Im ausführlichen Interview mit SPOX und Goal erzählt Stipic, dass Julian Nagelsmann beinahe sein Co-Trainer geworden wäre und wie Softwarekonzern SAP unter seiner Leitung aus einem chinesischen Drittligisten ein zweites Hoffenheim machen wollte - aber aufgrund der großen kulturellen Unterschiede sang- und klanglos daran scheiterte.
Stipic spricht zudem über seinen abrupten Weggang von Eintracht Frankfurt, den 34-Tage-Job bei Grashoppers Zürich und das viral gegangene Fata-Morgana-Tor, das sein neues Team Slaven Belupo in Kroatien erzielte.
Geflüchtet aus Kroatien: Der ziemlich einzigartige Weg des Tomislav Stipic
Herr Stipic, als Sie Anfang Oktober 2019 Trainer bei Slaven Belupo in der ersten kroatischen Liga wurden, erzählten Sie, dass Sie eine Ohrfeige von Ihrer Frau bekamen, nachdem Sie beim FC Hitzhofen-Oberzell erstmals als Trainer arbeiteten. Was war da los?
Tomislav Stipic: Ich habe mich damals nach dem Training und dem ersten Auftritt vor der Gruppe so stark und besonders gefühlt, dass ich später zu meiner Frau beim Kaffee gesagt habe: Schatz, ich möchte einer der größten Trainer werden. Daraufhin hat sie mir die Watschn verpasst und gemeint, ich sei ein größenwahnsinniger Spinner. Den Kaffee musste ich dann alleine austrinken. (lacht)
In Deutschland kennt man Sie vor allem von Ihren Stationen bei Erzgebirge Aue in der 2. und den Stuttgarter Kickers in der 3. Liga, wo Sie im Kampf um den Klassenerhalt einsprangen und 2015 sowie 2016 jeweils mit lediglich einem Tor Unterschied am letzten Spieltag abstiegen. Welche Auswirkungen hatten diese beiden bitteren Erfahrungen auf Ihre weitere Trainerkarriere?
Stipic: Viele Trainer scheuen sich, das auszusprechen, aber es ist einfach so: Wenn man in zwei Jahren mit zwei verschiedenen Mannschaften in zwei verschiedenen Ligen mit jeweils einem Tor Unterschied absteigt, dann bekommt man in diesem Land außerhalb des Jugendbereichs keine relevanten Angebote mehr. Das wurde mir vor allem nach Gesprächen mit Entscheidungsträgern verschiedener Klubs bewusst. Leider machen sich viele Leute nicht die Mühe, die erbrachte Leistung eines Einzelnen zu analysieren. Das wiederum liegt auch an der Macht, die die Medien inner- und außerhalb der Vereine ausüben können. Kaum ein Verein geht ja mit dem Trainer, mit dem man abstieg, das Projekt Wiederaufstieg an. Ich war als Retter nicht mehr zu verkaufen, hatte aber auch das Gefühl, dass sich die Leute nicht genügend mit mir beschäftigen.
Stipic: "Nagelsmann sollte mein Co-Trainer werden"
Im November 2016 sind Sie schließlich zum chinesischen Drittligisten Nantong Zhiyun gewechselt.
Stipic: Ich wollte nicht in den Nachwuchs zurück, weil ich nicht das Gefühl hatte, versagt zu haben. Ich wusste aber, dass ich Deutschland verlassen muss, damit man zu der mit mir verbundenen Geschichte Abstand gewinnt. Daher entschied ich mich für das Projekt in China. Diesen Weg sind in den letzten Jahren viele vor mir gegangen und er war auch finanziell attraktiv. Der familiäre Kompromiss war, dass wir uns zwar nur selten sehen können, uns der finanzielle Druck aber etwas genommen wird, wenn ich nach China gehe.
Nantong Zhiyun ging eine fünfjährige Kooperation mit dem Softwarekonzern SAP, der dort ein Werk unterhält, und der Berateragentur Rogon ein. Wie ist man dabei auf Sie als Trainer gestoßen?
Stipic: Die Verantwortlichen der TSG Hoffenheim sind zu der Zeit, als Markus Gisdol dort Trainer war, auf meine Arbeit in Aue aufmerksam geworden. Ich wurde nach Hoffenheim als einer der Kandidaten eingeladen, der nach Gisdol die Profimannschaft übernehmen sollte. Damals war die Idee, dass Julian Nagelsmann mein Co-Trainer wird. Ihm hatte noch die nötige Lizenz für den Cheftrainerposten gefehlt, die er dann anschließend nachgeholt hat. Julian hat dieses Modell jedoch abgelehnt, sodass man im letzten Moment von der Idee abgekommen ist und Huub Stevens verpflichtet hat. So war der Kontakt zu Hoffenheim und Dietmar Hopp aber bereits geknüpft.
Und beim Thema Nantong ist man eben wieder auf Sie zurückgekommen?
Stipic: Genau. Es wurden über mehrere Monate Gespräche mit der chinesischen Seite geführt und gegenseitige Besuche absolviert. Roger Wittmann war als Geschäftsführer von Rogon der Hauptverantwortliche dieser Mission. Mir wurde Selim Teber als Co-Trainer zur Seite gestellt, der fünf Jahre lang Kapitän von Hoffenheim war. Man wollte mit ihm als Aushängeschild des Hoffenheimer Fußballs vor Ort eine Bindung zum Verein aufbauen. Auch die Geschäftsstelle in Nantong sah exakt so aus wie die in Hoffenheim, die Trikots waren quasi dieselben. Der Plan war, dass in China ein zweites Hoffenheim entstehen und der Klub in fünf Jahren einer der größten Vereine in Asien werden sollte. Die Idee an sich war eigentlich sensationell.
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Das zweite Hoffenheim: 250 Spieler im Probetraining
Doch sie ist sensationell schnell gescheitert. Bereits im April 2017 verließen Sie den Verein wieder - nach nur einem absolvierten, aber gewonnenen Pokalspiel.
Stipic: Den Chinesen ging letztlich alles zu schnell und der deutschen Seite alles zu langsam. Hinzu kamen die kulturellen Unterschiede, die einfach enorm waren. Uns Deutschen hat dafür auch das Fingerspitzengefühl gefühlt, den Chinesen das Verständnis für den Fußball. Es gab ständige Nebenkriegsschauplätze und Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Ausrichtung des Vereins. Häufig war unklar, wer welche Kosten trägt und die Deutungshoheit hat. Ich wusste meist nicht, wer überhaupt mein Verantwortlicher ist, weil die Machtverhältnisse ungeklärt waren.
Wie sah denn die ursprüngliche Vereinbarung aus, diese Fragen müssen doch in der Kooperationsvereinbarung verankert gewesen sein?
Stipic: Es war vereinbart, dass die deutsche Seite das Knowhow mitbringt und die chinesische die Finanzen stemmt. Das war in der Praxis aber nicht der Fall, denn die Chinesen wollten das Sagen haben, wenn sie schon die Kosten tragen. Es herrschte durchgehend eine ungesunde Stimmung. Ich denke, dass man die Chinesen mit all ihrer Cleverness letztlich unterschätzt hat.
Bekamen Sie Ihr Gehalt von der chinesischen oder der deutschen Seite gezahlt?
Stipic: Ich hatte noch in Deutschland einen Vertrag unterschrieben. Als ich nach China kam, meinte der Präsident jedoch, dass dieser Vertrag nicht gültig sei und ich bei ihm einen neuen unterschreiben müsse, da er mich ja auch bezahlen würde. Plötzlich hatte ich gar keinen beziehungsweise nur einen nach chinesischem Recht ungültigen Vertrag, dem der Stempel des Vereins gefehlt hat. Und schnell habe ich erfahren, dass der entsprechende Stempel in China wichtiger ist als alles andere.
Dass Sie nur ein Spiel geleitet haben, lag an einer viereinhalbmonatigen Vorbereitungszeit auf den Saisonstart. Wie sind Sie da als Trainer in sportlicher Hinsicht vorgegangen?
Stipic: Da der Verein erst ein Jahr existierte und es kein Scouting gab, lud ich über die gesamte Zeit rund 250 Spieler zum Profitraining ein. Sie müssen bedenken: In China gibt es knapp 1,4 Milliarden Menschen, aber nur 700.000 Fußballer. Da es im ganzen Land kein Scouting-System gibt, ist quasi jeder, der gegen einen Ball treten kann, ein potentieller Kandidat für eine Fußballmannschaft. Deshalb habe ich so viele Spieler testen müssen.
Wie haben Sie das strukturiert?
Stipic: Mein Dolmetscher hat mir dutzende Lebensläufe von Spielern vorgelegt, die sich beworben hatten. Darunter auch welche, die schon Erfahrung in der zweiten oder dritten chinesischen Liga gesammelt hatten. Manche wurden uns auch von den Scouts von Rogon vermittelt. Wir haben sie dann in unterschiedlichen Gruppen einbestellt. Da waren Jungs dabei, die sagten, sie seien Stürmer. Ein paar Wochen später standen sie dann bei mir im Tor, weil sie dort einfach besser waren. Oder Abwehrspieler, die ich dann in der Offensive eingesetzt habe. Es war absolute Basisarbeit und die Integration von Fußballkultur und Struktur angesagt, da es im Grunde jeder Spieler gewohnt war, kreuz und quer über das Feld zu rennen. So habe ich nach und nach eine Mannschaft zusammengebaut. Der Verein hat mir dabei auch vertraut. Auf diesem Gerüst wurde schließlich aufgebaut, nachdem ich entlassen wurde.
Inwiefern?
Stipic: Aus Deutschland waren wir insgesamt ein Pool von rund 15 Personen, die im Trainerteam, Scouting, Marketing oder in der Geschäftsstelle Positionen besetzt haben. Meine Co-Trainer sind bereits nach sechs Wochen ausgestiegen und nach Weihnachten in Deutschland geblieben. Sie waren vom Verein nicht mehr erwünscht. Da war das Projekt im Grunde schon gescheitert. Am Ende waren die kulturellen Unterschiede so gewaltig, dass nur noch ich übriggeblieben bin. Der Präsident bat mich zu bleiben, da er mir eine sehr gute Arbeit bescheinigte und ich für ihn der Schlüssel in der Mission war.
Tomislav Stipic: Seine Trainerkarriere im Überblick
Verein Zeitraum FC Hitzhofen-Oberzell (Spielertrainer) 2007-2009 SV Denkendorf (Spielertrainer) 2009-2010 FC Ingolstadt 04 U17 2010-2013 FC Ingolstadt 04 II 2013-2014 FC Erzgebirge Aue 2014-2015 Stuttgarter Kickers 2015-2016 Nantong Zhiyun 2016-2017 Eintracht Frankfurt U19 2018-2019 Grasshopper Club Zürich 2019 NK Slaven Belupo seit 2019
Haben Sie dann nicht auf ein eigenes Trainerteam gepocht?
Stipic: Natürlich, doch der Wunsch wurde abgelehnt. Stattdessen holte man das chinesische Trainerteam zurück, das wegen uns zuvor gefeuert wurde. Doch aufgrund ihres dadurch erlittenen Gesichtsverlustes, der für alle Chinesen eine der größtmöglichen gesellschaftlichen Ächtungen ist, konnten sie kein Vertrauen zu mir aufbauen und haben lediglich Dienst nach Vorschrift gemacht. Für sie war ich sozusagen der letzte böse Deutsche. Ich wurde bei jeder Besprechung, jeder Trainingseinheit und jedem Spielergespräch gefilmt. So häuften sie sich nach und nach das Wissen an, das nötig war, um die Mannschaft nach meinem Aus mit den von mir implementierten Methoden zu übernehmen. Sie haben dann auch den vorherigen Cheftrainer reaktiviert.
Wie erfuhren Sie schließlich von Ihrer Entlassung?
Stipic: Nach dem einzigen Spiel hat mich der Präsident zu einer Teezeremonie eingeladen. Er meinte, dass mich das chinesische Trainerteam nicht akzeptieren würde, er mir diese unangenehme Situation ersparen und Ruhe im Verein haben möchte. Er versprach, mich auszuzahlen und mein Freund zu bleiben. Das Gespräch dauerte nur zehn Minuten - und kurz darauf bin ich zurück nach Deutschland geflogen.
Sind Sie sich da zwischenzeitlich nicht vorgekommen wie im falschen Film?
Stipic: Was mir Spaß gemacht hat, war zu merken, dass wir durch unsere Arbeit ganz schnell große sportliche Schritte gemacht haben. Ich konnte die Spieler mit meinem Wissen gewinnen und für das gemeinsame Ziel begeistern. Diese Rückmeldung habe ich stets bekommen. Natürlich lag ich aber häufig im Bett und dachte: Was zum Teufel machst du hier in China, du gehörst eigentlich woanders hin? Ich wollte aber durchhalten und nicht aufgeben, auch wenn das leichter gesagt war als getan.
Sie haben die chinesische Kultur angesprochen. Wie haben Sie sie wahrgenommen?
Stipic: Man hört dort gut zu und beobachtet sehr viel. Man ist uns von der mentalen Belastungsfähigkeit und der Art und Weise, mit Druck umzugehen, überlegen. Wenn man dort zum Kaffee eingeladen wird, sollte man davon ausgehen, dass einem nicht die Wahrheit gesagt wird. Lädt man Sie jedoch zu einer Teezeremonie ein, dann ist klar, dass Sie als Mensch, als Freund, als Fachmann geschätzt werden und man ehrlich zu Ihnen ist. Ganz wichtig ist dabei die Sitzordnung, die den Stellenwert des Einzelnen in der Hierarchie abbildet. Wer wo sitzt, ist ganz entscheidend.
Stipic löffelte Suppen mit Schlangen und Hunden
Gibt es eine Anekdote, die Sie hinsichtlich dieser gesellschaftlichen Abläufe beeindruckt hat?
Stipic: Ich war mit unserem Präsidenten in einem Restaurant essen. Als wir fertig waren, kam plötzlich ein tätowierter, gepiercter Typ fast ohne Zähne und mit zahlreichen Narben am Körper an den Tisch, setzte sich dazu und redete auf den Präsidenten ein. Er hat nichts anderes gemacht als zuzuhören. Nach einer Stunde ist der Kerl aufgestanden, bekam Bargeld zugesteckt und ging. Daraufhin habe ich den Präsidenten gefragt, was das jetzt war. Er sagte, dass er diesen Typen sozusagen bestellt hat, damit er ihm von Gewalt, Sex, Drogen und allem Verruchten im Leben erzählt. Ihm ging es darum, sein inneres Ich und die eigenen Sehnsüchte zu befriedigen und dadurch nicht in Versuchung zu kommen, dasselbe tun zu wollen. Er meinte, alle Menschen hätten eine gute und eine schlechte Seite, die jeweils befriedigt werden müssen.
Und wo haben Sie einmal aufgrund der kulturellen Unterschiede ins Klo gegriffen?
Stipic: Nicht ins Klo, sondern in den Suppenbehälter. (lacht) Nach einer Trainingseinheit in Guangzhou bin ich ohne meinen Dolmetscher, der noch beim Duschen war und mir sonst immer gesagt hat, was es zu essen gab, ins Restaurant vorgegangen. Ich goss mir eine Suppe ein und habe sie schnell heruntergelöffelt. Als dann mein Dolmetscher und die Spieler kamen, empfahl ich allen diese gute Hühnersuppe. Daraufhin wurde mir entgegnet, dass das keine Hühnersuppe, sondern eine mit Schlange, Schildkröte und einem unter drei Monate alten Hund war.
Wie bitte?
Stipic: Ich habe es auch nicht geglaubt. Ich ging dann zum Behälter und habe dort tatsächlich den Panzer der Schildkröte und den Kopf des Hundes herausgelöffelt. Ich musste sofort nach draußen rennen und mich übergeben. Ich hasse vor allem Schlangen über alles. Mir war vier Tage lang schlecht und ich konnte in dieser Zeit allein wegen des Gedankens, was ich da gegessen habe, nichts mehr zu mir nehmen. Mir war schwindlig, ich hatte ständig Schweißausbrüche und habe acht Kilo abgenommen. Es war wie eine psychische Krankheit. Doch die Suppe hatte wirklich brutal gut geschmeckt. (lacht)
Wieso ist dies in Guangzhou und nicht in Nantong passiert?
Stipic: Marco Pezzaiuoli war bei Guangzhou Evergrande, dem besten Verein Chinas, Nachwuchskoordinator und -trainer. Wir sind innerhalb von mehreren Tagen zu Testspielen gegen seine zweite Mannschaft angetreten, die wir allesamt gewonnen haben. Dort ist auch eine unglaubliche Geschichte passiert, die für meinen weiteren Weg als Trainer noch mitentscheidend war.
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Ihre Geschichten sind ausgezeichnet, erzählen Sie bitte!
Stipic: Eigentlich hatten wir drei Partien vereinbart, doch Marco wollte am letzten Tag unbedingt noch ein weiteres Mal spielen. Ich hatte aber nur noch sieben Spieler, die sich nach den Belastungen der Vortage erklärt haben, aufzulaufen. Daher hat er mir ein paar Spieler für bestimmte Positionen ausgeliehen. Ich habe sie dann auch dort spielen lassen, während Marco mit seinen besten Akteuren antrat und zur Halbzeit 2:0 führte. Im Laufe des Spiels dachte ich, dass sein Stürmer doch viel besser in der Abwehr aufgehoben wäre. Also habe ich ihn nach hinten und einen seiner geliehenen Außenverteidiger in den Angriff gestellt. Am Ende haben wir 5:4 gewonnen - und seine Spieler haben die Tore erzielt. (lacht) Auf diese Weise haben wir uns kennengelernt. Er hat dann über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie ich arbeite. Als er technischer Direktor in Frankfurt wurde, holte er mich als Trainer zur U19 der Eintracht.
Zwischen Ihrem Ende in China und dem Beginn in Frankfurt lag über ein Jahr. Wie haben Sie das Abenteuer in Asien reflektiert?
Stipic: In dieser Phase habe ich sehr viel analysiert und nachgedacht. Man hatte mich als Trainer in eine Schublade gesteckt. Ich hatte das Gefühl, dass man bei mir nur die beiden Abstiege sah, aber nie wirklich im Alltag geschaut hat, wie ich mich sozial verhalte und technisch-taktisch arbeite. Ich habe es meiner Frau zu verdanken, dass ich aus diesem Loch herausgekommen bin.
In welcher Hinsicht?
Stipic: Damals nach meinem ersten Training in Hitzhofen habe ich einem kleinen Lokalblatt ein Interview gegeben. Ich habe gesagt, dass ich als Trainer hoch hinaus möchte, dabei sicherlich auch hinfallen, aber wieder aufstehen werde. Meine Frau hat dieses Lokalblättchen ohne mein Wissen aufgehoben und es mir dann nach fast zehn Jahren unter die Nase gehalten. Sie meinte: 'Guck' an, was du damals gesagt hast! Du musst weitermachen, wo ist dein Mut aus diesem Interview geblieben? Ich habe Vertrauen in dich, glaube an dich selbst.' Das war ein totaler Schlüsselmoment für mich. Sie hatte mich emotional durchgeschüttelt und mit ihren Worten Recht. Im Januar 2018 traf ich Marco Pezzaiuoli dann zufällig am Rande eines Spiels wieder. Wir sprachen über unsere Erfahrungen in China, als er mir auf einmal erzählte, dass er nach Frankfurt geht und mich haben möchte.
Haben Sie dann also ein Jahr Pause gemacht?
Stipic: Nein. Ein Agent, der Kontakte zum chinesischen Fußballverband besaß, hatte mich dort empfohlen. Daraufhin habe ich von August bis November 2017 als Berater für die chinesische U19-Nationalelf fungiert und mitgeholfen, das Team auf die Asienmeisterschaft in Indonesien vorzubereiten. Auf diesem Weg haben wir das Qualifikationsturnier in Kambodscha ohne Gegentor gewonnen. Anschließend hat mich mein Kumpel Goran Vucevic, ehemaliger Bundesligaspieler beim 1. FC Köln, 14 Tage beim FC Barcelona zur Hospitation bei Ernesto Valverde und in La Masia untergebracht.
Stipic: " Mein ganz klarer Auftrag war: Ausbildung!"
Im Sommer 2018 starteten Sie dann mit der U19 der SGE in die Saison. War dieser Weg zurück in den Jugendbereich nach Ihrer Zeit beim FC Ingolstadt ein Rückschritt für Sie oder gab es als Trainer der zweiten Mannschaft auch eine Perspektive in Richtung Profiteam?
Stipic: Es waren viele bekannte deutsche Trainer mit Profierfahrung in der Verlosung, daher habe ich mich sehr darüber gefreut, dass die Wahl auf mich fiel. In den Gesprächen mit Marco und Fredi Bobic wurde mir auch aufgezeigt, dass ich bei einem möglichen Abwerben von Adi Hütter in die engere Auswahl für seine Nachfolge käme, sollte ich bis dahin gute Arbeit abgeliefert haben. Das Gesamtpaket war für mich sehr attraktiv, daher war es für mich eher Fort- als Rückschritt.
Die Frankfurter U19 zählte zu den jüngsten Teams der Liga, einige Spieler mussten sich erst an die Bundesliga gewöhnen. In der Tabelle stand man daher meist im unteren Drittel, geriet aber nie in Abstiegsgefahr. Was war das Saisonziel?
Stipic: Mein ganz klarer Auftrag war: Ausbildung! Leute wie Marco, die die Ausbildung der Spieler unabhängig von Ergebnissen an erste Stelle setzen, sterben in Deutschland aus. Am Ende der Saison haben fünf Spieler des Teams einen Profivertrag erhalten, mit Innenverteidiger Felix Irorere hat sogar ein 15-Jähriger in der U19 gespielt. Natürlich ging es auch darum, nicht abzusteigen, doch solange wir einen gesicherten Tabellenplatz innehatten, lag das Hauptaugenmerk darauf, die Spieler weiterzuentwickeln.
Im März 2019 wechselten Sie dann überraschend zum akut abstiegsgefährdeten Grashopper Club Zürich. Wie kam es dazu und wie hat man bei der Eintracht reagiert, als Sie den Klub auf einmal mitten in der Saison innerhalb von vier Tagen verließen?
Stipic: Mich hat dieses Angebot einfach umgehauen - erst Recht, nachdem ich kapierte, was dahintersteckte. Der Rekordmeister der Schweiz wollte mich unbedingt haben. Von Frankfurter Seite hieß es zwar, ich solle geduldig bleiben und auf meine Chance warten, aber ich wollte die Grashoppers unbedingt trainieren. Daher habe ich darauf gepocht, den Vertrag aufzulösen. Manche haben mich verstanden und es mir gegönnt, manche leider nicht.
Stipic über seinen 34-Tage-Job in Zürich
Was steckte denn genau dahinter?
Stipic: Als ich Trainer in Aue war, schneite es dort zu Jahresbeginn 2015 heftig. Ich erfuhr, dass ein Jugendtrainer von Grashoppers mit seinem Team eine Deutschland-Tour machte und dringend einen Platz zum Trainieren suchte. Wir haben ihm dann unsere Halle zur Verfügung gestellt. Einer der Jungs aus dem damaligen GC-Trainerteam war Timo Jankowski, der 2018 Nachwuchschef in Zürich wurde. Wir freundeten uns an und ich habe ihm später geholfen, ein großes Curriculum zur Ausbildungsphilosophie der Grashoppers zu schreiben. Er hospitierte in Frankfurt ein paar Tage bei mir, beobachtete meine Arbeit und sprach ohne mein Wissen mit meinen Spielern über mich. Er gab dem GC-Präsidenten schließlich den Tipp, mich zu verpflichten.
Ihr Start in Zürich geriet gelinde gesagt turbulent. Das erste Spiel verlor man gegen den amtierenden Meister und Tabellenführer Young Boys Bern in der 95. Minute, die zweite Partie in Sion wurde am grünen Tisch mit 0:3 gewertet, nachdem GC-Fans wiederholt Feuerwerkskörper auf das Spielfeld geworfen hatten und die Begegnung daraufhin abgebrochen werden musste. Und dann wurde zehn Tage nach Ihrer Verpflichtung auch noch die gesamte Vereinsführung um Präsident Stephan Anliker entlassen.
Stipic: Bedauerlicherweise ist es so gekommen. Anschließend wurde eine neue Führung und ein neuer Aufsichtsrat installiert. Wir haben dann dreimal in Folge unentschieden gespielt, darunter das erste Zu-null-Spiel nach 15 Partien.
Eigentlich eine ordentliche Bilanz, wenn man bedenkt, dass Ihr Vorgänger Thorsten Fink vor seiner Entlassung nur einen Punkt aus zehn Spielen holte. Waren es politische Gründe, weshalb Sie bereits nach fünf Spielen und 34 Tagen im Amt wieder gehen mussten?
Stipic: Ja, zumindest wurde mir der positive sportliche Trend nicht vorgeworfen. Ich war eben nicht der Trainer der neuen Führung. Ich habe das extrem bedauert, da ich bei noch acht ausstehenden Spielen und fünf Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz sehr zuversichtlich war. Am Ende ist der Klub mit zwölf Punkten Rückstand zum ersten Mal nach 70 Jahren wieder abgestiegen. Ich bleibe dabei: Mit mir wären die Grashoppers definitiv nicht abgestiegen.
Sie kannten den Schweizer Fußball und Ihre künftigen Spieler zuvor kaum. Warum sagten sie dennoch zu?
Stipic: Ich hatte in Frankfurt eine Komfortzone. Ich stand noch zweieinhalb Jahre unter Vertrag, hatte keine sportlichen Sorgen, konnte in Ruhe reifen und auf den nächsten Schritt warten. Oder aber ich nehme in Zürich die Möglichkeit wahr, meine Vorgeschichte mit den beiden Abstiegen auszumerzen. Das war letztlich genau der Moment, auf den ich gewartet habe. GC lag komplett am Boden, das Selbstwertgefühl der Spieler war im Keller. Doch dort gab man mir die Chance, den Verein innerhalb von drei Monaten zu retten und mich auch wieder interessant zu machen. Ich habe mir gesagt, dass ich die Qualität und Resistenz dafür habe und immun gegen die Vorbehalte der Medien bin. Leider wurde mir diese Möglichkeit nach sehr kurzer Zeit genommen.
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Stipic: "GC war ein glamouröser Verein"
Gerade rund um Ihre Verpflichtung fragten sich viele in der Schweiz, wer denn dieser unbekannte Trainer sei. Wie sind Sie als Mensch damit umgegangen, dass man Sie fast wie einen Außerirdischen beäugte?
Stipic: Man hat als ausländischer Trainer in der Schweiz ein wenig das Gefühl, dass die Medien dort lieber ihre Landsmänner auf diesen Positionen sähen. Ich habe Ähnliches auch im deutschen Boulevard gelesen, als Young-Boys-Trainer Gerardo Seoane bei Gladbach im Gespräch war. Da stand geschrieben, weshalb es denn schon wieder einen ausländischen Trainer in der Bundesliga bräuchte und man müsste ja sogar einen Sprachkurs belegen, um seinen Namen auszusprechen. Ich war aber ungeachtet dieser Vorbehalte sehr entschlossen, weil ich einfach eine solch tote Mannschaft zum dritten Mal übernehmen wollte. Ich war mir sicher, nach meinen gemachten Erfahrungen der Richtige zu sein. GC war ein glamouröser Verein, es war genau die Bühne, die ich haben wollte. Ich bin diese Aufgabe mit viel Bescheidenheit und Demut angegangen und habe Tag und Nacht gearbeitet.
Hatte sich denn der Rückritt des Präsidenten für Sie angebahnt?
Stipic: Nein, das kam total überraschend.
Wie schnell haben Sie dann anschließend gemerkt, dass die neue Führung um Präsident Stephan Rietiker nicht auf Sie stand?
Stipic: Als er mich zu unserem ersten Gespräch einlud, hat er in kurzer Zeit mehrfach wiederholt, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte und bis Saisonende weiterarbeiten werde. Das kam mir aufgesetzt vor. Ich hatte ihn da schon ein wenig durchschaut, wie sich herausstellen sollte. Er hat das nach seiner Amtsübernahme auch vor der Mannschaft geäußert und gemeint, ich sei der beste Trainer, den man derzeit haben könne - und nach drei Unentschieden wurde ich dann entlassen. Ein Großteil der Mannschaft war fassungslos.
Stipic: "Ich hatte auch ein Angebot aus der deutschen 3. Liga"
Wie haben Sie reagiert?
Stipic: Ich war kein bisschen darauf vorbereitet. Vor allem, da wir in den drei letzten Spielen an Selbstverständnis und Stärke gewonnen hatten. Ich saß zu dem Zeitpunkt bei mir zu Hause und habe im Garten gearbeitet. Auf einmal rief der Präsident an und sagte, ich sei entlassen. Ich habe ihn gefragt, ob das ein Witz sei. Er meinte nur: Sie sind nicht mein Mann. Begründung gab es keine.
Würden Sie nun rückblickend betrachtet das Kapitel Zürich gerne aus Ihrer Vita streichen?
Stipic: Nein, ich würde es wieder genauso machen und bereue überhaupt nichts. Ich hatte in der kurzen Zeit gar nicht die Möglichkeit, Fehler zu machen und bin aus dieser Extremsituation total gestärkt hervorgegangen. Was ich mitnehme ist, dass es im Fußball manchmal am wenigsten um den Fußball selbst geht. Der ehrlichste Teil des Fußballgeschäfts findet immer auf dem Spielfeld statt. Ich bin ein markanter Trainer, dessen Berufung der Fußball ist. Leider empfinden viele im Fußball tätige Menschen ihn nicht als Privileg, sondern als Mittel zum Zweck, um ihre Macht zu steigern. Es geschieht viel im Verborgenen, sodass Interessenkonflikte häufig an der Tagesordnung sind.
Wie sind Sie anschließend mit dem frühen Aus umgegangen?
Stipic: Zürich war für mich eine gute Erfahrung, daher habe ich auch ein gutes Gefühl mitgenommen. Eine Woche nach meiner Entlassung hätte ich bei HJK Helsinki in Finnland unterschreiben können. Ich hatte auch ein Angebot aus der deutschen 3. Liga, zudem haben sich Klubs aus der Schweiz, China und Saudi-Arabien gemeldet. Ich wollte mir aber Zeit lassen.
"Bei uns spielt Jeffren Suarez, der 34 Spiele für Barcelona gemacht hat"
Mittlerweile arbeiten Sie erstmals in Ihrem Heimatland Kroatien bei Slaven Belupo, einem Klub aus der Stadt Koprivnica, die mit 30.000 Einwohnern rund 70 Kilometer nordöstlich von Zagreb an der Grenze zu Ungarn liegt. Was war ausschlaggebend für diesen Wechsel?
Stipic: Ich wollte Erstligatrainer bleiben. Die Bindung zu meinem Heimatland war natürlich ein Faktor, meine Eltern wohnen wieder dort. Die kroatische Liga genießt auf dem internationalen Trainermarkt zudem einen sehr guten Ruf, auch die Aussicht auf eine Teilnahme am internationalen Geschäft ist gegeben. Ich habe im Sommersrcaub mit meiner Familie zufällig den Sportdirektor in einem Restaurant kennengelernt. Er wusste nicht, dass ich Trainer bin und ich wusste nicht, dass er Sportdirektor ist. Als er später einen Trainer suchte, meldete er sich bei mir.
Was für ein Verein ist Slaven Belupo?
Stipic: Ein sehr familiärer und stabiler Werksklub mit einem einzigen Sponsor namens Podravka. Das ist ein Nahrungsmittelkonzern, der zusammen mit dem Pharmazeutikunternehmen Belupo 8000 Menschen beschäftigt. Von der fußballspezifischen Qualität ist das die beste Mannschaft, die ich je trainiert habe. Bei uns spielt Jeffren Suarez, der 34 Spiele für Barcelona gemacht hat und 2010 im Clasico traf, oder die kroatische Stürmer-Legende Ivan Krstanovic, der fast 100 Tore in der Liga geschossen hat. Das Niveau ist wirklich ausgezeichnet, alle Stadien haben Hybridrasen und der Ball läuft schnell. Hier gibt es definitiv bessere Individualisten mit größeren technischen Fertigkeiten als in der ersten Schweizer Liga.
Auch wenn Sie im Profibereich mit noch keiner Ihrer Mannschaften eine gemeinsame Sommervorbereitung absolviert haben und Sie nun zum vierten Mal eine Mannschaft im Abstiegskampf übernahmen, ist in Koprivnica ein Aufschwung zu erkennen: Der Vorsprung das rettende Ufer wurde seit Ihrer Amtsübernahme von drei auf neun Punkte ausgebaut. Dazu steht man im Pokal-Halbfinale und hat bei einem Einzug ins Endspiel die Chance, im nächsten Jahr in der Europa-League-Qualifikation zu spielen.
Stipic: Ja, es läuft gut. Das habe ich mir jetzt auch einmal verdient. (lacht) Als ich kam, standen wir auf dem letzten Tabellenplatz und hatten die mit Abstand schlechteste Abwehr sowie den schwächsten Angriff. Doch das hat mich schon in Zürich nicht gestört, ganz im Gegenteil. Nun haben wir vor der Coronapause acht Punkte aus den letzten fünf Partien geholt. Ich freue mich riesig auf die erste gemeinsame Saisonvorbereitung und darauf, die Mannschaft über den Sommer hinweg strukturieren und formen zu können.
Stipic: "Es war wie eine Fata Morgana"
Wie einst in Zürich verloren Sie auch dort Ihr erstes Spiel in der 90. Minute. Die zweite Partie bei Hajduk Split ging dann um die Welt: Ihre Mannschaft erzielte das vermeintliche 1:1 in der Schussviertelstunde, doch der Ball war gar nicht im Tor . Während Ihre Mannschaft mit dem Jubeln beschäftigt war, fuhr Hajduk einen Konter und traf zum 2:0. Was war genau passiert?
Stipic: Es war wie eine Fata Morgana. Die Sonne stand tief hinter dem Tor, deshalb hat keiner die finale Flugbahn des Balles wirklich gesehen. Unser Stürmer hat schon gejubelt, als der Ball noch in der Luft war. Dann hat das Netz gewackelt, sodass alle dachten, der Ball wäre drin. Wir haben uns in der Halbzeit geschworen, dass wir die Partie drehen können, weil wir die bessere Mannschaft waren. Wir waren so positiv aufgeladen, dass unser Torwart nach dem vermeintlichen Ausgleich einfach überreagiert hat und aus seinem Kasten in Richtung Bank rannte, während der Gegenangriff lief. Doch das hatte letztlich auch etwas Gutes: Anschließend blieben wir sieben Spiele in Folge ohne Gegentor. (lacht)
Herr Stipic, als Sie im September 2014 in Aue erstmals als Trainer im Profibereich auftauchten und am Saisonende abstiegen, lösten Sie den Vertrag auf eigenen Wunsch auf. Wenn Sie nun auf die seitdem vergangene Zeit zurückblicken: Ist es dieser Rücktritt, den Sie am meisten bereuen?
Stipic: Ja. Ich bin dankbar und froh über alle Erfahrungen, die ich seitdem gemacht habe. In Aue hatte ich aber alles, um als Mensch und Trainer glücklich zu sein: Der Verein stand bedingungslos hinter mir, von den Fans habe ich große Unterstützung erfahren und die Werte der Leute waren deckungsgleich mit meinen.