Die Meldung schlug international hohe Wellen: Der schweizerische Erstligist FC Sion hatte seine Spieler Ende März aufgefordert, angesichts der Coronakrise Maßnahmen zur Einführung von Kurzarbeit zuzustimmen. Nachdem sich manche Profis nicht bis zur gesetzten Frist geäußert oder die Maßnahmen abgelehnt hatten, wurde neun von ihnen fristlos gekündigt. Einer der Betroffenen: Alex Song.

Der Kameruner galt bei Arsenal einst als Nachfolger von Cesc Fabregas, folgte auf dem Höhepunkt seines Schaffens jedoch dem Lockruf des FC Barcelona. Nach einer durchwachsenen Zeit in Katalonien verschwand Song langsam von der Bildfläche, ehe eine qualvolle Episode bei Rubin Kasan seine Karriere zum Erliegen brachte. Nun steht der 32-Jährige erneut vor einer ungewissen Zukunft. Wie konnte es dazu kommen?

Rigobert Song wird zum Vermittler

Geboren wurde Alexandre Dimitri Song Billong am 9. September 1987 in Douala, der größten Stadt Kameruns, aus der unter anderem auch Nationalheld Samuel Eto'o stammt. Sein "polygamer" Vater, wie Song ihn einst beschrieb, hatte fünf Ehefrauen und zeugte insgesamt 28 Kinder. Er starb, als Song drei Jahre alt war. "Eines Tages sagte mein Bruder zu mir: 'Jetzt, wo unser Vater tot ist, haben wir keine Chance mehr. Wir haben nichts.'", berichtete Song einst der BBC : "Dann war mir klar, dass ich etwas machen muss, damit ich meiner Familie helfen kann."

Glücklicherweise gab es im erweiterten Familienkreis jemanden, der bereits über Kontakte in die Fußballwelt verfügte: Rigobert Song, Alex' Cousin.

Damals noch ein unbeschriebenes Blatt, blickt der kamerunische Rekordnationalspieler heute auf eine imposante Vita zurück: Mit Liverpool, Galatasaray und Trabzonspor gewann er diverse Titel. In der Bundesliga war er ein halbes Jahr lang beim 1. FC Köln.

"Karembeu hat mir beigebracht, meine Energie zu kontrollieren"

Rigobert war es letztlich, der Alex in jungen Jahren dabei unterstützte, den Weg von Kamerun nach Frankreich zu wagen, um dort eine Karriere als Profifußballer anzustreben. Damals war Song gerade einmal acht Jahre alt. Mit zwölf Jahren heuerte er schließlich bei einem Amateurklub im Pariser Großraum an. Kaum zwei Jahre später folgte der Wechsel zu Red Star Paris, ehe er 2001 vom SC Bastia abgeworben wurde.

Auf Korsika durchlief Song die Nachwuchsabteilung und wurde als 16-Jähriger erstmals von Bastia-Coach Francois Ciccolini zu den Profis eingeladen. Zu seinen Teamkollegen gehörte unter anderem der französische Weltmeister Christian Karembeu, der Song schon früh zur Seite stand. "Er hat mir beigebracht, meine Energie zu kontrollieren und zum richtigen Zeitpunkt zu nutzen. Er hat mich sehr beeinflusst", sagte Song im Gespräch mit dem französischen TV-Sender Canal Plus .

Nur wenige Wochen später feierte Song sein Debüt in der Ligue 1, sicherte sich innerhalb von zwei Monaten einen Stammplatz im defensiven Mittelfeld und absolvierte in der Saison 2004/05 insgesamt 35 Pflichtspiele. Eine Leistungsexplosion, die auch Arsene Wenger, dem wohl fachkundigsten Kenner des französischen Nachwuchsfußballs, nicht entging. Arsenal sicherte sich die Dienste des 18-Jährigen im August 2005.

Der Durchbruch bei Arsenal: "We've only got one Song"

Es verging einige Zeit, bis Song bei den Gunners Eindruck hinterließ. Das bedeutend höhere Niveau der Premier League, schlechte Englischkenntnisse, diverse Verletzungen sowie die hohe Qualitätsdichte im Kader sorgten dafür, dass Song in den ersten drei Jahren lediglich 16-mal in der Liga zum Einsatz kam - zwischenzeitlich verbrachte er zudem sechs Monate auf Leihbasis bei Charlton Athletic. Wenger beharrte jedoch auf seiner Überzeugung, dass Song der Durchbruch bei den Gunners gelingen würde. Ab der Saison 2008/09 kam der Mittelfeldspieler schließlich regelmäßig zum Einsatz, lief zumeist neben Cesc Fabregas oder Denilson auf.

Anfangs als klassischer Sechser vorgesehen, zeichnete sich Song vermehrt auch durch offensive Impulse aus. Dank seiner ruhigen und technisch beschlagenen Ballbehandlung entwickelte er eine enorme Pressingresistenz und glänzte immer öfter mit lässigen Chip-Flanken aus dem Halbfeld, die manchmal von Robin van Persie per Volley ins gegnerische Netz gehämmert wurden - so entstand beispielsweise das Premier-League-Tor des Jahres 2011. Auch Kevin Großkreutz, Sebastian Kehl und Lukasz Piszczek machten in der Champions League eine schmerzhafte Begegnung mit Song, als dieser das BVB-Trio sehenswert düpierte und anschließend mit einer maßgeschneiderten Flanke van Persie bediente. "Song, we've only got one Song", skandierten die Gunners-Anhänger damals.

Der Kameruner war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aus dem Team wegzudenken, bereits mit 23 Jahren hatte er 150 Arsenal-Einsätze auf dem Buckel. Song war auf dem Höhepunkt seines Schaffens und galt als natürlicher Erbe des abgewanderten Fabregas. Dann lockte ihn der FC Barcelona.

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Alex Song in Barcelona: Nur noch eine Nebenrolle

"Er kann den Durchbruch bei Barca schaffen. Er ist ein Spieler mit unglaublichen Qualitäten", sagte Wenger, nachdem er seinen Schützling im Sommer 2012 für 19 Millionen Euro schweren Herzens nach Katalonien ziehen gelassen hatte. Bei Barca - damals unter der Ägide von Tito Vilanova - sollte Song den abgewanderten Seydou Keita als Busquets-Backup ersetzen und zudem eine Alternative für die Innenverteidigung darstellen. Nicht gerade die optimale Ausgangslage für einen ambitionierten 25-jährigen Profi, der zuvor 90 Minuten im Dreitagestakt abgespult hatte.

"Alex ist nicht glücklich in Barcelona", resümierte Rigobert Song rund acht Monate nach dem Transfer seines Cousins im Gespräch mit Calciomercato : "Bei Arsenal war er eine der Führungspersönlichkeiten auf dem Platz, in Barcelona spielt er nur eine Nebenrolle. Das fällt ihm sehr schwer." Gleichermaßen versicherte er: "Alex muss Geduld haben. Seine Zeit wird kommen!" Eine Hoffnung, die sich als Trugschluss erweisen sollte.

Angesichts des prominent bestückten Mittelfelds und des nimmermüden Busquets brachte er es nur auf sporadische Einsätze und fand sich öfter auf der Bank als in der Startelf wieder. Ohne Aussicht auf Besserung wurde Song nach zwei Jahren zunächst für eine Spielzeit an West Ham verliehen, eine weitere Saison wurde letztlich drangehängt. Als er 2016 zurückkam, hatte der Klub keine Verwendung mehr für ihn, der Vertrag wurde einvernehmlich aufgelöst. Ein leidvolles Intermezzo in Russland folgte.

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"Ich sperrte mich in meinem Zimmer ein"

Im Juli schloss sich Song Rubin Kasan an. Die Klubführung des russischen Erstligisten versprach ihm eine aussichtsreiche Zukunft sowie ein spannendes Projekt unter dem spanischen Coach Javi Gracia. Diese Versprechungen wurden finanziell mit einem kolportierten Jahressalär in Höhe von umgerechnet rund neun Millionen Euro sowie der Aussicht auf ein eigens angefertigtes Haus garniert.

"Als ich unterschrieb, wurde mir gesagt, dass ich ein Haus bekommen würde", verriet Song im Telegraph -Interview. Doch nichts passierte: "Nach einem Monat kein Haus, nach zwei Monaten auch nicht, auch nicht nach drei. Ich lebte im Hotel. Doch nach sechs Monaten wurde ich dort ausquartiert und in ein Zimmer auf dem Trainingsgelände verfrachtet. Sie sagten mir immer wieder, ich müsse warten, bis das Haus fertig sei, aber eines Tages sprach ich mit einer Frau, die die Häuser entwerfen sollte, und sie sagte, dass niemand vom Klub Kontakt mit ihr aufgenommen habe."

Das isolierte Leben im Trainingszentrum und die fremde Umgebung setzten ihm zu: "Ich sperrte mich in meinem Zimmer ein. Den Fernseher machte ich nie an, weil ich kein Wort Russisch verstand. Ich lebte mit meinem Laptop und Smartphone. Ich habe mich nicht mal getraut, das Licht anzumachen. Warum, wusste ich auch nicht. Wohl weil ich so einsam war. Meiner Familie, die in London war, log ich vor, es gehe mir bestens", so Song weiter.

Die sportlichen Leistungen - Song absolvierte in der russischen Liga 16 Spiele - rückten immer stärker in den Hintergrund. Neben den abstrusen Entwicklungen rund um das nicht-existente Haus musste Song im August 2017 verwundert feststellen, dass er aus dem Kader gestrichen wurde und seine Gehaltszahlungen ausblieben. "Der Verein sagte mir immer wieder, dass das Geld auf meinem Bankkonto ankommen würde, aber das war nie der Fall."

Nachdem er vier Monate nicht bezahlt worden war, schalteten seine Anwälte die FIFA ein, woraufhin Songs Vertrag mit Kasan aufgelöst wurde. Die ausstehenden Gehaltszahlungen erhielt er ein halbes Jahr später - unter Androhung massiver Sanktionen seitens der FIFA gegen den Klub. "Ich habe im Grunde ein Jahr meiner Karriere in Kasan verloren", fasste Song zusammen.

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Fristlose Kündigung in Sion: "Wir werden unser Recht verteidigen"

"Irgendwann hat man die Nase voll. Irgendwann ist das Geld nicht mehr das Wichtigste. Man will ja wieder Freude haben an seinem Job", sagte Song im Gespräch mit der Boulevardzeitung Blick . Dass er sich ausgerechnet für den FC Sion entschieden hatte, sei unter anderem auf seinen Landsmann und ehemaligen Mitspieler Yannick Djeng zurückzuführen, "der früher ja im Wallis gespielt und mir dann alles über den Klub erzählt hat. Und wie familiär das hier sei."

Angesichts der monatelangen Trainingsrückstände aus seiner Zeit in Russland gelang es Song jedoch kaum, an alte Leistungen anzuknüpfen. Auf eine magere Debütsaison mit lediglich zehn Einsätzen folgte ein ähnlich erfolgloser Saisonstart 2019/20, bei dem Song nur viermal über die kompletten 90 Minuten eingesetzt wurde, ehe die Coronakrise den Ligabetrieb zum Erliegen brachte und Song aufgrund des Rundumschlags des Sion-Präsidenten Christian Constantin auf einmal wieder vereinslos ist.

"Mein Anwalt wird sich darum kümmern, wir werden unser Recht verteidigen", ließ Song kürzlich bei RMC verlauten. Da Constantin bis dato gleichermaßen auf seinem Recht beharrt, droht nun eine juristische Schlammschlacht, die sich über Monate ziehen könnte.

Und wieder einmal sieht es so aus, als sei Song erneut zur falschen Zeit am falschen Ort gelandet. Ob und wann der mittlerweile 32-Jährige wieder sportlich in Erscheinung tritt, bleibt angesichts der aktuellen Umstände unklar. Es beschleicht einen jedoch das ungute Gefühl, dass sich eine einst so vielversprechende Karriere klammheimlich und leise dem Ende zuneigt.