Seit zehn Jahren gibt es in Österreich eine Anti-Doping-Agentur. Was war der Auslöser im Land, dieses unabhängige Kontrollorgan zu installieren?
Ich selbst war damals ja noch nicht im Amt. Aber ausschlaggebend waren sicher die Vorkommnisse bei den Olympischen Spielen in Turin. Der Gesetzgeber hat sich entschlossen, fast visionär ein Anti-Doping-Gesetz zu erlassen. Und, was besonders wichtig ist, die Rechtsprechung von den Sportverbänden zu lösen. Und genau das fordern die Anti-Doping-Agenturen. Dass vor allem internationale Verbände keine Rechtsprechung mehr in Dopingfällen haben sollen. Da können Sie jeden Verband nehmen. Egal ob UCI, IBU oder IAAF. Oder als Schirmherr gleich das IOC.

Da unterstellt man ja im Grunde, dass die Verbände ihre Sportler auch zu schützen vermögen?
Ich sag einmal so: Der Sport ist heute, das sehe ich gar nicht negativ, ein Riesengeschäft. Schauen Sie sich die Summen an. Allein die TV-Rechte sind bei Sommerspielen mit 1,3 bis 1,5 Milliarden Dollar verbucht. Und dann haben wir den Herrn Bach als IOC-Präsidenten. Ich glaube schon, dass es Herrn Bach am liebsten wäre, wenn alle Sportler sauber wären. Tatsache ist aber, er ist nicht der Präsident des IOC, er ist im Grunde der Vorstandsvorsitzende eines Milliarden-Unternehmens. Und so steht er vor einem riesigen Interessenskonflikt. Auf der einen Seite steht der moralische Anspruch, auf der anderen Seite muss er danach trachten, dass das Geschäft läuft. Auf kleinerer Ebene passiert dass eben auch in den Fachverbänden. Ergo: Die Rechtsprechung darf nichts mit den Verbänden zu tun haben. In Österreich ist das so, und das ist gut so. Um den potenziellen Interessenskonflikt zu lösen, müssen die Kontrollen auch international weg von den Sportorganisationen.

Und der größte Verband ist die FIFA. Es glaubt ja auch keiner an den sauberen Fußball?
Ja, natürlich nicht. Das Hauptproblem ist: Ich kontrolliere mich selbst. Es ist schön, wenn die FIFA sagt, sie hat 400, 500 Tests durchgeführt. Keiner weiß aber wann, an wem. Was wurde analysiert? Das trifft auch auf die FIFA zu, wie auf jeden anderen Verband. Wie gesagt: Kontrollen müssen vom Verband weg. Systematisches Doping würde ich wohl ausschließen. Weil der Spielertransfer viel zu groß ist. Und viele Spieler gehen nicht in Frieden. Da würde etwas bekannt werden.

Hat sich am Dopingverhalten etwas geändert?
Durch den biologischen Pass wurde ein nicht unwesentlicher Teil der Sportler doch abgeschreckt, verbotene Substanzen zu nehmen. Davon bin ich überzeugt. Die Zeiten, wo ein Sportler sich nach Gutdünken eine Spritze gesetzt hat, die gibt es nicht mehr. Auch da wurde alles professioneller. Das stellt uns vor andere Herausforderungen.

Wie viele Fälle gibt es im Jahr?
Wir haben so konstant 15 Fälle im Jahr. Nur ein Faktor hat zugenommen: Die nicht analytischen Fälle, also Vergehen, die wir aufgrund von Insider-Informationen oder Whistleblowern bekommen, sind mehr geworden.

Gibt es gewisse Vernaderungstendenzen?
Ja, aber das ist kein Sport-Phänomen. Das gibt es auch in anderen sozialen Fällen, in Wirtschaftsbereichen. Es ist doch so, dass ich, wenn ich erwischt werde, meine eigene Strafe reduzieren kann, wenn ich etwas verrate.

Kann man eine Rangliste der Sportarten erstellen?
Ziemlich leicht sogar nach dem Gefährdungsrisiko. Je größer bei einer Sportart der Ausdauer- und/oder Kraftanteil ist, desto größer ist das Risiko. Daher sind gewisse Sportarten gefährdeter als andere, bei denen vielleicht mehr Technik im Vordergrund steht. Aber eines kommt schon hinzu. Bei Verletzungen und Regenerationsdauer ist jede Sportart gleich betroffen.

Das heißt wohl, eine saubere Tour de France werden wir nie erleben.
Das hat gar nicht so viel mit dem Sport zu tun. Wie in vielen anderen Bereichen auch wird es immer Leute geben, die versuchen zu betrügen.

Haben Dopingjäger eigentlich immer noch das Nachsehen? Hecheln sie weiter dem Ideenreichtum der Dopingsünder hinterher?
Dem würde ich doch widersprechen, weil die Nachanalysen immer effektiver wurden. So sind beispielsweise anabole Steroide nach wie vor unter den wirkungsvollsten Dopingmitteln und werden daher – wenn auch in geringerer Dosierung – eingesetzt. Allerdings sind die Testverfahren in den letzten Jahren deutlich besser geworden, weshalb aufgrund der Verjährungsfristen Proben bis zu zehn Jahre später analysiert werden können.

Ein zäher Blick in die Zukunft. Stichwort Gen-Doping. Kann man den Goldmedaillengewinner schon züchten?
Was wir in Gesprächen mit Medizinern feststellen konnten, ist das schon noch Zukunftsmusik. Da sind wir doch noch weit entfernt. Die Wechselwirkungen im Gen-Doping sind noch gar nicht abschätzbar. Was passiert mit dem Stoffwechsel, wenn ein Gen verändert wird? Da wird mehr geschrieben, als in Wirklichkeit passiert.

Wird auch Doping im Breitensport zum Problem?
Breitensport ist schwer zu erfassen. Als Gesellschaft ist Doping im Breitensport ein noch größeres Problem. Im Spitzensport gibt es eine überschaubare Anzahl an Sportlern. Wenn ich mir aber die Zugriffe der Kriminalpolizei hernehme, die 2016 eine Tonne an Dopingmitteln beschlagnahmt hat, und davon ausgehe, dass das nur ein Teil der tatsächlich im Umlauf befindlichen Menge ist, dann kann man sich schon vorstellen, wo das alles hingeht. Würde das nur im Topbereich landen, wären die dopenden Spitzensportler auf Jahrzehnte versorgt.