Im Interview spricht BVB-Archivar Kolbe über den Start seiner Sammelleidenschaft, einen folgenschweren Gang aufs Klo, das Treffen mit Vereinsgründer Franz Jacobi und die Entstehung des Fan-Lieds "Heja BVB".

Dieses Interview wurde erstmals im November 2018 publiziert.

SPOX: Herr Kolbe, Sie sind mit acht Jahren nach Dortmund gezogen und wohnten mit Ihrer Familie in der Nähe des ehemaligen BVB-Stadions Rote Erde. Waren Sie damals schon Fußballfan?

Gerd Kolbe: Meine Familie ist 1946 aus Mecklenburg-Vorpommern nach Itzehoe vertrieben worden. Dort bin ich als Vierjähriger mit meinem Vater zum ersten Mal zum Fußball gegangen, beim Itzehoer Sportverein von 1909. Das war sozusagen mein fußballerisches Erweckungserlebnis. Aufgrund der besseren Arbeitsmöglichkeiten im Ruhrgebiet sind wir im Mai 1953 nach Dortmund gekommen, genau an einem Donnerstag vor Pfingsten. Mein Vater hat sich dann sofort informiert und festgestellt, dass am folgenden Mittwoch der BVB, also der auch damals schon führende Dortmunder Verein, in der Roten Erde spielen würde.

SPOX: Und ein Spiel hat gereicht, um sich in den BVB zu verlieben?

Kolbe: Ja. Die Borussia spielte eine Vorrundenpartie um die deutsche Meisterschaft gegen den HSV - also gegen den Klub, der den Itzehoer SV immer besiegt hatte, teilweise mit zweistelligen Ergebnissen. Ich wollte liebend gern wissen, ob die Borussen gegen den HSV genauso schlecht aussehen würden. Der BVB gewann mit 4:2. Ich habe das indirekt als Rache für Itzehoe angesehen und deshalb mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen. Von Stund an war ich BVB-Fan.

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SPOX: Sie sind dann mit Ihren Freunden regelmäßig zum Training der Borussia gegangen und haben sich Autogramme der Spieler geholt. War dies der Beginn Ihrer ersten Sammlung?

Kolbe: Genau. Die Spieler haben immer mit Bleistiften in unseren Schreibkladden unterschrieben. Da ich neu in Dortmund war, wurde ich auch einmal veräppelt: Ich wollte ein Autogramm von Erich Schanko, nach August Lenz der zweite Nationalspieler des BVB, eine richtige Ikone also. Ich habe einen Freund gefragt, wer denn Schanko genau sei. Er meinte nur, er gäbe mir Bescheid, wenn dieser gleich an uns vorbeigehen würde. Das hat er dann auch gemacht. Ich bin also hingeflitzt und habe "Herrn Schanko" um eine Unterschrift gebeten. Der Angesprochene schmunzelte und sagte nur: "Na Junge, du bist sicher noch nicht lange in Dortmund." Zuhause habe ich das Autogramm meinem Vater gezeigt. Der meinte nur: Da steht doch nicht Schanko, da steht Heinrich Kwiatkowski. Dass der Kwiat so entspannt auf die falsche Anrede reagiert hat, habe ich ihm hoch angerechnet. (lacht)

SPOX: Haben Sie das Autogrammsammeln bald ausgeweitet?

Kolbe: Ja. 1956 und 1957 wurde der BVB Deutscher Meister. Danach kamen plötzlich ganz andere Mannschaften aus ganz Europa hier her: Spora Luxemburg, ManUnited, Steaua Bukarest, AC Mailand und so weiter. Wir wussten, dass alle Teams im Hotel Römischer Kaiser abstiegen. Dann haben wir dort manchmal stundenlang gewartet und uns Autogramme geholt, sobald sich die Möglichkeit ergab. Dortmund war eine tolle Sportstadt, sodass wir auch zur Leichtathletik oder zum Boxen gehen konnten, um Unterschriften zu bekommen.

SPOX: Mit 14 fingen Sie als Verwaltungslehrling beim Sportamt Dortmund an. BVB-Spieler Alfred Kelbassa war Ihr erster Lehrherr. Das dürfte in Sachen Autogramme auch geholfen haben.

Kolbe: Ich war zunächst sehr überrascht und hoch erfreut! Kelbassa vergab die Sportplätze und -hallen an die örtlichen Klubs. Er war nicht ganz leicht zu nehmen, aber wir beide verstanden uns ausgezeichnet. Das lag sicherlich auch daran, dass ich ihn sehr verehrt habe. (lacht) Nur über Uwe Seeler konnte man mit Kelbassa nicht sprechen, weil der ihn aus der Nationalmannschaft verdrängt hat und er das als blasphemischen Akt empfand. Meinen Wunsch, mir Autogramme von den gegnerischen Mannschaften mitzubringen, hat er gern und reichlich erfüllt.

SPOX: Anschließend kamen Sie ins Presseamt und waren für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt zuständig. Von 1976 bis 1981 waren Sie zudem nebenamtlich Pressesprecher des BVB. Wie kam das zustande?

Kolbe: Hans Ost war mein Vorgänger. Er war zuvor Sportredakteur der Westfälischen Rundschau, ging dann als Pressesprecher zur Westfalenhalle und war nebenamtlich auch Pressesprecher von Borussia. Im Verhältnis zu seinen früheren Kollegen musste er eine gut austarierte Balance finden, um nicht zu viel auszuplaudern. Letztlich gab es vorstandsinterne Differenzen, die zur Trennung führten. Über Umwege landete eine Anfrage des BVB bei mir und ich sagte zu. Wenn Vorstandssitzungen oder Pressebesprechungen waren, war ich vom Dienst beim Presseamt freigestellt.

SPOX: Wie sah Ihre Arbeit damals aus?

Kolbe: Der Verein hatte damals einen Etat von zwölf bis 15 Millionen Mark. Ich war bei allen Heim- und Auswärtspartien mit dabei und hatte einen guten Draht zu Spielern, Trainern und Verantwortlichen. Rückblickend habe ich wohl die ersten Ansätze einer BVB-Öffentlichkeitsarbeit kreiert. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Europapokalsiegs von 1966 habe ich zum Beispiel eine PR-Aktion durchgeführt und alle Kinder ins Stadion eingeladen, die am 5. Mai 1966 geboren worden waren. Insgesamt haben diese fünf Jahre meine Beziehung zum BVB noch einmal intensiviert. Außerdem habe ich viele zusätzliche Erfahrungen gemacht, von denen ich später als Pressesprecher der Stadt Dortmund sehr profitierte.

SPOX: Dass Sie nun offizieller BVB-Archivar sind, kam dann durch einen Zufall zustande: Zu Beginn Ihrer Zeit als Pressesprecher wollten Sie in der Geschäftsstelle des Westfalenstadions auf die Toilette gehen, als Sie plötzlich einen Raum mit vielen Exponaten aus der Vereinsgeschichte entdeckten. Was würde es für die Gegenwart bedeuten, wenn Sie damals das Klo direkt gefunden hätten?

Kolbe: Viele wichtige vereinshistorische Exponate wären für immer verschollen. Ich habe einen wichtigen Teil der BVB-Geschichte quasi vor dem Untergang bewahrt. Der damalige Präsident Heinz Günther war in einer finanziell kritischen Situation als Sanierer zum BVB gestoßen, hatte aber keine Beziehung zur Vereinsgeschichte. Er meinte nur zu mir: Das können Sie gerne mitnehmen, dann sparen wir uns 100 Mark an Müllgebühren. Ich fand dort Wimpel, Silberteller und vieles mehr. Zu Hause habe ich erst einmal den Keller ausgeräumt, um die wahren Schätze zu deponieren.

SPOX: Wie groß war denn dieser Fundus?

Kolbe: Rund 50 bis 60 Exponate. Es war vieles dabei, was sich in den 1950er und 1960er Jahren rund um die Europapokalspiele der Landesmeister bis hin zum Europacup der Pokalsieger angesammelt hatte. Wimpel vom legendären 5:0-Heimsieg gegen Benfica vom Dezember 1963 oder vom September 1957 waren dabei, als der BVB zur Eröffnung des Camp Nou beim FC Barcelona gastierte.

SPOX: Dadurch nahm Ihre Sammelleidenschaft weiter zu. Wie sind Sie vorgegangen, um sich weitere Exponate zu beschaffen?

Kolbe: Ich besuchte gezielt die wichtigsten Protagonisten der BVB-Vergangenheit, um ihre Erinnerungen festzuhalten. Das wurde auch Zeit, denn sie waren zumeist schon sehr betagt. Dabei wurden mir teils Exponate geschenkt, teils geliehen, damit ich sie reproduzieren lassen konnte. Vor allem Trikots, Plakate, Eintrittskarten und jede Menge Fotos.

SPOX: In einer Zeitung haben Sie nie ein entsprechendes Inserat aufgegeben?

Kolbe: Doch. Zu Ehren des 75. Geburtstags des BVB 1984 entschied man sich, eine Ausstellung im Stadthaus zur Vereinsgeschichte zu machen, die ich federführend bearbeiten durfte. Dafür habe ich über die Dortmunder Zeitungen nach weiteren Materialen gesucht. Es kam dann auch richtig viel zusätzlich zusammen.

SPOX: Wurden die Sachen alle geschenkt?

Kolbe: Wir haben die Leute selbst entscheiden lassen, ob sie uns ihre Exponate überlassen, sie wieder haben oder zumindest zur Reproduktion freigeben wollten. Die Ausstellung umfasste letztlich 156 Tafeln mit zahllosen Dokumenten aus allen BVB-Jahrzehnten. Ich habe monatelang mit wachsender Begeisterung bis nachts gearbeitet, damit die Präsentation so gut wie möglich wird. Der ehemalige Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker hat sie mit eröffnet und war regelrecht begeistert.

SPOX: Ohne Ihre Arbeit wäre heute vielleicht kaum etwas zur Gründungsgeschichte bekannt. Unter anderem trafen Sie den Mitgründer und späteren Vorsitzenden Franz Jacobi, als dieser bereits 87 Jahre alt war. Wie haben Sie ihn denn ausfindig gemacht?

Kolbe: Bei der Jahreshauptversammlung 1977 wurde sein Name genannt. Da hieß es: 'Unser Vereinsmitglied Franz Jacobi, der nun bei seinem Sohn in Salzgitter wohnt ...' Daraufhin wurde ich hellhörig und bin zu ihm gefahren. Es war einer meiner anrührendsten Augenblicke überhaupt zu erleben, wie enorm präsent er die Gründungsgeschichte des BVB noch im Kopf hatte und davon erzählte. Jacobi war der wichtigste aller 18 Vereinsgründer. Wir haben an zwei Tagen jeweils fünf Stunden miteinander geplaudert.

SPOX: Was war denn vor diesem Treffen von der Gründungszeit des Vereins bekannt?

Kolbe: Lediglich das, was sich in den Jahrbüchern befand. Und das war wenig genug. Vieles war, wie sich später herausstellte, inhaltlich und zeitlich nicht ganz präzise dargestellt und eingeordnet, sodass meine Recherchen genau zum richtigen Zeitpunkt kamen.

SPOX: Womit Jacobi nicht dienen konnte, war ein Exponat vom Endspiel um die Westfalen-Meisterschaft 1947. Das fehlt in Ihrer Sammlung. Damals gewann der BVB mit einem 3:2 gegen Schalke seinen ersten Titel und beendete die Vorherrschaft der Knappen im westfälischen Fußball.

Kolbe: Das ist richtig. In den 1980er Jahren war jemand bei mir, der mir eine Eintrittskarte und ein Plakat von diesem Finale in Herne anbot. Er hat einen heftigen Preis aufgerufen. Man darf nicht vergessen, dass ich jedes Jahr einiges an privatem Geld in die Sammlung steckte und die Finanzierung bei meiner Frau nicht für Jubelsprünge sorgte. Deshalb nahm ich Abstand von diesem Angebot. Ich bedauere das sehr, da zu diesem Spiel seither leider einfach nichts mehr aufzutreiben ist.

SPOX: Trotzdem komplettierte sich die Sammlung immer weiter und bildete letztlich den Grundstock des im Dezember 2008 eröffneten Borusseum im Signal Iduna Park.

Kolbe: Als ich meiner Frau vom Bau des Borusseums erzählte, jubelte sie, denn wir hatten auf einmal 100 Quadratmeter Wohnfläche zusätzlich. Zuvor hatte ich schon einiges im Stadtarchiv Dortmund einlagern können. Das hat wohl auch meine Ehe gerettet. (lacht)

SPOX: Das BVB-Archiv ist also aufgeteilt im Borusseum und in Räumlichkeiten des Stadtarchivs?

Kolbe: Richtig. Es gibt zudem eine weitere Sammelstelle bei einem Logistik-Unternehmen im Dortmunder Osten.

SPOX: Welches ist denn das in Ihren Augen wertvollste von Ihnen für das Borusseum zur Verfügung gestellte Exponat?

Kolbe: Ein Silbertablett der UEFA mit Gravur als Präsent an den BVB anlässlich des Gewinns des Europapokals der Pokalsieger 1966.

SPOX: Und das für Sie emotional wertvollste?

Kolbe: Da möchte ich kein Exponat herausheben. Sie repräsentieren alle die großartige Geschichte des BVB und schöpfen daraus ihren ganz individuellen emotionalen Wert. Der tollste aller BVB-Augenblicke für mich war, als ich unmittelbar nach dem Ende des Champions-League-Finals 1997 mit dem Mikro in der Hand auf der Public-Viewing-Bühne des Friedensplatzes vor 50.000 Menschen stand und ausrief, was alle wussten: 'Liebe Freunde, liebe Fans des BVB! Borussia Dortmund ist Champions-League-Sieger, wir sind die beste Fußballmannschaft Europas!' Diese Worte lösten einen Sturm der Begeisterung aus, der sich durch die Massen trug. Das war der Hammer.

SPOX: Haben Sie in der bald 109 Jahren Vereinsgeschichte eigentlich einen Lieblingsspieler?

Kolbe: Besonders verehrt habe ich Julio Cesar, der für mich einer der besten Abwehrspieler überhaupt war und ist. Das wichtigste Eigengewächs des BVB und für mich eine Ikone ist Max Michallek. Franz Beckenbauer hat mir einmal erzählt, dass der Max aus seiner Sicht der Wegbereiter des Liberos gewesen sei. Er hat also den Mittelläufer klassischer Prägung nach dem WM-System fast schon wie ein Libero interpretiert und aus dieser Position heraus dem gesamten BVB-Spiel viele gestalterische Impulse gegeben. Max Michallek war zudem ein sehr, sehr feiner Mensch.

SPOX: Eines noch: Das Lied "Heja BVB" wird seit 1976/77 gesungen - und Sie stecken dahinter. Erzählen Sie!

Kolbe: In einem Zug traf ich auf der Fahrt von Holzwickede nach Dortmund per Zufall einen Mann namens Karl-Heinz Bandosz. Er gab mir ein Demo-Band mit einem BVB-Lied und meinte, sein größter Wunsch sei es, die Premiere im Westfalenstadion zu feiern. Mir gefiel der Song gut, Präsident Günther aber lehnte ihn und das Bandosz-Ansinnen kategorisch ab. Ich hatte einen guten Draht zur Dortmunder Presse, machte die Kollegen scharf und lud sie zur Pressekonferenz des BVB ein. Dort lobten sie das Lied überschwänglich und veröffentlichten Artikel darüber. Unser Präsident machte rasch einen Rückzieher und plötzlich stand Bandosz tatsächlich vor einem Heimspiel singend auf dem Rasen.