Der Platz rund um das Staples Center in Los Angeles scheint auf den ersten Blick so schmucklos und beliebig wie die Betonwüsten um zahllose andere dieser hochmodernen und doch irgendwie immer gleichen, brandneuen Multifunktionsarenen weltweit. Viel Sonne, viel Grau, durchbrochen von minimal etwas Grün hier und da.
Dabei verstecken sich Glanz und Glamour in den Statuen, die auf dem Platz davor verstreut sind. Legenden des Sports der Stadt stehen hier, Wayne Gretzky, die Eishockey-Ikone der L.A. Kings, Jerry West und Magic Johnson natürlich, und der langjährige Play-by-Play-Kommentator Chick Hearn. Auch Boxer Oscar De La Hoya wurde hier verewigt.
Kareem Abdul-Jabbar: Ein Kreis schließt sich
Als im November 2012 eine weitere Bronzefigur enthüllt wird, hat auch endlich die erfolgreichste Persönlichkeit ihr Denkmal erhalten. Waren Gretzky und Magic absolute Publikumsfavoriten, die mit ihrem Charisma die Massen begeisterten, war Hearn die Stimme der Lakers, so war Kareem Abdul-Jabbar das Rückgrat der "Showtime"-Ära der 80er, die Konstante - und: der vielleicht eigenwilligste Star, den die NBA jemals hatte, der erste Intellektuelle der Liga.
Geschätzt, respektiert - aber nie geliebt. So schloss die Zeremonie einen Kreis, der die Sportstadt Los Angeles und ihre unkonventionelle Größe wieder zusammenführte. "Wir konnten uns wieder zusammenraufen", erklärt ein sichtlich bewegter Abdul-Jabbar bei der Einweihung. "Ich habe meine Gefühle nie wirklich gezeigt, aber ich bin jetzt ja Rentner. Ich kann ein launischer oder ein glücklicher alter Mann sein, und gerade jetzt bin ich ein glücklicher."
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Dominanz an High School und College
Kein Versuch, die Karriere des Kareem Abdul-Jabbar zu beschreiben, kommt ohne ein paar der beeindruckenden Zahlen der Basketball-Historie aus. 1560 NBA-Spiele, bei Karriereende die meisten, erst Jahre später von Robert Parish übertroffen. 6 MVP-Auszeichnungen, 38.387 Punkte, 19 Nominierungen zum All-Star-Game - mehr als jeder andere Spieler der Geschichte. Trotzdem: Bloße Zahlen werden der Karriere und dem Wirken des Big Man nicht gerecht.
Der gebürtige New Yorker dominiert schon in jungen Jahren an der legendären Power Memorial High School das Geschehen, führt sein Team zu einer Bestmarke von 79:2 Siegen und einer Serie von 71 Siegen in Folge. Als er die High School verlässt, reißen sich die größten Universitäten des Landes um das Talent. Er entscheidet sich für die traditionsreichen UCLA Bruins im fernen Kalifornien. Die sind mit ihrem Neuling kaum zu stoppen, gleich drei Mal in Folge geht die College-Meisterschaft an den Campus der traditionsreichen Uni unter Trainerlegende John Wooden.
Der junge Big Man spielt so dominant, dass sich die NCAA, der College-Dachverband, genötigt fühlt, den Dunk zu verbieten - die Geburtsstunde des Skyhook, jener nicht zu verteidigenden Wurfvariante, die zu seinem Markenzeichen werden sollte. "Eigentlich ging es beim Dunk-Verbot gar nicht um mich persönlich", erinnert sich Abdul-Jabbar später, "wir hatten in unserem Team eine Vielzahl an großen Spielern und dadurch einen erheblichen Vorteil. Das war der Hauptgrund für die Entscheidung der NCAA."
Kareem Abdul-Jabbar: Star der großen Center-Ära
1969 dann sichern sich die Milwaukee Bucks das Riesentalent. Die Bucks gehen gerade in ihre zweite Saison, wie jedes Expansion Team haben die Baller aus dem Norden eine erste Spielzeit zum Vergessen hinter sich. Hoffnung ruht auf dem anstehenden Draft - und die Lostrommel bringt Glück, der Neuling darf gleich an erster Stelle wählen - und nutzt seinen 1.Pick für den schlaksigen, 2,18 Meter großen Center von der renommierten UCLA-Fakultät.
Ferdinand Lewis Alcindor heißt der 22-Jährige damals noch - und er soll der besten Basketball-Liga der Welt seinen Stempel aufdrücken wie nur ganz wenige vor oder nach ihm. 28,8 Punkte scort Alcindor in seinem Rookie-Jahr. Bereits in Saison zwei scheint der neue Star am Ziel: Zusammen mit Neuzugang Oscar Robertson führt er die Bucks zur Meisterschaft - die bis heute einzige der Klubgeschichte. 31,7 Punkte, 16 Rebounds und 3,3 Assists erzielt der immer stärkere Fünfer pro Partie, holt sich damit seinen ersten MVP-Titel dazu. Er spielt elegant, mit Finesse und für Big Men fast ungekannter Agilität.
Anders aber als in den Jahrzehnten zuvor, als hochkarätige Center rar gesät waren und erst George Mikan, dann Bill Russell und Wilt Chamberlain keine gleichwertigen Gegner hatten, gibt es nun Konkurrenz, echte Big Men: Spiel für Spiel warten Gegner wie Wes Unseld, Bill Walton, Willis Reed, Bob Lanier, Artis Gilmore oder Elvin Hayes.
Vorbild Malcolm X
Mit dem Meisterschaftsgewinn kommt auch der Namenswechsel: Alcindor, der schon vor Jahren zum Islam konvertiert war, nennt sich fortan "Kareem Abdul-Jabbar". "Es ist eine Ehrerweisung an meine Vorfahren, die als Sklaven in die USA gekommen sind", erklärte der vielseitig interessierte, belesene Star, der seinen College-Abschluss in Geschichte gemacht hat.
Er orientiert sich früh an Bürgerrechtler Malcom X und Baseball-Legende Jackie Robinson, Afro-Amerikaner, die sich engagieren. Noch zu College-Zeiten 1968 boykottiert er die Olympischen Spiele in Mexiko City, lehnt eine Nominierung für das Team USA ab, will damit ein Zeichen setzen gegen die Benachteiligung von Schwarzen in der US-Gesellschaft.
1973 begibt er sich auf Reisen nach Libyen und Saudi Arabien, um sich eingehender mit seiner neuen Religion zu beschäftigen. Der landesweit bekannte NBA-Star bezieht auch heute noch öffentlich Stellung zu politischen Themen und Entwicklungen, setzt sich ein gegen Rassismus und für die Rechte Benachteiligter.
Lakers-Legende Kareem: Distanz zu Fans und Medien
Schon hier aber beginnt die Entfremdung der vielschichtigen Persönlichkeit Kareem Abdul-Jabbar von der Öffentlichkeit. Fans werden trotz der Erfolge nie richtig warm mit dem intellektuellen Kulturinteressierten, dem das Bad in der Menge genauso fremd ist wie Anbiederungen ans Publikum.
Auf dem Court spielt er weiter überragend, in keinem seiner sechs Jahre in Milwaukee scort er schlechter als 27 Punkte, holt weniger als 14 Rebounds und verteilt weniger als 3,3 Assists pro Spiel. Logische Konsequenz: Auch 1972 und 1974 kommt der MVP der Regular Season aus Wisconsin. Vier Jahre in Folge holen die Bucks dazu den Titel der Midwest-Division, in die das Team nach der Gründung eingeteilt wurde.
Schon bald aber übersteigen die Anforderungen des Centers die Möglichkeiten des beschaulichen Milwaukee. "Meine Bedürfnisse und mein Wissensdurst werden hier nicht gestillt. Es passt einfach nicht" soll Abdul-Jabbar in einem Meeting mit dem Bucks-Frontoffice erklärt haben.
Ein Trade in eine Metropole soll ihm neue Möglichkeiten eröffnen - die Chance für die Los Angeles Lakers, die sich im Ringen knapp gegen die New York Knicks durchsetzen. Hätte ein Wechsel nach New York oder L.A. nicht geklappt, Abdul-Jabbar wäre zu den New York Nets in die Konkurrenzliga ABA gegangen - das Imagedesaster wird gerade noch abgewendet.
"Wir wussten, dass wir uns in der gesamten NBA nicht mehr hätten blicken lassen können, wenn er in die ABA gewechselt wäre. Wir mussten aber vor allem innerhalb der Stadt aufpassen - der ganze Trade wurde so lange wie möglich geheimgehalten", erinnert sich der ehemalige Bucks-GM Wayne Embry. Im Jahr 2013 undenkbar - einfach mal LeBron James oder Carmelo Anthony fragen.
Die neue Nähe zu Hollywood lässt ihn weiter aufblühen, er enttäuscht die hohen Erwartungen nicht, reiht sich in in die bis heute fortgesetzte Reihe legendärer Big Men im goldenen Leibchen der Lakers. George Mikan, Wilt Chamberlain, nun Kareem. Die Lakers, gerade im Umbruch, haben ihr Fundament für einen Neuaufbau, nach verpassten Playoffs in Abdul-Jabbars Debütjahr schafft es das Team zwei Mal in den nächsten drei Spielzeiten mindestens bis in die Conference Semifinals, der große Star sammelt zwei weitere Maurice-Podoloff-Trophäen ein.
Es sollte jedoch bis 1979 dauern, dass ein gutes Team mit einem überragenden Abdul-Jabbar zu einem der besten der NBA-Geschichte werden sollte. Von der Michigan State University kommt ein junger, 2,06 Meter großer Point Guard namens Earvin Johnson nach L.A. - zusammen mit "Magic" wird der Grundstein für die "Showtime"-Ära gelegt: Schon im ersten Jahr des Duos steht am Ende die Championship, mit einer überragenden Bilanz von 60:22 und einem 4:2 in den Finals gegen starke Philadelphia 76ers mit Julius Erving und Maurice Cheeks.
Die Baller aus Hollywood bieten spektakulären Offensiv-Basketball, dirigiert vom atemberaubenden Spiel Johnsons, gestützt von einem hochkarätigen Kader mit Akteuren wie Michael Cooper, Mychal Thompson, Jamaal Wilkes, Byron Scott, James Worthy oder Bob McAdoo. Angeleitet von Headcoach Pat Riley, der 1981 von Paul Westhead übernimmt, werden die 80er vor allem zu einer neuen Hochzeit der Rivalität zwischen den Lakers und den Boston Celtics.
Tiefpunkt "Memorial Day Massacre"
Als 1983 ein Großbrand das Anwesen des Centers zerstört und mit ihm zahllose Andenken und eine riesige Jazzplattensammlung, schicken ihm viele Lakers-Fans aus Anteilnahme neue Vinyl-Scheiben - "das Mitgefühl hat mir sehr geholfen und wieder Kraft gegeben in dieser Zeit", wird Abdul-Jabbar später sagen. Zu diesem Zeitpunkt ist auch das Kapitel "Sixers" abgeschlossen für die Baller aus Hollywood - mit einem erneuten Titelgewinn 1982 und nun einer derben 0:4-Klatsche, fast akkurat prophezeit mit "Fo', fo', fo'" von Philly-Big-Man Moses Malone. Boston soll die folgenden Jahre als erbitterter Gegner in hitzigen Gefechten prägen.
So kommt es 1985 in den Finals zu einem späten Tiefpunkt: In Spiel 1 gelingen ihm, mittlerweile 37 Jahre alt, ganze zwölf Punkte und drei Rebounds, die Celtics prügeln den ewigen Gegner aus dem Boston Garden - das 114:148 geht als "Memorial Day Massacre" in die Basketballgeschichte ein. Die heimische Fachpresse in Kalifornien wie auch viele Fans stellen die Ikone in Frage - zu alt, zu harmlos, nicht mehr konkurrenzfähig, so der Tenor.
Kareem Abdul-Jabbar: "Der Beste aller Zeiten"
"Es war unglaublich, was auf Kareem einprasselte", erinnert sich Coach Riley. "Viele haben nicht mehr an ihn geglaubt, aber er hat alle eines besseren belehrt." Und wie: 37 Punkte und 16 Rebounds schenkt der angebliche Pflegefall in Partie 2 ein, die Celtics erholen sich nicht mehr, L.A. holt in sechs Spielen erneut den Titel - und Abdul-Jabbar wird Finals-MVP. Bis heute ist er der älteste Akteur, dem das gelingen konnte. Noch in der folgenden Spielzeit stehen 23,4 Zähler im Schnitt in den Statistiken.
Auch wenn die Zahlen in seinen letzten Karrierejahren sinken, Abdul-Jabbar gewinnt weiter Titel mit der Lakers-Showmaschine, ist bis in seine Abschiedssaison 1989 All-Star - zum insgesamt 19. Mal in 20 Profi-Jahren. Auf seiner Abschiedstournee durch die Hallen der Liga gibt es große Emotionen. Eine Hochachtung, die dem einst geschmähten viel bedeutet: "Die 80er haben mich für die Jahre davor entschädigt, für die ganzen Kritiken und Beschimpfungen. Dinge können sich wohl tatsächlich ändern."
"Wenn ein Spieler Rekorde bricht, Meisterschaften gewinnt, Kritik übersteht und seiner Verantwortung gerecht wird, dann gibt es für mich keine Diskussionen mehr. Lasst uns diesen Spieler als Besten aller Zeiten würdigen", sagt Riley über seinen Ex-Spieler, kurz nach dessen Karriereende. Abdul-Jabbar bleibt in der Öffentlichkeit, engagiert sich im Basketball - der Traum einer Traineranstellung in der NBA erfüllt sich nicht - und darüber hinaus, gegen Hunger, gegen Analphabetismus in der Welt. Er profiliert sich als Historiker, ist gefragter Gast in Gesprächsrunden.
Später Frieden
Schlagzeilen machte seine Leukämieerkrankung, die 2009 öffentlich wurde - mittlerweile ist der Krebs auf ein Minimum reduziert. Die größte Ehre abseits des Sports ist die Ernennung zum Kulturbotschafter für die Vereinigten Staaten, die ihm Ministerin Hillary Clinton 2012 anträgt. "Einer meiner größten Helden hatte diese Aufgabe bereits unter Präsident John F. Kennedy: Louis Armstrong. Es ist ein Privileg, es ihm gleichtun zu dürfen," erklärt Abdul-Jabbar.
Die Öffentlichkeit und er - sie haben sich gefunden. "Erst Jahre nach meinem Rücktritt habe ich verstanden, dass die Menschen daran interessiert waren, wie ich ticke," sagt er heute. "Als die Leute von meiner Krankheit hörten, kamen so viele Lakers-Fans auf mich zu in Kaufhäusern, auf der Straße oder in Buchhandlungen. Viele fragten einfach nur, wie es mir geht oder, ob sie mir helfen könnten - das bedeutet mir mehr als alles andere", offenbart er auf der Einweihung seiner Statue, sichtlich ergriffen. Magic, Worthy, Dr. J, Riley, Bill Walton, Elgin Baylor, auch Cooper und Norm Nixon erweisen ihm dabei die Ehre.
"Als einziger sechsmaliger MVP der NBA wie auch als zweimaliger Finals-MVP, 19-maliger All-Star, Rookie of the Year und sechsmaliger Champion - davon fünf Titel mit den Lakers - ist Kareem Abdul-Jabbar einer der größten Basketballspieler, die jemals gelebt haben. Abdul-Jabbar, der seine legendäre 20-jährige Karriere als mit 38.387 Punkten bester Scorer der Geschichte beendete, wird immer besonders für seinen eleganten, unaufhaltbaren Skyhook in Erinnerung bleiben - einen der anmutigsten Offensivmoves, die das Spiel erlebt hat," kundet die Inschrift auf dem Sockel, draußen in der Betonwüste vor dem Staples Center, von den Meriten des Geehrten. Sie wird ihm nicht im Ansatz gerecht. Ihm, dem eigenwilligsten Star der NBA-Geschichte. Dem ersten Intellektuellen der Liga.