Anmerkung: Dieser Artikel erschien erstmals am 12. April 2016 und wurde aufgezeichnet, bevor die Warriors ihre 73-Siege-Saison perfekt machten. Alle weiteren Artikel zur Jordan-Week auf SPOX findet Ihr hier .

Mr. Harper, Sie haben mal bei Twitter geschrieben, Ihr früheres Bulls-Team würde die 2016er-Warriors sweepen beziehungsweise locker besiegen. Sind Sie wirklich dieser Ansicht?

Ron Harper: Ich habe großen Respekt für das, was die Warriors in der Saison 2015/16 beziehungsweise in den zwei Jahren zuvor geleistet haben. Sie sind ein richtig gutes Team mit starken Spielern und spielen beeindruckenden Basketball. 72 Siege holt man nicht einfach so, das kann ich Ihnen sagen.

Aber es bleibt dabei, dass die Bulls in einer Serie gewinnen würden?

Harper: Für mich ist das die falsche Frage, die da von den Journalisten immer wieder gestellt wird.

Welche Frage würden Sie denn lieber hören?

Harper: Man sollte fragen, wie viele Siege unser Bulls-Team in der aktuellen NBA holen könnte. Ich kann keine genaue Zahl sagen, aber es wären sicher nicht wenige. Wir hatten den besten Spieler aller Zeiten in unseren Reihen, mit Dennis Rodman einen der besten Rebounder aller Zeiten, mit Scottie Pippen einen der besten Small Forwards aller Zeiten. Dazu noch einen tollen Scorer mit Toni Kukoc. Ich bin der Meinung, dass wir insgesamt ein kompletteres Team hatten. Wir waren das beste Defensiv-Team der Liga und haben fast nie den Ball verloren. Die Warriors sind klasse, aber sie verlieren sehr häufig den Ball. Wer das gegen uns tat, hatte selten eine Chance.

Ron Harper: "Unser Bulls-Team hätte in jeder Ära funktioniert"

Dann sind Sie der Meinung, dass Golden State von einer schwächeren Liga profitiert hat?

Harper: So würde ich das nicht direkt sagen. Es ist nur einfach eine ganz andere Liga, eine andere Ära als damals. Nur ein Beispiel: In den 90ern war es außergewöhnlich, wenn ein Team mal 15 Dreier in einer Partie versuchte. Bei den Warriors waren es eher 35 Versuche pro Spiel, und das entspricht eben der aktuellen Zeit. Inside-Game gibt es nur noch selten, alle Teams wollen werfen, werfen, werfen. Aber kein anderes Team hat diese Qualität beim Shooting wie Golden State, damit stechen sie sehr heraus. Wie gesagt: Die NBA ist deswegen nicht unbedingt schlechter, nur eben sehr anders als zu unserer Zeit.

Ist es dann fair zu sagen, dass die Warriors Ihrer Meinung nach mit der Umstellung auf 90er-Jahre-Basketball größere Probleme hätten als die Bulls auf den heutigen Stil?

Harper: Unser Bulls-Team hätte in jeder Ära funktioniert! Da würde ich mir überhaupt keine Gedanken machen, da wir wie gesagt so ausgeglichen und vielseitig besetzt waren. Da hätte ich bei den Warriors so meine Zweifel.

Sie halten die Dubs nicht für ausgeglichen und vielseitig?

Harper: Lassen Sie es mich so sagen: Glauben Sie, dass diese 2016er-Warriors die Suns mit Charles Barkley, Tom Chambers und Kevin Johnson stoppen könnten? Dass Sie eine Antwort auf Karl Malone hätten, auf MJ oder auf Magic Johnson?

Ron Harpers Karrierestatistiken

Teams Spiele Minuten Punkte Rebounds Assists FG% 3FG% Cavaliers 228 35,2 19,4 4,7 5,1 47,4 22,6 Clippers 304 37,7 19,3 5,5 4,8 43,6 30,0 Bulls 350 24,4 7,9 3,0 2,6 43,2 29,8 Lakers 127 25,0 6,8 4,0 3,0 42,3 29,2

Ist nicht gleichzeitig die Frage fair, wie diese Teams mit dem Small-Ball der Warriors umgegangen wären?

Harper: Ich würde mir da keine großen Gedanken machen. Es ist ja nicht so, dass wir Small-Ball damals nicht gekannt hätten oder dass wir nicht gelegentlich auch mal kleiner gespielt hätten. Small-Ball gab es durchaus, es war nur nicht so praktikabel gegen die dominanten Inside-Spieler unserer Zeit. Aber wir konnten uns auf verschiedene Gegner sehr gut einstellen. Ich glaube nicht, dass die Warriors das ebenso schaffen würden.

Sehen Sie trotz allem Parallelen zwischen Ihrem Team und den Warriors von 2015/16? Immerhin besteht der Klub der 72-Siege-Teams nur aus Ihnen beiden.

Harper: Durchaus, ich schaue mir ihre Spiele auch gerne an. Sie spielen intelligenten Basketball und nutzen ihre eigenen Stärken sehr gut aus. Sie spielen als Team und was mich vielleicht am meisten an uns erinnert: Sie wirken dabei so, als hätten sie richtig viel Spaß am Spiel und umso mehr Spaß dabei, zu dominieren. In der Hinsicht erinnern sie mich wirklich an uns.

Harper: "War nicht nur eine Saison, in der alles gepasst hat"

Ich wollte als nächstes danach fragen, was der Schlüssel dabei ist, die ganze Saison über so fokussiert zu bleiben. Ist es wirklich dieser Spaß-Faktor? So eine 82-Spiele-Saison kann sich sonst doch extrem in die Länge ziehen, oder?

Harper: Absolut. Wir hatten damals ja kein bestimmtes Ziel im Kopf, wie viele Siege wir holen wollten. Wir sind einfach jeden Tag rausgegangen und wollten unser Bestes geben. Wir hatten einfach diese Mentalität, dass wir jedes Spiel gewinnen wollten. Das darf man ja nicht vergessen: Wir haben 1996 72 Siege geholt, ein Jahr später waren es aber auch 69 - das war vorher der NBA-Rekord! Es war also nicht nur eine Saison, in der alles gepasst hat. Wir haben geliebt, was wir taten. Anders kannst du meiner Meinung nach nicht so viele Spiele gewinnen.

Spielte es denn trotzdem auch eine Rolle, dass Sie 1995 in den Playoffs gegen Orlando verloren hatten? Das war in den 90ern ja eigentlich nicht mehr vorgesehen, wenn Michael Jordan beteiligt war ...

Harper: Das ist richtig. MJ war während der Saison vom Baseball zurückgekehrt und wir hatten in den Playoffs noch nicht diesen Groove, den wir gebraucht hätten. Das hat unter uns allen noch ein zusätzliches Feuer entfacht. Wir mussten danach etwas richtig stellen. Wir mussten beweisen, dass wir eigentlich das beste Team waren.

Ist das Ihrer Meinung nach vergleichbar mit den Warriors? Sie waren zwar der amtierende Champion, trotzdem wurde von allen Seiten immer wieder von Glück gesprochen. In der Saison 2015/16 haben sie nochmal einen Sprung gemacht.

Harper: Das kann schon sein. Dieses ganze Gerede hat sogar mich gestört, also kann ich mir vorstellen, dass es die Warriors umso mehr genervt hat. Sie haben den Ring geholt, damit sollte eigentlich alles klar sein und das sollte auch jeder so anerkennen, irgendwie ist das aber nicht passiert. Mal sehen, ob sie den Repeat schaffen können (Golden State verlor am Ende der Saison in sieben Spielen in den Finals gegen die Cavaliers, Anm. d. Red.).

In der Saison 2015/16 war von einigen früheren Bulls-Spielern und auch von Coach Phil Jackson zu hören, dass sie den Warriors die Daumen drücken und auf Sieg Nummer 73 hoffen. Spielt die Verbindung zu Steve Kerr da eine Rolle?

Harper: Nein, der Grund ist ganz einfach: Es ist uns egal. Wir sind davon ausgegangen, dass der Rekord irgendwann fallen würde. So ist das mit Rekorden einfach, das hat Steve ja selbst gesagt. Uns ging es nie um solche Rekorde, sondern um Meisterschaften und da muss sich keiner von uns verstecken. MJ hat sechs Ringe, Scottie auch. Ich habe fünf. Das war alles, was uns jemals interessiert hat. Hardware. Wenn wir '98 nicht auseinander gegangen wären, hätten es auch noch einige mehr werden können.

© GEPA

Lakers vs. Warriors? "Shaq würde ihren Spielstil zerstören"

Immerhin ging es für Sie damals ja erfolgreich weiter - nach einem Jahr ohne Titel holten Sie direkt zwei weitere mit den Lakers.

Harper: Das stimmt, und das war meiner Meinung nach auch ein Team, über das im historischen Vergleich zu selten gesprochen wird. Ich meine, 2001 haben wir in den Playoffs genau ein einziges Spiel verloren. Und da wir über die Warriors sprechen: Shaq würde ihren Spielstil komplett zerstören. Und das in Kombination mit Kobe? Keine Chance!

Als Golden State im letzten Saisonspiel den Siegerekord gebrochen hat, hat Kobe Bryant gleichzeitig das letzte Spiel seiner Karriere absolviert. Wie haben Sie die Abschiedstour Ihres alten Kollegen erlebt?

Harper: Ich habe mich für ihn gefreut. Er schien mir im Reinen zu sein mit seiner Entscheidung, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Man muss eben irgendwann auf seinen Körper hören. Es schien mir, als wäre er in der Lage, das Ganze mehr zu genießen und sich langsam zurückzulehnen. Der Junge hatte jedes Recht dazu, stolz auf sich zu sein. Was für eine Karriere.

Ron Harper über Bulls-Ära: "So schlimm war MJ gar nicht"

Mit ihm ging der vielleicht letzte Basketball-"Psychopath", wie er es selbst nannte. Auch Jordan galt als jemand, der für seine Mitspieler häufig nicht gerade ein angenehmer Zeitgenosse war. Steve Kerr wurde sogar mal von ihm geschlagen. War MJ wirklich so ein Rüpel?

Harper: Ich kenne natürlich die Stories, aber in meiner Zeit in Chicago habe ich ihn ganz anders erlebt. Er war ja auch schon gereift und hatte viel erlebt, Erfolge wie auch Misserfolge. So schlimm war MJ gar nicht. Die Nummer mit Steve habe ich mitbekommen, aber man muss auch erwähnen, dass Steve ja ebenfalls einen Punch gelandet hat (lacht). Im Ernst: MJ hat viel von seinen Mitspielern erwartet, weil er selbst so einen exzellenten Standard vorgelebt hat. Er kam jeden Tag zur Arbeit und investierte alles, was er hatte, und genau das sollten wir auch tun. Das war in unserer Gruppe aber auch kein Problem. Wir alle hatten diesen Drive, diesen Fokus. Wir haben uns gegenseitig sehr gepusht. Häufig waren unsere Trainingseinheiten härter als die richtigen Spiele, weil wir einfach alle diese Mentalität verinnerlicht hatten.

Und so stellt man dann Rekorde auf ... Hatten Sie damals dennoch auch Spiele, in denen das Team eigentlich nicht perfekt drauf war, aber irgendwie doch einen Weg fand, um zu gewinnen? Die Warriors hatten dies beispielsweise in ihrer 73-Siege-Saison ...

Harper: Nein, nein, nein, nein, nein, nein. Überhaupt nicht. Wir haben damals extrem viele Blowouts eingefahren. In der ganzen Saison gab es vielleicht zehn wirklich knappe Spiele. Ich kann respektieren, dass sie auch so viele Siege geholt haben. Aber ganz ehrlich: Wir haben uns dabei nicht schwer getan (lacht).