Herr Schillinger, wie ungewohnt ist es für Sie, momentan so viel zuhause zu sein?

Andreas Schillinger: Sehr ungewohnt. Für mich ist das aktuell eine ganz neue Erfahrung. Das gab es bei mir seit Jahren nicht mehr. Es ist aber auch mal schön, etwas Ruhe zu haben. Meine Frau und ich haben einen fast vierjährigen Sohn, der mich jetzt erstmal richtig kennenlernt. Auf der anderen Seite würde ich aber natürlich jetzt schon gerne bei den Klassikern in Belgien sein, denn das Team hat sich Monate darauf vorbereitet. Aber das fällt nun alles flach.

Trainieren Sie aktuell noch individuell draußen oder nur noch auf der Rolle?

Schillinger: Ich trainiere natürlich auch auf der Rolle, aber aktuell darf man in Bayern ja noch alleine das Haus verlassen. Wenn das Wetter draußen super ist, nutzte ich das fürs Training. Die Straßen sind leergefegt. Es ist fast so wie bei einem Rennen, wenn die Straßen abgesperrt sind. Teilweise sind sogar Bundestraßen extrem leer, wo normalerweise einiges an Verkehr rollt.

Fällt es trotzdem schwer, sich zu motivieren?

Schillinger: Aktuell ist es sehr schwer, da kein konkretes Ziel definiert ist, wann wir wieder einsteigen. Normalerweise ist es so: Das Saisonende ist im Oktober, dann ist Pause im November und im Januar fährt ein Teil nach Argentinien, der andere nach Mallorca und der nächste nach Australien zur Tour Down Under. Das weiß der jeweilige Fahrer dann im November schon, auf welches Ziel man hinarbeitet. Momentan wissen aber nicht, ob wir in drei Wochen oder drei Monaten wieder einsteigen. Diese Ungewissheit macht es gedanklich sehr schwer, sich zu motivieren und zu sagen: Heute gehe ich sechs Stunden auf den Sattel. Es ist einfach schwer, sich Ziele zu setzen, ohne zu wissen, ob die Rennen überhaupt stattfinden.

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Wegen Corona-Absagen: Super-Week im Herbst?

Nun wurden alle Frühjahrs-Klassiker sowie der Giro verschoben. Denken Sie, dass man die so wichtigen Rennen am Ende der Saison vielleicht nachholen kann?

Schillinger: Die Chance, dass diese Rennen nachgeholt werden, schätze ich als gering ein. Aber ich habe noch ein bisschen Hoffnung. Die Rennen würden im Herbst einen ganz anderen Charakter bekommen, da die Vorbereitung nun eine ganz andere sein wird. Es gibt beispielsweise Fahrer, die zu Beginn der Saison enorm stark sind und auf der anderen Seite gibt es Fahrer, die zum Ende der Saison aufleuchten. Es kann passieren, dass wir dann ganz andere Leute vorne sehen werden. Mich als Radsport-Fan würde es interessieren, wie es sein wird, wenn die Frühjahrsklassiker im Herbst stattfinden. Aber natürlich rennt uns gegen Ende des Jahres aufgrund der Witterung die Zeit davon. Mir geht deshalb eine Art Super-Week durch den Kopf, in der man drei Monumente in einer Woche fährt.

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Es kam auch schon die Idee auf, eine Drei-Wochen-Rundfahrt zu machen, in der Giro, Tour und Vuelta vereint sind, was halten Sie davon?

Schillinger: Aus meiner Radfahrer-Sicht ist Italien so extrem gebeutelt von der Coronakrise, dass mir dafür die Fantasie fehlt. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass dort eine Woche der Giro durchrollt.

Und was ist mit der Tour de France? Bei Paris-Nizza waren Fans bei Start und Ankunft ausgeschlossen, was halten Sie von Geisterankünften?

Schillinger: Geisterankünfte kann ich mir auch schwer vorstellen. Fragen Sie mal Maximilian Schachmann! (lacht). (Schachmann gewann Paris-Nizza 2020, Anm. d. Red.) Wenn ich mir vorstelle, dass ich Alpe d´Huez hochfahren muss und niemand steht da... das wäre sehr eigenartig... Bei der Dauphine habe ich es sogar schon mal erlebt. Da war extrem schlechtes Wetter und es standen wirklich gar keine Fans am Anstieg. Dann wird der Berg schon hart. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, wäre das ja wie eine Trainingsfahrt. Wir bekommen von den Fans schon etwas zurück, diese Lautstärke pusht einen enorm. Es würde auf jeden Fall etwas fehlen.