Außerdem spricht er über bittere Lehrstunden eines Bayern-Stars und einen heutigen Premier-League-Spieler, den sogar Faserrisse nicht vom Spielen abhielten.

Herr Aogo, Sie sind mit sieben Jahren zum Karlsruher SC gewechselt. Haben Sie damals schon von einer Karriere als Fußballprofi geträumt?

Dennis Aogo: Ich habe unglaublich gerne Fußball gespielt, hatte aber nie im Kopf, unbedingt Fußballer werden zu müssen. Das war eher bei meinem Vater der Fall, da er seinerzeit Drittligaspieler in Nigeria und leidenschaftlicher Fußballfan war. Als absehbar war, dass ich ähnliche Interessen habe, war die Freude bei ihm riesig. Zur Jugendzeit war ich KSC-Fan und habe auch in der passenden Bettwäsche geschlafen. Im Sommer haben mich meine Eltern quasi nie gesehen, weil ich ständig Fußball gespielt habe.

Warum sind Sie als KSC-Fan im Alter von 13 Jahren nach Mannheim gewechselt?

Aogo: Das hatte familiäre Gründe. Meine Eltern haben sich getrennt und mein Vater arbeitete beim US-Stützpunkt in Mannheim. Da ich nach der Trennung bei ihm gewohnt habe, hat sich Waldhof Mannheim einfach angeboten. Es war eine coole und erfolgreiche Zeit, auch wenn es in Sachen Infrastruktur im Vergleich zum KSC eine komplett andere Welt war.

Inwiefern?

Aogo: In Mannheim spielten wir beispielsweise auf Ascheplätzen, vor allem im Sommer waren die brutal hart und unglaublich staubig. Generell waren die Bedingungen alles andere als perfekt, aber mit unserer Truppe haben wir im süddeutschen Raum auch durch den Gewinn der süddeutschen Meisterschaft für Aufsehen gesorgt. Das hat mir geholfen, da es persönlich keine einfache Zeit war.

Inwiefern?

Aogo: Ich hatte an der Trennung meiner Eltern zu knabbern, zudem lebte ich tagsüber bei einer Gastfamilie, da mein Vater seiner Arbeit nachgehen musste. Dort habe ich nach der Schule gegessen und meine Hausaufgaben erledigt. Wenn du mit 13 deinen kompletten Freundeskreis zurücklassen musst und deine Geschwister bei deiner Mutter in Karlsruhe bleiben, geht das an einem Kind nicht spsrcos vorbei.

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Freiburger Internat? "Marschierten abends los, um Unfug anzustellen"

Sportlich haben Sie überzeugt, sodass der SC Freiburg auf Sie aufmerksam wurde.

Aogo: Schon damals waren Scouts der Profiklubs überall unterwegs. Zudem habe ich während meiner Jugend jeden Jahrgang in den Junioren-Nationalmannschaften durchlaufen. Dort steht man besonders im Fokus und man hat mich damals angesprochen, ob ich mir nicht einen Wechsel nach Freiburg ins Fußballinternat vorstellen könnte.

Dort haben Sie wieder alleine gelebt.

Aogo: Ja, das war vielleicht auch ein Grund, wieso ich nicht immer der Musterschüler gewesen bin.

Erzählen Sie.

Aogo: Ich musste als Jugendlicher viel verkraften, deshalb gab es auch bei mir eine Phase der Rebellion, in der ich meine Grenzen testete. Wenn 16 Jungs in pubertärem Alter zusammenkommen, ist es doch klar, dass auch die eine oder andere Dummheit gemacht wird. Ich kann mich daran erinnern, dass wir abends oft einfach losmarschierten, um Unfug anzustellen. Einmal füllten wir eine Wassertonne bis oben hin mit Dreck. Diese lehnten wir danach an eine fremde Haustür. Dann klingelten wir und rannten weg. Sie können sich ja vorstellen, was passierte, als die Tür aufging.

Durften Sie abends einfach um die Häuser ziehen?

Aogo: Es gab Zeiten, zu denen wir wieder im Internat sein mussten, daran habe ich mich aber selten gehalten. Auch die Schule wurde des Öfteren geschwänzt, oder es gab kleinere Schlägereien mit anderen Jungs. Dinge, die in der Pubertät eben vorkommen können.

Sind Sie mit diesem Verhalten angeeckt?

Aogo: Es gab eine Regelung, die besagte, dass Internatsspieler nach drei Abmahnungen rausgeworfen werden. Ich brauchte deutlich mehr Chancen und bin Christian Streich heute noch dankbar, dass er mir diese gegeben hat. Er war damals Internatsleiter und hat in mir etwas gesehen, das andere nicht gesehen haben und mir deshalb immer wieder eine weitere Chance gegeben. Während andere rausflogen, wurde an mir immer festgehalten.

Was macht Christian Streich so einzigartig?

Aogo: Er ist positiv verrückt. Einerseits ist er brutal hart und fordert extrem viel ein, andererseits kann er zwischenmenschlich sehr weich sein. Eine solche Mischung gibt es extrem selten. Das ist auch der Grund, warum ich ihn als Entwickler von jungen Talenten noch prädestinierter sehe im Vergleich zu seinen Aufgaben als Bundesliga-Trainer. So wie ich ihn kennenlernen durfte, passt der Job als Bundesliga-Coach aufgrund der Anforderungen gar nicht so gut zu ihm und seinen Idealen. Nichtsdestotrotz hat er sich auch dort gut zurechtgefunden und beweist das mit seinen Erfolgen.

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Hat er Sie auch abseits des Fußballplatzes als Mensch geformt?

Aogo: Zur Internatszeit hat er sich allgemein sehr um den Menschen hinter dem Fußballer gekümmert. Die Schulbildung hing immer mit dem Sport zusammen, oftmals wurde versucht, über den Sport die schulischen Leistungen zu pushen, indem mir Trainingseinheiten untersagt wurden, weil ich in der Schule Mist gebaut hatte. Im Freiburger Internat liefen wir uns ständig über den Weg. Er und unsere Pädagogin Stefanie von Mertens nahmen sich viel Zeit für mich. In unzähligen Gesprächen versuchten sie hartnäckig, an mir und meiner Persönlichkeit zu arbeiten, um mich auf den richtigen Weg zu bringen. Ich werde nie vergessen, wie wir alle gemeinsam - auch mit meinem Vater und seiner damaligen Lebenspartnerin - in einem Raum saßen und zusammen geweint haben.

Was war passiert?

Aogo: Sie hatten einfach Mitgefühl, weil sie wussten, dass ich als junger Bursche schon viel durchmachen musste. Gleichzeitig hatten sie das Gefühl, mit mir nicht weiterzukommen, nachdem ich wieder etwas angestellt hatte.

Aogo über Freiburg-Abschied: "Hatte das Gefühl, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben"

Hat Christian Streich Ihrer Meinung nach das Zeug für einen größeren Klub?

Aogo: Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nach meinen damaligen Erfahrungen nicht gedacht, dass er Bundesliga-Trainer wird, weil er sich immer treu bleibt und sich nicht verbiegen lässt. Heute macht er einen super Job. Inwiefern er sich weiterentwickelt hat und somit auch bei einem Top-Klub erfolgreich sein könnte, kann ich aus der Ferne nicht beurteilen.

2004 feierten Sie ihr Debüt in der Bundesliga gegen den HSV, vier Jahr später wechselten Sie zu den Rothosen. Rückblickend der richtige Wechsel im richtigen Moment?

Aogo: Ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben. Mein Aufstieg bei den Profis war kometenhaft, Volker Finke hat mich mit 17 fast in jedem Spiel aufgeboten. Als junger Spieler denkt man dann natürlich sofort, die große, weite Welt stehe einem offen. In meinem zweiten Jahr hatte ich nach dem Abstieg zu kämpfen und konnte die Erwartungen nicht immer erfüllen. Da kamen Zweifel auf, den Absprung verpasst zu haben. Unter Robin Dutt ging es für mich persönlich aber wieder bergauf.

Wie kam es zum Umschwung?

Aogo: Ich hatte mich mit einem Wechsel beschäftigt, aber Dutt überzeugte mich davon, dass in Freiburg etwas aufgebaut werden soll und er komplett auf mich setzt. Dieses Vertrauen hat sich in meinen Leistungen widergespiegelt, auch wenn es mit dem Aufstieg nicht geklappt hat. Danach konnte ich dennoch aus einer starken Position zum HSV gehen.

Wie kam der Kontakt zustande?

Aogo: Dietmar Beiersdorfer sprach meinen Berater an und blieb hartnäckig. Er kam sogar extra zu uns nach Hause, um mich von einem Wechsel zu überzeugen.

Gab es auch andere Angebote?

Aogo: Der VfB Stuttgart zeigte ebenfalls Interesse. Horst Heldt, auf den ich später bei Schalke treffen sollte, war zu der Zeit dort Manager.

Und dennoch haben Sie sich für den HSV entschieden.

Aogo: Die Verantwortlichen haben mich vor allem auf menschlicher Ebene überzeugt. Beiersdorfer war interessiert daran, mich persönlich kennenzulernen, um zu sehen, aus welchem Elternhaus ich komme. Das war sehr aufregend und gab mir das richtige Gefühl.

In welchem Bereich war die Umstellung von Freiburg zu Hamburg am größten?

Aogo: Es war ein Wechsel in einige riesige Stadt zu einem großen Klub mit hervorragenden Spielern. Zu Beginn kam ich mir vor wie ein kleiner Junge, der auf seine Idole trifft. Ich war ehrfürchtig und traute mich anfangs fast nicht zu sprechen.

Sie bezeichneten den HSV zuletzt als "Ihren Verein" und sagten, dass kein Verein so große Emotionen in Ihnen geweckt hätte. Was genau meinen Sie damit?

Aogo: Ich habe für den HSV fast 170 Spiele gemacht, bin als junger Bursche vom vergleichsweise kleinen Sport-Club Freiburg zum großen Traditionsverein gewechselt und habe es geschafft, mich dort in der Bundesliga zu etablieren. Letztlich wurde ich während meiner Zeit dort U21-Europameister, durfte für die A-Nationalmannschaft auflaufen und war 2010 sogar bei der WM dabei. Auch die Erfolge in der Europa League mit den beiden Halbfinaleinzügen sorgen letztlich dafür, dass der Klub bis heute mein Herzensverein ist. Dabei war zu Beginn meiner Zeit nicht einmal klar, ob ich mich dort überhaupt durchsetzen würde.

Wie meinen Sie das?

Aogo: In der Anfangszeit schaffte ich es ein paar Mal nicht in den Kader und bin erst reingerutscht, als Timothee Atouba sich verletzte. Diese Chance habe ich dann genutzt.

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Aogo über Atouba: "Besaß Fähigkeiten, die ich so noch nie gesehen hatte"

Apropos Atouba: War er wirklich so verrückt, wie man als Außenstehender vermuten würde?

Aogo: Zu 100 Prozent! Er war in der Kabine genauso wie auf dem Platz. Ich bin dankbar, dass ich ihn vor seiner schweren Verletzung erleben durfte. Er war ein außergewöhnlicher Fußballer, einen wie ihn habe ich danach nie wieder gesehen. Er besaß brutale Fähigkeiten und hat Bewegungen gemacht, die ich in meinem Leben so noch nie gesehen hatte. Er war definitiv verrückt, aber gleichzeitig auch unberechenbar. Bei Timmy wusste man nie, ob er wirklich sauer ist, oder sich nur einen Spaß erlaubt. Mir kam er manchmal vor wie ein brodelnder Vulkan, der von heute auf morgen explodieren kann.

Zum Ende Ihrer Zeit in Hamburg deutete sich der Abwärtstrend, der Jahre später im Abstieg mündete, bereits an. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Aogo: In meinen letzten beiden Jahren war ich aufgrund meiner Stellung innerhalb der Mannschaft in viele Gespräche mit dem Manager oder mit der Vereinsführung involviert - und wir hatten immer das Gefühl, alle Hebel in Bewegung gesetzt zu haben. Wir haben uns die Köpfe zerbrochen und jeden Stein umgedreht, um dem Ganzen entgegenzuwirken, aber wir konnten es einfach nicht greifen. Wir versuchten es sogar mit einer Art Magier, der unsere Kabine von schlechter Energie säubern sollte, weil wir das Gefühl nicht loswurden, es liege teilweise nicht mehr in unserer Hand, da die Qualität im Kader eigentlich immer besser war als das Ergebnis am Ende der Saison. Nach meinen Stationen beim HSV, bei Schalke, Stuttgart und auch Hannover sage ich mittlerweile: Die Trikots bei Traditionsvereinen sind schwerer als bei anderen Vereinen. Spieler, die bei kleinen Klubs funktioniert haben, aber nicht die nötige mentale Stärke mitbringen, gehen oftmals in großen Vereinen kaputt, weil sie mit dem Druck nicht klarkommen.

Sie hingegen wurden während ihrer Zeit in Hamburg zum Nationalspieler. Welche Erinnerungen haben Sie an den 13. Mai 2010?

Aogo: Sehr gute! Ich habe damals bei meinem ersten Einsatz gegen Malta sogar ein Tor vorbereitet. Die Hoffnung auf eine Nominierung hatte ich schon länger, da wir im Jahr zuvor mit der U21 Europameister geworden waren. Nach und nach sind immer mehr Spieler aus diesem Team in die A-Mannschaft aufgerückt. Eines Tages kam Gott sei Dank der Anruf von Hansi Flick. Dieses Gefühl war unbeschreiblich, weil ich auf diesen Moment jahrelang hingearbeitet hatte. Vor meinem ersten Lehrgang war ich dementsprechend nervös.

Lahm-Nachfolger? Aogo fühlte sich bei der Nationalmannschaft unter Druck gesetzt

Dann folgte Ihr Debüt vor heimischen Publikum.

Aogo: Nervös war ich schon zuvor. Als Typ bin ich in einem neuen Umfeld zunächst ohnehin eher zurückhaltend. Als der kleine Dennis, der gerade einmal ein Jahr beim HSV war, plötzlich zur Nationalmannschaft mit den ganzen Champions-League-Spielern aus den großen Klubs kam, war das insbesondere der Fall. Vor dem ersten Spiel war ich mega aufgeregt, ich stand schließlich unter enormer Beobachtung.

Inwiefern?

Aogo: Es musste links hinten ein Nachfolger für Philipp Lahm gefunden werden, weil Philipp auf die rechte Seite wechseln wollte. Die Fußstapfen waren riesig, Philipp war jahrelang der beste Linksverteidiger der Welt. Deshalb habe ich mich bei meinen Einsätzen extrem unter Druck gesetzt gefühlt. Joachim Löw war von meinen sportlichen Fähigkeiten überzeugt und hat mir im persönlichen Gespräch immer signalisiert, dass ich für ihn eine langfristige Lösung auf der Linksverteidigerposition darstellen könnte. Leider konnte ich meine Leistungen aus den Trainingseinheiten beim DFB zu dieser Zeit nie auf den Platz bringen. Das lag nur an mir selbst und auf gar keinem Fall am Trainer.

In knapp 16 Jahren Karriere hatten Sie über 20 Trainer. Hat Sie wer besonders beeindruckt?

Aogo: Erstmal würde ich behaupten, dass es wenige bis keine Spieler gibt, die in so vielen Jahren ähnlich viele Trainer hatten. Aufgrund der Anzahl und der teilweise kurzen Intervalle, ist eine Antwort auf die Frage nicht ganz einfach. Mit Bruno Labbadia habe ich sehr gerne zusammengearbeitet, auch wenn er brutal viel von seinen Spielern einfordert. Bei ihm gibt es nur Vollgas. Rein taktisch gefällt mir im Nachhinein die Arbeit von Thorsten Fink besonders gut. Wir hatten damals nicht das beste Verhältnis, kommen mittlerweile aber wieder sehr gut miteinander aus. Er versuchte ein bisschen wie Pep Guardiola zu arbeiten und zeigte seinen Spielern neue Perspektiven. Bei ihm drehte sich viel um die richtige Positionierung auf dem Platz, da habe ich mich als Außenverteidiger definitiv weiterentwickelt.

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Aogo über HSV-Zeit: "Vielleicht war ich zu treudoof"

Gleichzeitig bedeutete die Fink-Zeit Ihr Ende beim HSV.

Aogo: Nach einer Niederlage konnte er uns nicht mehr sehen und hat drei Tage frei gegeben. In der Zeit bin ich nach Mallorca geflogen, um meinen Manager zu treffen. In den Medien war hingegen von Partysrcaub die Rede, was absoluter Unsinn war. Nach meiner Rückkehr wurde ich suspendiert, obwohl wir eigentlich frei hatten. Fink zeigte Verständnis, dennoch wurde ich vom Verein dadurch öffentlich an den Pranger gestellt. Es musste wohl ein Sündenbock her, das hat mich extrem enttäuscht. Vielleicht war ich damals aber auch einfach zu treudoof.

Inwiefern?

Aogo: Zu der Zeit, als ich Nationalspieler war und wir auch international sehr erfolgreich waren, gab es Angebote von größeren Klubs. Meine naive Einstellung war allerdings, mit dem HSV etwas aufbauen zu wollen, weil ich mich dem Verein verbunden fühlte. Und plötzlich wurde ich bewusst in ein schlechtes Licht gestellt.

Dann kam 2013 der Wechsel zu Schalke. Nach starkem Start haben Sie sich nach dem 13. Spieltag allerdings das Kreuzband gerissen. Damit hatte sich auch die WM 2014 erledigt.

Aogo: Ich bin davon überzeugt, dass meine Chancen nicht schlecht standen, vor der Weltmeisterschaft zumindest noch eine Chance zu erhalten. Ich war in einer guten Verfassung und spielte mit einem großen, deutschen Klub in der Champions League. Zudem häuften sich zu dieser Zeit die Gerüchte, dass eine Rückkehr ins DFB-Team bevorstand.

Dachten Sie bei der Verletzung sofort an die WM?

Aogo: Anfangs nicht. Mein Berater und ich waren mit Schalke in Gesprächen, um aus der Leihe einen dauerhaften Wechsel zu machen. Als ich am Boden lag, wusste ich sofort, dass alles kaputt ist. Beim Verein fühlte ich mich sehr wohl, deshalb hatte ich die Sorge, dass Schalke nun von einem Transfer abrückt. Horst Heldt - und dafür bin ich ihm heute noch dankbar - hielt damals allerdings sein Wort und zog den Deal zu den gleichen Bedingungen wie vor der Verletzung durch. Das ist in dieser Branche nicht selbstverständlich.

In Ihrem Podcast gaben Sie an, am Tag des WM-Triumphs zu tief ins Glas geschaut zu haben. Aus Frust oder Freude?

Aogo: Eine Mischung aus beidem. Als Spieler will man gebraucht werden. Kein Spieler der Welt kann behaupten, dass er glücklich ist, wenn die Mannschaft ohne einen so gut wie nie zuvor spielt. Das wäre Bullshit. Während der WM war ich hin- und hergerissen. Einerseits habe ich mich riesig gefreut, dass wir Weltmeister geworden sind, weil viele der Spieler auf dem Platz Freunde oder ehemalige Mannschaftskollegen waren. Andererseits haderte ich mit der Situation, vor allem da ich vier Jahre zuvor noch dabei und nah dran gewesen bin. Der WM-Titel ist für einen Spieler das Größte, damit kann man sich verewigen. An jenem Abend herrschte in mir ein absolutes Gefühlschaos, das ich dann ertränken musste.

Bei Schalke waren Sie nach ihrem Comeback sofort wieder gesetzt und durften noch einmal einige Champions-League-Abende erleben. An welches Spiel erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Aogo: An das Spiel bei Sporting (4:2 im November 2014, Anm. d. Red.). Damals erzielte ich mein erstes und einziges Königsklassen-Tor. Das war ein besonderer Moment, zumal ich generell nicht viele Tore schieße. Es kam ein langer Ball von Marco Höger auf Kevin-Prince Boateng. Der nahm ihn mit der Brust an und leitete ihn weiter. Ich startete innen durch, nahm den Ball einmal mit und vollendete per Volley ins lange Eck. Das werde ich nie vergessen.

Dennis Aogo im Steckbrief

geboren 14. Januar 1987 in Karlsruhe Alter 33 Größe 1,84 m Gewicht 85 kg Position Verteidiger Fuß Links Aktueller Verein vereinslos

Leroy Sane zum FC Bayern? "Rucksack könnte zu schwer werden"

Das spektakuläre Achtelfinal-Rückspiel 2015 bei Real Madrid, als Schalke 4:3 gewann und trotz 0:2 im Hinspiel am Weiterkommen kratzte, verpassten Sie hingegen verletzt.

Aogo: Das war unglaublich bitter - auch für mich persönlich. Ich war damals zur Reha in München und habe das Spiel bei Mario Götze zuhause geschaut. Wenn man die Jungs dann so spielen sieht, wird man logischerweise wehmütig. Ich weiß noch genau, wie an diesem Abend der Stern von Leroy Sane aufging.

Den wir bald wieder in der Bundesliga sehen?

Aogo: Das kann ich nicht beantworten. Für die Liga fände ich es genial, weil er für Spektakel steht. Dennoch weiß ich nicht, ob ein Wechsel zu Bayern für Leroy richtig wäre. Das Paket aus Erwartungshaltung und Ablöse könnte Einfluss auf ihn haben. Er ist ein feiner Kerl, aber ich habe ihn auch als sensibel kennengelernt. Möglicherweise hat er sich diesbezüglich weiterentwickelt, aber dieser Rucksack könnte nach so einer schweren Verletzung auch zu schwer werden.

War er Ihr bester Mitspieler?

Aogo: Er gehört auf jeden Fall dazu. Aber einer stach wohl noch mehr heraus.

Und zwar?

Aogo: Ze Roberto beim HSV. Er ist einfach ein geiler Typ, so lieb und nett, gleichzeitig aber die Disziplin in Person. Über seine Qualitäten auf dem Platz muss man sowieso nicht diskutieren. Ze war in jeglicher Hinsicht ein absolutes Vorbild. Zudem ist es Wahnsinn, was er heute noch für eine Maschine ist. Ich hätte übrigens nie gedacht, dass ein Ze Roberto, der eher alte Schule war, 2020 ein absoluter Star auf Instagram ist.

Gab es auch einen Gegenspieler, der Sie zur Verzweiflung brachte?

Aogo: Ganz klar Arjen Robben, gegen den ich viele Duelle hatte. Er hat mir extrem imponiert. Als ich in meinem jugendlichen Wahnsinn dachte, ich sei als Nationalspieler auch jemand, hatte ich vor den Spielen gegen Bayern oftmals eine große Klappe. Vor jedem Spiel habe ich mir vorgenommen: Heute gehe ich als Sieger vom Feld und mache ihn kaputt. Auf dem Platz habe ich den Infight gesucht und versucht, ihn mit Provokationen oder Beleidigungen aus dem Konzept zu bringen. Doch er war so krass fokussiert, dass er sich davon überhaupt nicht beeinträchtigen ließ und sein Ding 90 Minuten durchzog. Er hat mich mehrmals auseinandergenommen. Selbst wenn ich ihn beleidigt hatte, bewies er Stil und Niveau. Es gibt Spieler, die dann auf dich zukommen und dir unter die Nase reiben, wenn sie dich zerstört haben, aber Robben reichte mir nach den Spielen immer respektvoll die Hand und wünschte mir alles Gute. Das tat viel mehr weh als ein beleidigender Konter. Er war einfach ein brutaler Sportsmann und im Spiel fast nicht zu halten, obwohl jeder wusste, was kam. Sein Tempo und sein Timing waren einzigartig. Auf der anderen Seite ragte er auch menschlich heraus, weil er es nicht nötig hatte, sich in dem Fall auf mein Niveau herabzulassen. Vor Arjen Robben ziehe ich den Hut.

Wie fallen diese Sticheleien oder Provokationen aus?

Aogo: Das ist nicht immer jugendfrei. (lacht) Bei Arjen habe ich oft auch einfach nur versucht, übertrieben hart zu spielen. Ich kann mich an ein Spiel erinnern, bei dem ich nach zehn Minuten die Gelbe Karte sah. Das war mein Todesurteil, anschließend wurde ich ganz übel hergespielt.

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Hamburg-Derby für Aogo größer als das Ruhrderby

Sowohl beim HSV als auch auf Schalke durften Sie bereits große Derbys absolvieren. Welches ragt aus Ihrer Sicht heraus?

Aogo: Für mich war HSV gegen St. Pauli das größte Derby. Zu meiner Zeit gab es dieses Spiel schon ewig nicht mehr. Es war unglaublich, was in der Stadt los war, dem ganzen Zirkus konnte man in der Woche zuvor nicht entfliehen. Rückblickend war es aufgrund der damaligen Konstellation noch ein Stück emotionaler als das Ruhrderby.

Als Markus Weinzierl 2016 nach Schalke kam, fanden Sie sich regelmäßig auf der Bank wieder. Wie kam es dazu?

Aogo: Sowohl bei Schalke als auch später in Stuttgart hatte ich mit Markus zwischenmenschlich immer ein gutes Verhältnis. Ich muss aber zugeben, dass Sead Kolasinac in dem Jahr einen brutalen Schritt gemacht und seine Gegenspieler regelmäßig zerstört hat. Zudem spielten wir mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette, da fühle ich mich auf der Linksverteidigerposition nicht wirklich wohl. Sead hingegen ist auf der linken Seite mit einer unglaublichen Power rauf und runter marschiert, da habe ich im direkten Duell keinen Stich mehr gesehen. So ehrlich muss ich sein, auch wenn ich es im ersten Moment nicht wahrhaben wollte. Ich kann mich an keinen Zweikampf erinnern, den Sead zu der Zeit nicht gewonnen hat, ich war als Konkurrent fast schon ein Fan von ihm. Zudem war er nie verletzt, teilweise spielte er sogar mit Faserrissen oder anderen Diagnosen. Ich dachte mir: "Ist er noch ein Mensch?" Er konnte den Schmerz wegdrücken wie eine Maschine. Das war heftig.

Den Stuttgarter Abstieg 2019 erlebte Weinzierl nach seiner Entlassung nicht mehr als Trainer. Sie hingegen standen beim Relegationsrückspiel in Berlin in der Startelf. Wie blicken Sie heute auf die Partie?

Aogo: Ich war völlig überzeugt, dass wir das Spiel bei Union für uns entscheiden. Die 90 Minuten waren eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Nicolas Gonzalez verhinderte Ihr Freistoßtor durch eine komplett unnötige Abseitsstellung.

Aogo: Mir war das im ersten Moment gar nicht bewusst. Wie schon gesagt: Es kommt selten genug vor, dass ich ein Tor erziele. Die Freude war im ersten Moment riesig - und plötzlich wurde das Tor zurückgenommen. Je länger das Spiel dauerte, umso mehr bekam ich das Gefühl, dass es für uns eng werden könnte. Es war zuvor zwar absehbar, dass mein Weg in Stuttgart nach dem Spiel enden würde, aber für den Verein hat es mir richtig leidgetan. Die Region mit ihren Fans ist super, die Unterstützung war trotz der Leistungen grandios. Darum schmerzte der Abstieg schon sehr.

Unmittelbar nach dem Abstieg gab es aufgrund einer Instagram-Story, in der Sie nach Vorschlägen für eine neue Frisur fragten, einen Shitstorm gegen Sie. Konnten Sie den Ärger der Stuttgart-Fans verstehen?

Aogo: Ich hätte es mir sparen können. Der Fan kennt mich nicht wirklich und macht sich so sein Bild. Wenn ich mich nun in die Rolle des Fans hineinversetze, würde ich ähnlich denken. Abstieg, erstmal Luxussrcaub in Dubai und dann über seine Frisur reden anstatt dem Spiel hinterherzutrauern. Zumal damals noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen war, dass mein Abschied vom VfB feststand. Deshalb kann ich den Ärger heute verstehen.