Außerdem erzählt er, weshalb die Verpflichtung vom "enorm selbstbewussten" Kevin-Prince Boateng im Jahr 2013 Gold wert war, wie Roberto Di Matteo reagierte, wenn ein Tor beim Trainingsspiel um 60 Zentimeter nicht auf dem richtigen Platz stand und mit welchen Mitteln man versuchte, die Stimmung bei Galatasaray zu simulieren.

Herr Hübscher, war Fußball bei Ihnen schon immer die Nummer eins?

Sven Hübscher: Ich habe in der F-Jugend angefangen und bin über Freunde zu einem Verein gekommen. Meine Eltern haben immer wieder versucht, mir auch Sportarten mit mehr Eigenverantwortung nahezubringen. Da wurden teilweise sechs Wochen Tennisstunden bezahlt und anschließend bin ich trotzdem wieder zum Fußball gegangen.

Ihre aktive Karriere mussten Sie sehr früh aufgrund einer Sprunggelenksverletzung beenden. Wie erfolgreich waren Sie als Spieler?

Hübscher: Die positive Antwortvariante lautet: semi-erfolgreich. Damals gab es noch keine Junioren-Bundesliga. Die Westfalenliga war die höchste Spielklasse und dort habe ich auch gespielt, jedoch nur bei den weiter unten platzierten Vereinen. Als Spieler war ich limitiert, vielleicht wurde ich deshalb zum richtigen Zeitpunkt zu meinem Glück gezwungen. Als Kind und Jugendlicher träumt jeder davon, Profifußballer zu werden, aber der talentierteste Spieler war ich nie und nach der Verletzung hatte sich das Thema endgültig erledigt.

Wann dachten Sie erstmals über den Trainerberuf nach?

Hübscher: Zur Zeit meiner Verletzung habe ich beim DSC Wanne-Eickel gespielt. Unser Trainer hat mir während meiner Reha verschiedene Aufgaben aufgetragen und mich damit in diese Richtung gelenkt. Anfangs war ich beispielsweise für unsere Torhüter zuständig, dafür habe ich mich eingelesen und mir selbst Übungen überlegt. Ein richtiges Torwarttraining gab es damals in diesem Bereich nicht. Zunächst habe ich noch auf ein Comeback als Spieler gehofft, als unser U15-Trainer jedoch einen Schlaganfall erlitten hat, bin ich als hauptverantwortlicher Coach eingesprungen. Knapp vier Monate später saß ich auf Schalke zum Bewerbungsgespräch.

Wie kam es dazu?

Hübscher: Wir haben mit unserer U15 zweimal gegen Schalke gespielt. Nach dem zweiten Spiel kam der Schalker Trainer zu mir und fragte: "Hast du nicht Lust, nächstes Jahr mit mir zusammenzuarbeiten?" Ab diesem Zeitpunkt ging alles sehr schnell.

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Hübscher: Schalke-Bewerbungsgespräch? "War völlig perplex"

Sie wurden also als Trainer entdeckt?

Hübscher: Kann man so sagen. Wir haben gegen Schalke ein richtiges gutes Spiel abgeliefert, davon war er sehr angetan und deshalb hat er mich wohl angesprochen.

Wie darf man sich ein Bewerbungsgespräch als Jugendtrainer bei einem Bundesligisten vorstellen?

Hübscher: Es fand bei Helmut Schulte (ehemaliger Leiter der Nachwuchsabteilung; Anm. d. Red.) im Büro statt. Er fragte mich nach etwas Smalltalk ganz simpel: "Was ist das Wichtigste für dich am Fußball?" Ich war erstmal völlig perplex. Im Vorfeld hatte ich mich auf viele Detailfragen vorbereitet, aber nicht auf so eine allgemeine Fragestellung. Meine Antwort lautete spontan: Spaß. Das wollte er offenbar hören und kurze Zeit später war ich Co-Trainer der U13.

Wie viel Zeit beansprucht diese Stelle?

Hübscher: Nach meiner Ausbildung bin ich direkt in Teilzeit gestartet und fand mich in der Regel nachmittags auf dem Schalker Trainingsgelände ein. Die Stelle war natürlich nicht wirklich gut bezahlt, sodass mein Vater mich mit Spritgeld unterstützen musste und das auch gerne tat.

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Hübscher erzählt von Mourinhos 'Bible of guided discovery'

Gab es in Ihren ersten Jahren bei Schalke ein prägendes Erlebnis?

Hübscher : Ich habe schon immer nach Höherem gestrebt und mich mit dem Posten als Co-Trainer der U13 nicht zufrieden gegeben. Ich wollte mich immer weiterentwickeln und wurde von meinen Eltern dazu animiert, das zu machen, worauf ich Lust habe. Gott sei Dank war ich damals so frech, eine Hospitation bei Arsenal und Chelsea auf eigene Kosten zu machen. Ich habe die beiden Klubs einfach angeschrieben und eine positive Antwort erhalten. Bei Arsenal haben sie mich an der kurzen Leine gehalten, bei Chelsea hingegen bekam ich einen Einblick in alles. Ich durfte das Profitraining beobachten, saß in der Mensa mit Jose Mourinho an einem Tisch und durfte die Unterlagen begutachten, die Mourinho damals der Jugendabteilung zur Verfügung stellte. 'Bible of guided discovery' nannte er das.

Was stand darin geschrieben?

Hübscher: Es war alles, was er vom Fußball wusste und dachte und beinhaltete unter anderem auch, welche Übungen jeder Jugendspieler beherrschen muss, falls er mal bei den Profis mittrainieren darf. Das war zu dieser Zeit ziemlich beeindruckend für mich. England war vor knapp 15 Jahren in der Nachwuchsarbeit weiter als Deutschland.

Inwiefern?

Hübscher: Bei uns befanden sich die Leistungszentren erst in der Planung oder im Bau, Chelsea hatte bereits eines auf einem sehr modernen Gelände. Ich halte mich eigentlich für ein ganz pfiffiges Kerlchen, aber ich habe es nicht geschafft, die Sportplätze zu zählen. Das Areal war so riesig - unfassbar. In der Woche, die ich dort verbracht habe, konnte ich erkennen, dass gute Nachwuchsarbeit betrieben wird. Mourinho hat beispielsweise mit Spielern der U17 oder U19 gefrühstückt und sich mit ihnen unterhalten, aufgrund des Geländes waren die Wege kurz. Für mich war das alles Neuland. Nach außen gibt Mourinho ja oft den Coolen und Unnahbaren, aber intern kam er für mich komplett anders rüber. Er ging auf die Jugendspieler zu und suchte das Gespräch.

Konnten Sie einen Einblick gewinnen, worauf er damals besonderen Wert legte?

Hübscher: Gerade das Umschaltverhalten in beide Richtungen gepaart mit bewusstem Defensiverhalten war ihm sehr wichtig. Darauf waren seine Übungen ausgelegt. Sowohl für die Profis als auch für die Jugendspieler sollte das die Grundlage sein. Auch das Spielsystem sollte bei allen Mannschaften möglichst dasselbe sein, um einen nahtlosen Übergang zu gewährleisten. Letztendlich verhalf mir diese Erfahrung zum ersten Austausch mit Norbert Elgert.

Erzählen Sie.

Hübscher: Nach meiner Rückkehr aus London wollte er sich unbedingt austauschen, er war schon immer sehr interessiert an fremden Trainingsmethoden und deshalb gespannt auf meine Einblicke. So kam der erste Kontakt zustande, um später sein Co-Trainer in der U19 zu werden.

Wie sehr unterscheiden sich die Aufgabengebiete eines Co-Trainers in der U13 und der U19?

Hübscher: Die U19 ist viel näher am Profibereich. Es geht also in erster Linie darum, den Jungs den letzten Schliff zu geben. Norbert und ich haben als Team gearbeitet, er hat mich voll eingebunden und mir von Tag eins große Verantwortung übertragen. Eineinhalb Stunden vor dem Training haben wir uns meistens getroffen, um die Einheit im Detail durchzusprechen. Dabei hat er mir meine Aufgaben klargemacht. Gefühlt hat er mich jeden Tag überfordert, aber das hat mich letztlich in meiner Entwicklung weitergebracht. In der U13 ist es im Vergleich zur A-Jugend mehr Ausbildungsfußball, dort sollen den Jungs die Grundlagen mitgegeben werden.

Hat Sie in ihrer U19-Zeit ein Spieler besonders beeindruckt?

Hübscher: Benedikt Höwedes war Kapitän und absolute Führungspersönlichkeit. Schon in der U19 war sein Coaching auffallend. Während die meisten Spieler zurückhaltend waren, hat er immer den Mund aufgemacht. Damit hat er sich viel Stress erspart, weil er viele potenzielle Probleme frühzeitig verhinderte.

Welchen Einfluss hatte Elgert auf den Trainer Hübscher?

Hübscher: Ich habe stark von ihm profitiert und konnte mir viele Dinge für meinen Stil abschauen. Ich hatte zwar ein Ziel vor Augen, aber keine Ahnung, ob ich es jemals so weit bringen würde. Er war jemand, der sich immer neue Inspirationen gesucht hat. Zu dieser Zeit ohne Internet war das nicht so einfach wie heute. Diesbezüglich war er mit seinem Ordner voller Ideen seiner Zeit voraus. In Sachen Trainingsaufbau greife ich heute noch auf Elemente zurück, die er damals verwendete.

Hübscher: "Max kam in Dortmund kreidebleich zur Bank"

Die U23 war Ihr nächster Schritt. Wie sehr ist diese Altersklasse wirklich die Schnittstelle zwischen Profis und Jugendbereich?

Hübscher: Das sollte man individuell betrachten. Für viele Spieler kann die U23 extrem wichtig sein. Philipp Max beispielsweise kam damals über die U23. Es gibt Spieler, die mit 20 oder 21 noch einen größeren Entwicklungsschritt machen. Für sie ist die Spielpraxis elementar und durch nichts zu ersetzen. Max gehört heute zu den begehrtesten Linksverteidigern Deutschlands, damals kam er über zwei Spielzeiten bei der U23 zu den Profis.

Wie lief das genau ab?

Hübscher: Wir verhalfen ihm in der Rückrunde 2013/14 bei unserem Spiel in Dortmund zu seinem Bundesligadebüt, nachdem er zuvor über 50 Spiele in der Regionalliga absolviert hatte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er kreidebleich zur Bank kam, weil er gleich vor 80.000 Zuschauern spielen würde. Für mich ist er das perfekte Beispiel, dass die U23 wichtig ist. Nicht jeder schafft den Sprung von der U19 zu den Profis. Für Jungs in diesem Alter ist Spielpraxis durch kein Training zu ersetzen.

Max war nicht der einzige heute namhafte Spieler bei Ihnen in der U23.

Hübscher: Da gab es einige, vor allem in der Zeit von Felix Magath. Der Profikader war damals riesig, also kamen regelmäßig Spieler zur zweiten Mannschaft runter. Zwischendurch hatten wir 38 Spieler im Training. Michael Boris (damaliger U23-Trainer; Anm. d. Red.) hat teilweise das Abschlusstraining mit 20 Mann geführt, die restlichen 18 Spieler trainierten gleichzeitig bei mir in der Fußballhalle.

Nach einem halben Jahr als Trainer der U16 wurden Sie im Januar 2013 schließlich Co-Trainer unter Jens Keller bei den Profis. Wie haben Sie davon erfahren?

Hübscher: Wir hatten mit der U16 das letzte Training vor der Winterpause und ich stand gerade in einem Restaurant in Gelsenkirchen, um für meine Jungs Pizza zu besorgen. Plötzlich klingelte mein Handy und ich sollte in die Geschäftsstelle kommen. Ich fuhr dann mit der Vorstellung hin, den U17-Trainerposten von Jens Keller übernehmen zu dürfen. Angekommen im Büro sagte mir Horst Heldt, dass ich ab Januar bei den Profis dabei sein werde. Das konnte ich im ersten Moment gar nicht fassen.

Gab es zuvor schon Kontakt zu den Profis?

Hübscher: Ja, im Rahmen meines Fußballlehrers habe ich bei ihnen hospitiert. Außerdem bin ich als U16-Trainer auf Huub Stevens zugegangen und habe ihm angeboten, mich während Champions-League-Reisen um die Spieler zu kümmern, die nicht im Kader standen. Zuvor hatten diese während der zwei Tage nämlich nur Athletiktraining und haben ein paar Runden Basketball gespielt. Stevens und Heldt hat meine Idee gefallen, sodass ich einen ersten Draht zu den Profis aufgebaut habe.

Sind Sie mit ihrem Lernwillen auch mal angeeckt?

Hübscher: Das nicht, aber ich erinnere mich an ein Gespräch mit Schulte und dem damaligen Chefscout zu meiner U13-Zeit. Dabei wurde ich gefragt, wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Meine Antwort lautete, dass ich Fußballlehrer werden und hauptberuflich im Fußball arbeiten will. Als ich meinen Fußballlehrer Jahre später abgeschlossen hatte, rief mich der Chefscout von damals, zu dem ich bestimmt zwei Jahre keinen Kontakt hatte, an. Er gratulierte mir und entschuldigte sich gleichzeitig. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wofür. Dann verriet er mir, dass er nach dem Gespräch damals zu Schulte sagte, er habe noch nie so einen Bekloppten, der als U13-Co-Trainer vom Fußballlehrer spricht, gesehen.

Welche Aufgaben übernimmt man als Co-Trainer in der Bundesliga genau?

Hübscher: Ein Co-Trainer macht die gleichen Dinge wie ein Cheftrainer. Trainingsplanung, -vorbereitung, -nachbereitung, Videoanalyse und vieles mehr. Ansprachen vor der Mannschaft hält in der Regel der Chefcoach, auch die Öffentlichkeitsarbeit wird bekanntermaßen von ihm übernommen. Es kommt durchaus öfter vor, dass Co-Trainer die Trainingseinheit planen, während der Cheftrainer Pressetermine wahrnehmen muss. Anschließend schaut er über den Plan und segnet ihn ab oder nimmt gegebenenfalls Änderungen vor. Generell ist man bei allen Entscheidungsprozessen beteiligt, die Entscheidungsgewalt liegt aber logischerweise immer beim Hauptverantwortlichen.

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Hübscher: "Ließen Kolasinac nach dem Training 40 Flanken schlagen"

Wie läuft es am Spieltag?

Hübscher: Am Spieltag waren neben dem Aufwärmen die Standardsituationen eine meiner Aufgaben. Dabei geht es darum, alles nochmal durchzusprechen und eine klare Zuteilung festzulegen. Auch bei Auswechslungen musste man diesbezüglich immer wachsam sein. Ersetzt ein 1,70 Meter großer Spieler einen 1,95-Meter-Mann, kann der vermutlich nicht dessen Aufgabe bei Standards übernehmen.

Wie bereitet man sich auf besonders kopfballstarke Gegenspieler vor?

Hübscher: Wir hatten das Problem damals mit Naldo, als der noch bei Wolfsburg spielte. Man fragt sich dann, ob oder wie man die Raumdeckung auflöst, um ihn in Manndeckung nehmen zu können. Das alles ist auch unter der Woche Thema im Training. Hierbei kommt es immer auch auf die Meinung der Spieler an. Mit welcher Variante fühlen sie sich am wohlsten? Kommt aus der Mannschaft ein Lösungsvorschlag? Das wird vor jedem Spiel neu diskutiert.

Kann es vorkommen, dass ein Spieler wegen seiner Kopfballschwäche nicht eingewechselt wird?

Hübscher: Auf jeden Fall. Wenn du merkst, dass der Gegner gerade aufrüstet und beispielsweise zwei weitere Kanten einwechselt, reagiert man gegebenenfalls darauf und wechselt ebenfalls einen physisch stärkeren Spieler ein. Der Gegner setzt ja offensichtlich mehr auf Standards oder lange Bälle, da muss körperlich dagegengehalten werden.

Wie können sich Außenstehende den Tagesablauf eines Co-Trainers in der ersten Liga vorstellen?

Hübscher: Wenn um zehn Uhr Training angesetzt war, kam ich meistens um 7.30 Uhr zur Anlage. Zunächst stand das Frühstück auf dem Programm. Anschließend zog sich der Trainerstab zur Vorbesprechung zurück. Dabei gibt auch der Physiotherapeut seine Einschätzung ab, welche Spieler trainieren können oder wer lieber Einzeltraining oder gar eine Pause machen sollte. Danach werden die Trainingsinhalte besprochen.

Wie ist es nach dem Training?

Hübscher: Da übernehme ich als Co-Trainer einzelne Spieler, um positionsspezifisch mit ihnen zu arbeiten. Sead Kolasinac beispielsweise spielte früher zentral. Nach seiner Umschulung zum Linksverteidiger ließen wir ihn nach dem Training oftmals 30 oder 40 Flanken schlagen, um die Qualität zu verbessern. Auch nach der Einheit stehen noch einige Besprechungen und Analysen an, ehe man dann gegen fünf oder sechs Uhr langsam an Feierabend denken kann.

Inwiefern soll ein Co-Trainer einen anderen Blick auf das Geschehen haben?

Hübscher: Das variiert von Cheftrainer zu Cheftrainer. Bei Jens Keller war es so, dass er sich auf unsere Mannschaft konzentrierte während eines Spiels, ich hingegen sollte auf den Gegner achten. Welche Formation spielen sie? Gibt es Überraschungen bei den Positionen? Wo hat der Gegner Probleme? Wo haben sie zu große Abstände, die wir nutzen können? Beide Mannschaften als einzelne Person im Blick zu haben, ist meiner Meinung nach unmöglich. Letztlich gibst du als Assistent dem Trainer Input. Was er damit macht, entscheidet natürlich nur er selbst. Ich mache mir während des Spiels beispielsweise sehr viele Notizen zu seinen als auch meinen Eindrücken, die dem Cheftrainer bei seiner Halbzeitansprache als Hilfestellungen dienen.

Ein Co-Trainer gilt oft auch als Bindeglied zwischen Trainer und Mannschaft. Gab es Spieler, zu denen Sie einen besonders guten Draht hatten?

Hübscher: Mit vielen Spielern habe ich heute noch Kontakt. Letztens war ich noch bei Joel Matip in Liverpool zum Champions-League-Rückspiel gegen Atletico. Auch mit Roman Neustädter tausche ich mich regelmäßig aus. Sead Kolasinac oder Alexander Nübel sind weitere Beispiele für Spieler, zu denen ich heute noch ein gutes Verhältnis pflege. Man kommt mit einigen Personen besser zurecht als mit anderen, das ist menschlich und auch als Co-Trainer der Fall. Grundsätzlich kann man zudem sagen: Ein Cheftrainer muss nicht immer alle mannschaftsinternen Dinge wissen. Als Assistent solltest du wiederum alle Dinge in seinem Interesse regeln.

"Boateng sagte: 'Trainer, pack' das Trikot mit der Nummer neun zur Seite'"

Ein großer Name während Ihrer Zeit als Co-Trainer bei den Profis war Kevin-Prince Boateng. Wie erinnern Sie sich an das erste Treffen mit ihm?

Hübscher: Er war enorm selbstbewusst, aber auch offen, höflich und zurückhaltend. Er sagt seine Meinung, wenn er es für nötig hält, bewahrt dabei aber immer den Anstand. Wir haben ihn damals als Eckpfeiler geholt, an dem sich unsere vielen jungen Spieler orientieren können.

Wie kam es zu seiner Verpflichtung?

Hübscher: Wir haben erstmals im Trainingslager in Doha über ihn gesprochen. Als sich herausgestellt hat, dass die Möglichkeit besteht, ihn zu bekommen, hat Jens Keller ihn angerufen. Boateng sagte nur: "Trainer, pack' schon einmal das Trikot mit der Nummer neun zur Seite, wir rocken das Ding." Er war genau der erfahrene Spieler, den wir gebraucht haben. An sein erstes Spiel gegen Leverkusen vor heimischen Publikum kann ich mich noch gut erinnern.

Warum?

Hübscher: Er hat damals auf der Sechs gespielt. In einer Situation spielte Max Meyer ihn nicht an, sondern einen Pass ins Aus. Da die Situation nahe der Bank stattfand, war sehr gut zu hören, wie er schrie: "Max, spiel mich an. Max! Max!" Meyer antwortete nur, dass Boateng doch gedeckt worden sei. Der erwiderte: "Das ist mir scheißegal, spiel mich an." So ein Spieler hat uns zuvor gefehlt.

Wieso trennten sich die Wege dann zwei Jahre später?

Hübscher: Das waren keine menschlichen Gründe, wir haben einfach seine Verletzungsanfälligkeit nicht mehr in den Griff bekommen. Er war nicht mehr so leistungsfähig wie wir und auch er sich das gewünscht hätten, denn auch unter Roberto Di Matteo, den er übrigens immer als Mister angesprochen hat, war er eine wichtige Persönlichkeit.

Wodurch unterscheidet er sich von anderen Spielern?

Hübscher : Durch sein Selbstbewusstsein. Er hat sich nicht darum geschert, ob wir gegen Leverkusen oder Bayern München gespielt haben. Dem war das scheißegal. Er hatte einfach dieses Selbstverständnis, dass sich jeder an ihm zu orientieren hat. Das half zu diesem Zeitpunkt unserer ganzen Mannschaft weiter. Und zusätzlich konnte er natürlich sehr gut kicken.

Suchte er auch das Streitgespräch?

Hübscher: Das kam vor, aber immer respektvoll. Er hat seine Meinung vertreten, aber trug das nicht vor der Mannschaft aus, sondern kam in die Trainerkabine und hat seine Sicht der Dinge erläutert. Das macht Führungsspieler, wie er oder Höwedes es damals waren, aus. Sein Wort hatte sowohl beim Trainer als auch bei den Mitspielern Gewicht. Er packte sich auch mal Kollegen und sagte: "Hört auf, diesen scheiß Kinderfußball zu spielen." Dann lieferte er ihnen einen kurzen und prägnanten Lösungsansatz, der dann aber auch saß. Sowas ist für einen Trainer Gold wert.

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Hübscher schwärmt von Di Matteo: "Zeit war absolut überragend"

Di Matteo kam als Champions-League-Sieger zu Schalke, war nach sieben Monaten aber schon wieder Geschichte. Warum hat es mit ihm nicht funktioniert?

Hübscher: Das ist halt die Frage, ob es mit ihm nicht funktionierte. Meinten zumindest die Verantwortlichen. Wenn ich mir die Platzierung anschaue, hat es ja doch irgendwie funktioniert. Ich kannte ihn vorher nicht, aber menschlich war die Zeit absolut überragend. Roberto ist ein feiner Kerl, ich war im Nachhinein mehrfach bei ihm in England und habe ihn besucht. Zu seiner Zeit auf Schalke hatten wir mit Verletzungen zu kämpfen und das Selbstverständnis des Klubs war damals sehr hoch. Wir haben es als Team aber nicht geschafft, die richtige Balance zwischen Offensive und Defensive zu finden, weshalb der Europa-League-Platz nicht unbedingt positiv in Erinnerung geblieben ist. Heute würde man gewisse Dinge eventuell anders bewerten, auch Jens Keller und Andre Breitenreiter wurden immer kritisch gesehen, obwohl beide doch recht erfolgreich waren.

Was machte die Arbeit von Di Matteo aus?

Hübscher: Er war sehr genau, die Trainingsvorbereitung war bei ihm immer ein Schwerpunkt in der Arbeit. Ich erinnere mich an eine Spielform, die er uns zuvor auf einem Blatt Papier aufgezeigt hat. Dabei zeichnete er das Tor gemäß des Maßstabs knapp 60 Zentimeter vor die Mittellinie. Als wir später draußen auf dem Platz aufbauten, stellten wir das Tor einfach auf die Mittellinie, um sie auch als Auslinie zu nutzen. Als Roberto dann kam, rief er uns zwei Co-Trainer zu sich und sagte, dass das Tor falsch positioniert sei. Genauigkeit war bei ihm das A und O. Als es sportlich nicht mehr lief, arbeitete er sogar noch akribischer als zuvor, aber leider musste er dann dennoch gehen.

Haben Sie eine Erklärung für den hohen Trainerverschleiß auf Schalke in der jüngeren Vergangenheit?

Hübscher: Das liegt meiner Meinung nach an der extrem hohen Erwartungshaltung. Alles andere als die Champions League war zu meiner Zeit eine Enttäuschung, eine Qualifikation für die Europa League genügte den Ansprüchen nicht wirklich. Des Weiteren brauchst du das Publikum auf deiner Seite, musst Fußball mit viel Power und Ballbesitz spielen lassen und die Leute begeistern, ansonsten kann es problematisch für dich werden.

Als Markus Weinzierl kam, waren Ihre Dienste nicht mehr gefragt. Wie haben Sie darauf reagiert?

Hübscher: Ich konnte seine Entscheidung verstehen. Es war klar, dass er seinen Trainerstab mitbringen würde, sollte er zu Schalke kommen. Ich hatte allerdings die Hoffnung, dass es zumindest zu einem persönlichen Gespräch mit ihm kommen würde. Das war allerdings nicht der Fall und das war die einzige Sache, die ich in der Nachbetrachtung zu monieren hätte.

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Schalke-Rückkehr unter Tedesco war Thema

Aufgrund Ihres guten Verhältnisses gab es nach dem Schalke-Aus Gerüchte um einen gemeinsamen Wechsel mit Di Matteo zu Aston Villa.

Hübscher: Ich war zweimal bei Aston Villa vor Ort und habe mir alles angeschaut. Allerdings hatte ich noch einen laufenden Vertrag bei Schalke und meine Frau war zu diesem Zeitpunkt schwanger, weshalb daraus erstmal nichts wurde. Es war mein Traum, mit ihm dort zu arbeiten, und ich hätte das Angebot auf jeden Fall noch angenommen. Leider war Di Matteo zu diesem Zeitpunkt bereits entlassen worden.

2017 waren Sie ein Kandidat für das Trainerteam von Domenico Tedesco. Wie konkret standen Sie vor einer Rückkehr zu S04?

Hübscher: Christian Heidel hatte schon länger die Idee, mich wieder einzubinden. Mit Tedesco gab es Gespräche, er entschied sich damals allerdings für Andreas Hinkel, den er als Assistenten mitbringen wollte. Da ich zu dieser Zeit das Angebot von Bremen auf dem Tisch liegen hatte, habe ich Werder nach Tedescos Absage zugesagt, auch wenn Hinkel später doch nicht nach Gelsenkirchen kommen sollte.

Sie wurden in Bremen zunächst Trainer der U17 und ein Jahr später Coach der zweiten Mannschaft, ehe Sie im vergangenen Sommer bei Preußen Münster anheuerten. Nach 17 Spieltagen wurden Sie im vergangenen Dezember von ihren Aufgaben entbunden. Warum hat es dort nicht funktioniert?

Hübscher: Es gab einen großen Umbruch im Kader, die Aufgabe war nicht einfach. Doch aufgrund des in mich gesteckten Vertrauens der Verantwortlichen wollte ich diese angehen. Leider konnten wir in den Partien, in denen wir überzeugend gespielt haben, nicht die nötigen Punkte einfahren. Letztlich ist der Trainer verantwortlich und es wurde versucht, der Mannschaft mit einem Trainerwechsel einen neuen Impuls zu geben.

Peilen Sie eine schnelle Rückkehr als Trainer an?

Hübscher: Auf jeden Fall. Es gibt lockere Kontakte in viele Richtungen, aber aufgrund der Coronakrise muss man ohnehin erstmal abwarten, wie sich der Fußball davon erholt.

Haben Sie eigentlich ein Vorbild als Trainer?

Hübscher: Ich achte eher auf Spielstile. Klar finde ich es beeindruckend, wenn Joel Matip erzählt, wie Jürgen Klopp seine Jungs packt. Selbiges gilt für den Ballbesitzfußball, den Pep Guardiola spielen lässt. Ich schaue mir generell viele Spiele an. Ajax beispielsweise hat im vergangenen Jahr mit Gegenpressing und schnellem Umschaltspiel für Furore in der Champions League gesorgt. Eigentlich wollte und sollte ich bei Erik ten Hag in Amsterdam hospitieren. Da war schon alles klar, aber Corona hat mir da leider einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Was genau erzählt Matip von Klopp?

Hübscher: Klopp ist maximal emotional und das springt auf die Spieler über. Jeder ist bereit, Vollgas zu geben. Auch der Konkurrenzkampf spielt eine wichtige Rolle, das erleichtert dem Trainer die Arbeit. Dennoch sagt er, dass alle jederzeit bereit seien, für Klopp zu marschieren. Noch nie in seinem Leben habe er eine härtere Vorbereitung erlebt als in Liverpool. Wie fit die Mannschaft in der Folge ist, sieht man ja auf dem Platz. Sie spielen mit einer Viererkette, davor laufen drei Wahnsinnige von rechts nach links alles zu und vorne haben sie drei Vollgranaten, die die Buden machen. So haben sie vergangene Saison die Champions League gewonnen.

Auch Sie durften bereits einige Champions-League-Abende erleben. Woran denken Sie am liebsten zurück?

Hübscher: Das größte und gleichzeitig negativste Erlebnis war das Rückspiel bei Real Madrid im Santiago Bernabeu 2015. Das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nach dem Spiel machte es einen stolz, wie die Fans uns zugejubelt haben, nachdem wir nach einem 0:2 im Hinspiel beinahe noch in die nächste Runde eingezogen wären. Andererseits haben wir zum Beispiel mit Höwedes' Chance kurz vor Schluss gehadert, als der Ball knapp am Tor vorbeiging. Diesen Abend werde ich dennoch nie vergessen.

Hübscher: Galatasaray? "Wollte ihm nicht glauben, bis die ganze Trainerbank wackelte"

Auch die Stimmung bei Galatasaray durften Sie bereits erleben.

Hübscher: Vor diesem Spiel haben wir uns mit dem Trainerteam Videoclips von der Atmosphäre angeschaut. Wir haben die Mannschaft auch in einer Teambesprechung darauf vorbereitet und mit Lautsprechern versucht, die Stimmung zu simulieren. Eine vergleichbare Atmosphäre gibt es in Deutschland nicht. Vor dem Anstoß zählen die Fans runter und legen pünktlich zum Anpfiff richtig los. Unser Torwarttrainer Holger Gehrke hat uns zudem im Vorfeld gewarnt: "Ihr werdet Gänsehaut bekommen, wenn 50.000 Türken aus voller Kehle anfangen, ein Lied zu singen. Da bebt das ganze Stadion." Ganz glauben wollte ich es ihm nicht, bis dann die ganze Trainerbank wackelte, als ich es selbst erleben durfte. Das war wirklich beeindruckend.

Welcher Spieler hat Sie am meisten beeindruckt?

Hübscher: Von meinen eigenen Spielern Joel Matip, der es auf Schalke nicht unbedingt leicht hatte. Seine Leistungen wurden nicht immer wertgeschätzt, obwohl es wenige Spieler gibt, die mit und ohne Ball mutiger spielen. Spätestens seit dem Champions-League-Sieg dürfte jedem klar sein, welche Qualität er hat.

Und von externen Spielern?

Hübscher: Cristiano Ronaldo. Als wir in Madrid gespielt haben, hatten die Nationalspieler untereinander Kontakt. Toni Kroos kam dann zu uns in die Kabine und unsere Jungs fragten ihn nach Ronaldo. Kroos bestätigte alles, was man über die Medien aufschnappt, beispielsweise dass Ronaldo sich immer als erster am Trainingsgelände einfinde und der Letzte sei, der geht. Außerdem erzählte Kroos davon, wie ihm der Portugiese gleich nach seinem Wechsel zu Real seine Hilfe in allen Lebensbereichen anbot. Aus dem Mund einer seiner Mitspieler imponiert das einem schon noch deutlich mehr.