Dieser Artikel erschien ursprünglich am 9.3.2018.
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Die NBA ist derzeit geprägt von politischen Äußerungen. Vor allem seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten machen viele Spieler und Executives auf sich aufmerksam und äußern öffentlich ihre Meinung. Anfang des Jahres konterte Raptors-Präsident Masai Ujiri Trumps Aussagen über afrikanische Länder, die der POTUS als "Dreckslöcher" bezeichnet haben soll. "Wenn ich aus einem Drecksloch komme, bin ich stolz darauf", sagte der gebürtige Nigerianer Ujiri gegenüber ESPN .
Zwei Jahre zuvor sorgte NFL-Quarterback Colin Kaepernick mit seiner #takeaknee-Aktion für Furore. Er kniete während der Nationalhymne, um auf Polizeigewalt und Rassismus aufmerksam zu machen. Über die sozialen Netzwerke erntete er viel Lob und Unterstützung - auch von diversen Profisportlern. Das änderte allerdings nichts an dem Ende seiner sportlichen Karriere.
Kaepernick war in der Geschichte des US-Sports aber keineswegs der erste Sportler, der das Abspielen der Hymne zum Protest nutzte. Er trat gewissermaßen in die Fußstapfen der "Black Power"-Demonstranten Tommie Smith und John Carlos von 1968 und in jene von Mahmoud Abdul-Rauf, der in den 1990er Jahren seine NBA-Karriere aufs Spiel setzte, um ein politisches Zeichen zu setzen - und das, obwohl er vorher hart kämpfen musste, um überhaupt ganz oben in der Association anzukommen.
Mahmoud Abdul-Rauf: Aufgewachsen in einem "Drecksloch"
Abdul-Rauf ist - anders als Ujiri - wahrlich in einem Ort aufgewachsen, den Trump wohl als Drecksloch bezeichnen würde. Mit seiner alleinerziehenden Mutter verbrachte er seine Kindheit in einem Viertel in Mississippi, in dem Abdul-Rauf täglich von Armut, Drogen und Prostitution umgeben war. "Zum Glück wusste ich früh, was ich machen wollte", sagte er in einer Rede im Al Tawheed Center 2013: "Ich wollte der beste Basketballer werden, der ich sein konnte. Für mich war es ein Weg raus aus der Scheiße. Ich wollte es nicht nur, ich brauchte es."
Abgesehen von den äußeren Umständen wurde Abdul-Rauf auch vom Tourette-Syndrom gebremst, weshalb er von vielen "bereits früh abgeschrieben wurde".
Bevor er in der High School mit einem Team trainierte, arbeitete er auf dem Freiplatz alleine an seinen Skills. "Ich habe mir einen Gegner vorgestellt, der mich extrem eng verteidigt. Die Vorstellung ist die stärkste Kraft und ich wollte sie besiegen. Ich habe mir gedacht: Wenn ich das schaffe, kann mich auch kein echter Verteidiger aufhalten."
Und so war es auch: Nachdem er auf der High School meist gegen zwei Jahre ältere Jugendliche spielte, wurde er 1988 zum erfolgreichsten Freshman-College-Scorer aller Zeiten. Der Rekord von 30,1 Punkten pro Spiel wurde bis heute nicht übertrumpft und auch Oklahomas Trae Young wird dies vermutlich nicht schaffen. Direkt in seinem dritten Spiel für LSU scorte Rauf 48 Punkte, bevor er 53 Punkte in seinem fünften Spiel aufs Scoreboard zauberte. Auch in seinem zweiten Jahr überzeugte er und wagte anschließend den Sprung in die NBA.
Aufstieg zum NBA-Star
Im Draft 1990 schlugen die Denver Nuggets an dritter Stelle zu, um sich die Rechte an ihm zu sichern. Und schon nach zwei ruhigen Jahren zeigte der 1,85 Meter große Point Guard seine Extraklasse: Ein elitärer Scorer, der einen starken Distanzwurf und artistische Abschlüsse am Korb in seinem Arsenal hat.
Außerdem war er ein extrem starker Freiwerfer: Er traf 90,5 Prozent seiner 1.161 Freebies in seiner Karriere. Hätte er 39-mal öfter an der Charity Line gestanden - 1.200 Freiwürfe sind nötig, um sich für die All-Time-Freiwerfer zu qualifizieren - wäre er heute vermutlich der beste Freiwerfer aller Zeiten.
Nicht wenige vergleichen Rauf mit Steph Curry, der in der heutigen NBA mit einem ähnlichen Spielstil zwei MVPs und ebenso viele Meisterschaften gewonnen hat: "Ich habe einige Highlights auf YouTube angeschaut und es gibt mit Sicherheit einige Überschneidungen", sagte der Chefkoch persönlich gegenüber Bleacher Report .
Abdul-Rauf konvertierte zum Islam
Doch nicht nur auf dem Parkett hob sich Rauf von der Masse ab. Nachdem er bereits auf dem College von seinem Coach Dale Brown das Buch "Malcolm X" in die Hand gedrückt bekommen hatte, konvertierte er als NBA-Rookie zum Islam.
"Der Islam hat für mich alles geändert und war das Beste, das mir passiert ist. Weder Geld, Wohlstand, Familie oder Kinder kann man mit dem Geschenk vergleichen, das ich durch Allah bekommen habe, weil er alles in Relation setzt", sagte Chris Jackson - wie Rauf vor seiner Konversion hieß - damals.
Damit verbunden waren allerdings auch Schwierigkeiten, zum Beispiel das Fasten. Als Profisportler den ganzen Tag nichts zu trinken und zu essen, klang für die Verantwortlichen absurd, doch Abdul-Rauf belehrte sie eines Besseren. "Als ich fastete, wurde mir gesagt, dass ich zu viel Gewicht verlieren werde. In diesem Jahr (1992/93) bin ich Most Improved Player geworden. Ich fühle mich deutlich fokussierter, wenn ich faste."
Mit seinen Erfolgen konnte er auch Hall-of-Famer Hakeem Olajuwon davon überzeugen, dass der Ramadan und die NBA vereinbar sind: "Er fastete an Spieltagen nicht. Nach einem Spiel in Denver erklärte ich ihm, dass ich konzentrierter bin, wenn ich faste. Danach hat er es auch probiert - mit Erfolg: CNN hat eine Analyse veröffentlicht, in der herauskam, dass unsere Stats an Ramadan verbessert waren."
Das Fasten führte also nicht zu seinem sportlichen Absturz, dafür sorgte seine Wissbegierde. "Ich bin ohne Bildung aufgewachsen, doch als ich später angefangen habe, viel zu lesen, habe ich viele Sachen herausgefunden, bei denen ich mich hintergangen fühlte", erklärt Abdul-Rauf, der vor allem mit der US-Politik seine Probleme hatte: "Ich habe viel über Amerika gelesen, über die Schandtaten. Eines Tages war die Flagge für mich die Repräsentation von diesen Dingen, für die ich nicht mehr stehen wollte."
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Abdul-Rauf: "Lasst mich sitzen"
Bevor er damit anfing, während der Hymne sitzen zu bleiben, versuchte er, seine Abneigung zu kaschieren: "Ich habe fünf Monate so getan, als würde ich mich bei der Hymne stretchen." Einem örtlichen Journalisten fiel das allerdings auf, Abdul-Rauf wurde dazu befragt und entschied sich letztlich 1996 dazu, das Aufstehen bei der Hymne für alle ersichtlich zu verweigern. "Ich kritisiere nicht die, die stehen. Also lasst mich sitzen", sagte Abdul-Rauf damals gegenüber NBC News.
Dafür wurde er vom damaligen Commissioner David Stern abgewatscht: Abdul-Rauf wurde für ein Spiel suspendiert. Des Weiteren war er zukünftig verpflichtet zu stehen, durfte allerdings parallel beten. Das hört sich halb so schlimm an, doch "was passierte, hat mehr oder weniger meine Karriere beendet".
Der Anfang vom Ende begann noch in Denver: Abdul-Rauf führte die Nuggets in Punkten (19,2) und Assists (6,8) an und war 1994 ein wichtiger Bestandteil für die Mega-Überraschung in den Playoffs gegen die Seattle SuperSonics. Denver schaffte als Achter der Setzliste nach einem 0:2-Rückstand den Turnaround in der Best-of-Five-Serie gegen Topfavorit Seattle. Trotzdem wurde er im Jahr darauf - mitten in seiner Prime - für einen Apfel und ein Ei zu den Sacramento Kings getradet.
Von da an ging es bergab. Während sich in seiner ersten Saison seine Minuten verringerten, machte er in seiner zweiten für Sac-Town nur noch 31 Spiele, auch aufgrund von Verletzungen. Nach dem Ende seines Vertrags blieb MAR auf der Strecke. "Mich wollte einfach niemand mehr haben", sagte er im Gespräch mit Hoopshype .
Auch in den folgenden Jahren schaffte er den Anschluss nicht mehr, nach einigen Stationen in Europa ging er ein Engagement bei den Vancouver Grizzlies ein, bei denen er keine wichtige Rolle spielen durfte. Zuvor hatten viele Teams dankend abgesagt. "Mein Agent hatte ein Gespräch mit Bryan Colangelo (damals GM der Suns), der kein Interesse hatte. Er hat erklärt, dass es aber nichts mit meinen Fähigkeiten zu tun habe."
Mahmoud Abdul-Rauf: Still no regrets
Durch seinen stillen Protest gab er seine Karriere auf - genau wie Kaepernick. "Es ist ein Prozess, der dich aussortieren soll. Ich glaube, das wird ihm auch passieren", sagte Abdul-Rauf der Washington Post.
Er selbst bereut nichts, würde alles noch einmal so machen. "Für mich bedeutet das mehr als Wohlstand oder Berühmtheit. Wenn alles gesagt und getan ist, möchte ich mit einer freien Seele leben und sterben können."
Daran arbeitet er kräftig: Er hält diverse Vorträge und unterstützt Jugendliche in ärmeren Vierteln der USA. Der ehemalige NBA-Spieler Mustafa Shakur fasst Abdul-Raufs Situation im Inteview mit The Undefeated passend zusammen: "Es ist interessant, wie relevant so etwas heutzutage ist und wie er damals falsch verstanden wurde. Meinen Respekt hat er. Schaut seine Highlights - er hätte ein besonderer Spieler werden können. Aber das war ihm egal. Es ging ihm um größere Dinge als Basketball."