiten Durchgang voll am Limit. Mehr Risiko war nicht mehr möglich, das war eigentlich fast schon dumm. Aber ich habe es mit viel Glück ins Ziel geschafft", berichtete Ligety, der ironischerweise der schärfste Kritiker des neuen Materials gewesen war.

Die neuen Ski und die verlorene Riesentorlauf-Kugel an Hirscher haben Ligety zu einer Umstellung des Trainingsplans veranlasst. Der US-Boy war noch deutlich öfter als bisher im Fitnessstudio und fühlt sich fitter denn je. "Man braucht mit den neuen Ski noch mehr Kraft und Ausdauer als bisher." Für Hirscher hat Ligety dem Skisport mit seiner Demonstration einen großen Gefallen getan. "Man muss ihm dankbar sein. Denn Ligety hat seine eigene Theorie widerlegt, dass die neuen Ski unfahrbar sind."

"Bodenlose Frechheit"

Die schwierigen Bedingungen auf dem Gletscher im Ötztal mit Nebel und Schneefall sind für Hirscher keine Ausrede und auch keine Erklärung. "Ligety hatte eine genauso schlechte Piste und eine genauso schlechte Sicht. Der einzige, den es wirklich erwischt hat, war der Schörgi (Philipp Schörghofer, Anm.). Das war inakzeptabel und eine bodenlose Frechheit", so Hirscher. Bis zum nächsten Riesentorlauf in Beaver Creek heißt es nun für Hirscher und Co. hart arbeiten.

"Wir müssen schauen, dass wir noch besser werden und vielleicht einen Schritt auf Ligety aufholen", forderte Hirscher, der natürlich die Fahrten von Ligety genau analysieren wird. "Jetzt heißt's recherchieren und forschen. Und das alles mit Vollschub."

Rang drei sieht er als ersten wichtigen Schritt im Weltcup und Richtung WM. "Jeder in Österreich schaut mir genau auf die Füße und will mich siegen sehen. Aber ich freue mich über diesen dritten Platz wirklich sehr. So blöd und lächerlich das vielleicht aus meinem Mund klingen mag, aber wir haben nur vier WM-Plätze. Und die Konkurrenz in Österreich ist nicht die schlechteste", meinte Hirscher mit Blickrichtung der Heim-WM im Februar 2013 in Schladming.

Fast erschreckt von sich selbst war Hirscher, dass er nur zwei Tage nach dem Tod von Björn Sieber jubeln und in die Kameras lachen konnte. "Das ist extrem schräg. Am Freitag war ich sehr traurig und konnte die Welt nicht verstehen. Und mit einem Schlag ist man wieder zurück in diesem Zirkus", sagte Hirscher.

"Aber das ist unser Job. Björn hätte es so gewollt, er ist heute mehr oder weniger mit uns mitgefahren. Ich habe nur sehr wenige gekannt, die sich so reingehaut haben und so fürs Skifahren gelebt haben." Der Tod seines Teamkollegen hatte für Hirscher keinerlei Einfluss auf seine sportliche Leistung. "Ich war dadurch weder schneller noch langsamer. Aber es war dadurch eigentlich egal, ob ich eine Sekunde schneller oder langsamer war."